Sie ist dunkelhaarig, hübsch und munter und sie trägt ein Gewand, das sich im Sommer auf den vielen Mittelalterfesten sehen lassen könnte. Anna hat sich als Hübschlerin verkleidet, so nannte man vor 500 Jahren die leichten Mädchen. Im wahren Leben ist die Tochter eines Griechen und einer Deutschen Stadtführerin in Nürnberg. Und weil „Leute unterhalten werden wollen“, hat sich die 45-Jährige, die eigentlich Vor- und Frühgeschichte studiert hat, in die Rolle einer Mittelalter-Dirne eingelebt.
Ein halbes Jahr hat sie dafür in den Archiven der Stadt recherchiert.
Jetzt weiß sie genau, was es damals bedeutet hat, sich als Hure über
Wasser zu halten. Mit viel Witz und schauspielerischem Talent lässt
Anna ihre Gefolgschaft Teil haben am Zorn über die Mächtigen, die ihr
sogar die Bekleidung vorschreiben und die Farbe Gelb, die sie als
Ausgegrenzte kennzeichnete. Dabei war Nürnberg in Sachen käuflicher
Liebe durchaus liberal. Immerhin gab es hier das erste Bordell, das
Haus der gemeinen Frauen, das vom Rat der Stadt eigene Regeln bekommen
hat, die „Frauenhausordnung von 1470“. Festgelegt war der Mietzins, 42
Pfennig monatlich plus sieben Pfennig fürs Bad. Die Hälfte des Lohns
ging für Bettwäsche und Essen drauf. Festgelegt war auch, was ein
Freier zu zahlen hatte: drei Pfennig. Für die Nacht neun Pfennig. Da
wurde frau nicht reich, es sei denn, sie war nicht nur Handwerkern
sondern auch dem Kaiser zu Diensten. Der zahlte mit Gulden. „Zur
Verhinderung größeren Übels“ wurden die Frauen sogar in der Kirche
geduldet. Doch nach der Reformation war’s vorbei mit den lockeren
Sitten und das bislang zumindest geduldete Gewerbe rutschte in die
Illegalität ab.
Wir aber befinden uns noch in den goldenen Zeiten – und Anna kennt hier
die wichtigsten Bürgerinnen und vor allem deren Männer. Sie muss sich
nicht dem Scharfrichter gemein machen, der am Henkersteg wohnte und von
allen gemieden wurde. Sie kann mit der adretten Lebzelterin über die
Geheimnisse der berühmten Lebkuchen plaudern („Gewürze, Nüsse und
Honig“, galt doch Nürnberg zu der Zeit als des Reiches Bienengarten).
Sie kann bei der resoluten Spitalmutter im Heilig Geist Spital
Petersilienwurzeln für ihre schlaffen Kunden holen und ein paar
Ratschläge dazu. Das gotische Spital für 200 kranke und alte Bürger,
auch für Wöchnerinnen, hatte 1322 Nürnbergs damals reichster Mann,
Konrad Gross, des Kaisers Hofbankier, erbauen lassen. Eine wohl
durchdachte fromme Tat zu Nutzen der Bürger und zum Wohle der
Stifterseele. Sogar Helene Scholl, geborene Tucher, und damals „Perle
der Stadt“ meidet nicht die Nähe der Hübschlerin und lässt sich
huldvoll dazu herab, deren Begleiter vor dem alten Rathaus zu begrüßen.
Dass da, wo einstmals die edlen Ratsherren tagten, heute die
Spießgesellen im gleichnamigen Wirtshaus tafeln, ist sicher auch kein
Zufall. In Nürnberg liegt alles nah beisammen, das Alte und das Neue,
das Schöne und das Hässliche, Biedermann und Brandstifter, Albrecht
Dürer und Drittes Reich. So manches hat die Einschläge des Weltkriegs
überstanden wie der Schöne Brunnen, die Frauenkirche mit dem berühmten
„Männleinlauf“, die „Chörlein“ an den Patrizierhäusern in der Füll, die
Fleischbrücke nach dem Vorbild der Rialto Brücke, der Tugendbrunnen,
St. Sebald und St. Jakob, das Dürerhaus, die Kaiserburg hoch über der
Stadt oder auch die mittelalterliche Stadtmauer. All das gibt einen
guten Eindruck der Stadt, die für Martin Luther unter den Städten
leuchtete „wie die Sonne unter den Gestirnen“.
So manches freilich wäre so gar nicht mehr nach dem Geschmack des
Reformators wie die von den üblichen Kettenläden gesäumten,
gesichtslosen Straßen, die deutsche Städte so austauschbar machen. Und
so manches ist neu hinzugekommen und einen Besuch wert wie die "Straße
der Menschenrechte“ vor dem Germanischen Nationalmuseum in der
Kartäusergasse. Hier schuf Dani Karavan eine bewegende Straßenskulptur
aus einem Tor und 27 Säulen, zwei Platten und einer Säuleneiche, in die
jeweils ein Artikel der Menschenrechte in Deutsch und einer anderen
Sprache eingraviert ist. Eine Stein gewordene Mahnung daran, dass auch
heute noch die Rechte vieler Menschen mit Füßen getreten werden. Auch
ein Kontrapunkt in der Stadt der Rassegesetze und Reichsparteitage und eine
Erinnerung daran, dass das Militärtribunal in Nürnberg den Beginn einer
internationalen Gerichtsbarkeit markierte.
Für Anna ist Nürnberg wie ein großes Geschichtsbuch. Ein paar Kapitel
mag sie besonders, die anderen überblättert sie lieber. So ein
Spaziergang durch die Stadt soll ja schließlich nur ein Appetitanreger
sein. Und das ist der Rundgang mit der temperamentvollen Hübschlerin allemal.
März 29, 2010
Hier ein kleiner Insider Tipps aus Nürnberg.Auf der Seite kann man Tipps und Empfehlungen über Nürnberg schreiben. Es gibt ebenfalls informationen über die Geschichte und Sehenswürdigketien Nürnbergs. City Tipps Nürnberg schreiben