Myanmar: Im goldenen Land

Die Lady ist nicht zu Hause. Aung San Suu Kyi, Jahrzehnte ans Haus gebunden, ist jetzt viel unterwegs, die Einladungen kommen aus aller Welt. In diesen Tagen ist die Ikone der burmesischen Demokratiebewegung in Japan. Das Tor vor ihrem Haus bleibt verschlossen. Nur einen kleinen Spalt öffnet es sich, als der Briefträger mit dem Rad kommt. Der Blick fällt auf das Wachhäuschen. Die Wächter sind noch da. Nur ihre Aufgabe hat sich geändert. Jetzt schützen sie die Friedensnobelpreisträgerin vor möglichen Feinden, vorher haben Soldaten die Diktatur vor ihr geschützt.

Doch seit zwei Jahren ist vieles anders in diesem geschundenen Land, das sich Myanmar nennt. Präsident U Thein Sein schob demokratische Reformen an und gab den Menschen ihre Freiheiten zurück. Trotz der blutigen Konflikte mit den ethnischen Minderheiten im Norden wächst die Hoffnung auf eine friedliche, demokratische Zukunft. Investoren strömen ins Land, die Straßen von Yangon sind verstopft wie allen asiatischen Metropolen, die Hotelpreise explodieren, Wolkenkratzer wachsen in die Höhe – Goldgräberstimmung. Es scheint, als wolle Myanmar die Nachbarländer nicht nur ein- sondern gleich überholen. Doch bei dem Aufbruch in eine vermeintlich goldene Zukunft bleiben viele auf der Strecke. Die Arbeiter und kleinen Angestellten müssen sich mit einem Taschengeld begnügen, die Bauern ringen um ihren Lebensunterhalt, während sich eine Handvoll Unternehmer und Bürokraten die Taschen voll stopfen. 
Gegensätze, wohin man schaut: heruntergekommene koloniale Pracht neben glitzernden Hochhäusern, elende Bretterverschläge neben klotzigen Einkaufszentren, winzige Garküchen neben Nobelrestaurants, Männer in Longyis neben Anzugträgern, ein blank polierter Mercedes 500 neben einem gammeligen Sammeltaxi. Myanmar scheint gleichzeitig im Mittelalter und in der Zukunft zu existieren. 
Nirgendwo ist das besser zu erleben als bei einer Fahrt mit der Circular Railway, einem Zug, der die Vororte Yangons miteinander verbindet. In den blauen Waggons mit den dunklen Fensterlöchern drängen sich ganze Familien mit Sack und Pack, Mönche sitzen neben Schulmädchen, alte Männer lesen Zeitung, junge Leute diskutieren lautstark oder reden mit ihren Handys. Während die vorsintflutliche Lok über ramponierte Gleise rattert, steigen immer neue Mitfahrer zu, auch Verkäufer. Frisches Obst ist im Angebot, Eis in Plastiktütchen, Wasser, Kuchen. Ein Betelverkäufer bereitet in aller Seelenruhe seine Blätter vor. Ein Paar öffnet seinen blechernen Henkelmann und isst gemütlich. Eine tief gebeugte Alte hält die Hand auf. Ein billiger Jakob schreit seine Schätze aus und packt alles Mögliche in die angepriesene Wundertüte aus rosa Plastik: Zahnpasta, Seife, Parfüm, ein Handtuch. Zwei Frauen wuchten einen gewaltigen Sack voller Plastiktüten in den Waggon. Die liegen draußen zu Tausenden rum zusammen mit verrottenden Abfällen. Die Geleise sind die Müllkippe der Fünf-Millionen-Stadt und die Flüsse ihre Kloake, versteckt hinter üppig wucherndem Grün und schwelgerischer Blütenpracht. 
Welch ein Gegensatz zur Shwedagon Pagode, dem goldenen Wahrzeichen dieser Stadt. Am Abend tritt eine Besen-Brigade an, um auch das letzte Staubkörnchen vom ohnehin blitzsauberen Boden zu fegen. Eine Kehr-Choreographie zum Sonnenuntergang. Überhaupt die Shwedagon Pagode: das Herz des Landes, geschichts- und symbolträchtig. Der Legende nach soll Buddha selbst den Grundstein zu dem Heiligtum gelegt haben. Über die Jahrhunderte bauten Könige an der Pagode und schmückten sie mit Gold und Edelsteinen. 1920 machten die revoltierenden Studenten unter Führung von Aung San das religiöse Zentrum des Landes zum Mittelpunkt ihres Aufstandes. Auch die Tochter des Freiheitshelden Aung San Suu Kyi hat hier ihre erste öffentliche Rede gehalten. 
An der Shwedagon ist alles Gold was glänzt. 60 Tonnen schwer sind die Goldplatten auf dem Chedi. Und auf dem Hti, dem Ehrenschirm an der Spitze des Stupa, funkeln Tausende von Edelsteinen mit dem 76-karätigen Diamanten an der obersten Spitze um die Wette. Myanmar, das frühere Burma, heute eines der ärmsten Länder der Welt, war immer ein reiches Land, gesegnet mit fruchtbarem Land, auf dem die begehrten Teakholzbäume gediehen, und mit Bodenschätzen – Gold, Diamanten, Smaragde, Rubine. 
Goldschläger ist hier ein eigener Beruf. Nur für kräftige junge Männer. Abwechselnd prügeln sie stundenlang auf Goldtafeln ein, um die hauchdünnen Goldplättchen zu gewinnen, mit denen die Gläubigen die Buddha-Statuen landauf landab bekleben. Beim Glauben wird an nichts gespart. Schon gar nicht an Gold. Sogar ein ganzer Felsen verschwindet völlig unter Goldplättchen. Der Legende nach wird der gut fünf Meter hohe Golden Rock, der über einem Abgrund balanciert, von zwei Haaren Buddhas im Gleichgewicht gehalten. Die müssen ganz schön flexibel sein, so wie der Fels belagert wird! Männer knien knapp über dem Abgrund, um ihre Goldplättchen auf den Felsen zu kleben, andere kriechen fast darunter, um noch eine freie Stelle zu finden. Die Frauen können nur zuschauen, berühren dürfen sie den heiligen Felsen mit dem krönenden Stupa nicht. Ein Mönch versucht vergeblich, die Papierchen einzusammeln, die um den Felsen schweben wie Schmetterlinge. Die Männer haben sie einfach fallen lassen, nachdem sie ihre Goldplättchen herausgeschält hatten.
Wenn es Nacht wird, verwandelt sich der Platz vor dem Felsen in ein Massenlager. Ein kleiner Mönch juchzt über ein ferngesteuertes Auto, ein Mann liegt ausgestreckt auf dem Boden und schläft, Familien kuscheln sich unter Decken zusammen, junge Männer schauen konzentriert auf ihre Handys, etwas unterhalb köchelt in großen Kesseln Suppe. Und über allem schwebt – erleuchtet – der Goldene Fels. 
Verkaufsstände säumen die letzten Meter des Weges, der steil hinauf führt zum Heiligtum. Neben gemahlenen Ziegenhörnern und eingelegten Skorpionen sieht man auch hier Bilder von Aung San Suu Kyi. Die Menschen verehren die Lady wie eine Heilige. Dazu kommt jetzt auch noch der Film von Luc Besson, in dem Michelle Yeoh eine ebenso zierliche wie standhafte Aung San Suu Kyi spielt – vor dem Hintergrund einer menschenverachtenden Militärdiktatur unter General Ne Win. Offen gezeigt wird diese filmische Heiligsprechung der einst Verfemten in Myanmar nicht, aber im burmesischen Untergrund ist eine qualitativ schlechte Raubkopie auf DVD der Hit. Und im Luxushotel The Governor’s Residence konnten die Touristen sogar im Garten verfolgen, wie gnadenlos das Militär noch bis vor kurzem Regimegegner ausgeschaltet hat. 
Aung San Suu Kyi selbst soll, so heißt es, den Film, der auch die Tragik ihrer Familie zeigt, nicht gesehen haben. Sie will nicht zurück schauen, sondern nach vorn. 2015 stehen in Myanmar Wahlen an. Dann könnte die  jetzt 66-Jährige nach der Präsidentschaft greifen.  

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert