Leo, der blonde Rüde im Sturm- und Drangalter von vier Jahren, kann gar nicht genug davon bekommen, Trüffel auszugraben – auch wenn er sie schon mehrmals apportiert hat. Attila, sein in Ehren ergrauter Partner, reagiert da schon etwas abgeklärter und markiert erst mal in aller Ruhe die umstehenden Bäume, ehe er sich am Suchspiel beteiligt. Immerhin gibt’s für jede gefundene Trüffel ein Leckerli von Franco und das ist auch für einen zehn Jahre alten Trüffelhund nicht zu verachten.
Klaus Wilhelm Gerard, Dreitage-Bart, dunkles lockiges Haar, das sich im Nacken ringelt, Cordhose, ist der Herr der Trüffelhunde und ein Feinschmecker dazu. Seit mehr als zehn Jahren hat der Mann aus dem bayerischen Peißenberg als einziger Nicht-Italiener die Lizenz zum Trüffelsuchen und seither streift er mit Attila durchs Unterholz in den Marken immer auf der Suche nach den „Diamanten der Wälder“, nach schwarzen und weißen Trüffeln je nach Jahreszeit.
Schmackhaft, das weiß der Gourmet, sind beide. Man muss nur wissen, wie man sie dosiert. Hausgemachte Tagliatelle mit schwarzen Sommertrüffeln, einem Hauch von Knoblauch und reichlich Parmesan sind ein Gedicht. Die Mamma in der Trattoria „la Gentilena“ in Santa Luca bei Monte San Vito weiß, wie die Aromen am besten zum Hochgenuss verschmelzen. Die weißen Trüffel dagegen, die teuren, die Herrentrüffel, lassen nichts auf sich kommen und wollen am liebsten pur genossen werden, etwa mit Mammas feinen Ravioli. Dazu den spritzigen Verdicchio aus dem 2000-jährigen Jesi, der Geburtsstadt Friedrichs II., – und die Welt ist ein Paradies.
Was hier auf den Tisch kommt, schmeckt nach der Region: nach dem Salz des nahen Meers, nach der saftigen Erde der sanften grünen Hügel, nach Gras, Brombeeren, Kirschen, Trauben – und Trüffeln. Von wegen fusion cuisine. Die Menschen in den Marken sind stolz auf ihre Produkte und wollen sie nicht verwässern, auch nicht für Sterne oder Hauben. Im Feinschmeckergeschäft Bonta delle Marche in Ancona wird der Schinken noch per Hand vom Bein geschnitten, jede Scheibe ein Unikat. Es riecht nahrhaft nach Trüffeln, Salami, Schinken und Käse und schon beim Blick auf die eingelegten Oliven und die großen Schinken läuft den Kunden das Wasser im Mund zusammen.
Ein paar einsame weiße Trüffel verlieren sich auf einem Teller hinter Glas. „Dies ist kein besonders gutes Trüffeljahr“, erklärt Klaus Gerard. Zu trocken war der Sommer und jetzt ist es eher nasskalt. Trüffel sind sensible Gewächse, mögen es warm – und die (weißen) Herrentrüffel machen sich gerne rar. Die teuerste Trüffelart wird von Oktober bis Dezember, gefunden und ist schon mal für Schlagzeilen gut. Anfang Dezember hat ein chinesischer Milliardär eine 1080 Gramm schwere weiße Trüffel für 200 000 Dollar ersteigert.
Stolze 537 Gramm brachte die Trüffel auf die Waage, die Leo im letzten Jahr gefunden hat. Solche Schwergewichte finden aber Leo und Attila derzeit eher nicht. Ihr Herrchen ist schon froh, wenn sie pflaumengroße Knollen aufstöbern. Aber schließlich gibt es auch die schwarzen Trüffel, besser bekannt als Perigord-Trüffel, die von Dezember bis Januar Saison haben und wunderbar mit Pasta und Parmesan harmonieren.
Wer jetzt glaubt, damit hätte es sich ausgetrüffelt, gibt sich als absoluter Trüffel-Laie zu erkennen. Gerard zählt insgesamt 15 Trüffelarten auf, darunter zwei giftige und die Himalaja-Trüffel oder auch chinesische Trüffel, die heutzutage gerne unter andere Trüffelarten gemischt wird aber keinerlei Geschmack hat. Auch in Deutschland wachsen Trüffel, verrät der Experte. In Franken die seltene Schiefertrüffel, in Bayern und Sachsen die Schweinetrüffel, die allerdings roh ungenießbar ist und deshalb früher bis zu zwei Stunden gekocht wurde. Daran hat wohl der Koch von Jimmy Carter gedacht, als der Präsident in Alba eine ein Kilogramm schwere Trüffel geschenkt bekam. Auf die Frage, wie denn die Trüffel geschmeckt habe, meinte der Koch, sie habe ziemlich lang gekocht werden müssen, bis sie gar war.
Über solche kulinarischen Fehlleistungen kann man in den Marken nur die Nase rümpfen. „Banausen“, entfährt es Stefano, der nicht nur Koch ist sondern auch Musiker. Er, blond mit Neigung zur Glatze, blaue Augen, schmaler Oberlippenbart, hat seinem Spanferkel mit wildem Fenchel gern 13 ofenwarme Stunden gegönnt. Aber Trüffel! Stefano schnaubt verächtlich; wie von Zauberhand erscheint eine schwarze Knolle auf seiner Handfläche, der Koch schnuppert verzückt und greift nach einem kleinen hölzernen Instrument. Trüffel, die muss man hobeln, hauchfein, damit sich ihr Aroma entfaltet. „Hoden der Erde“ wurden die Trüffel einstmals genannt, vielleicht, weil reife Trüffel tatsächlich ein bisschen nach Sperma riechen, oder auch nach reifem Käse. Auf alle Fälle aber verführerisch – nicht nur für Trüffelhunde wie Leo oder Attila. In der Boss-Männerserie soll sogar eine „ungewöhnliche Kopfnote mit raffiniertem Kontrast zu exotischen Gewürzen und einer Spur echtem Trüffel“ heraus zu riechen sein.
Unter der Erde sind in den Marken aber nicht nur Trüffelschätze versteckt. Mit den Höhlen von Frasassi, in einer dramatischen Felslandschaft gelegen, die so gar nicht zu den eher lieblichen Hügeln zu passen scheint, lockt die italienische Provinz in ein gigantisches unterirdisches Zauberland. Gefunden hatten es nicht etwa Trüffelhunde bei der Suche nach einem besonders großen Exemplar. Per Zufall waren Höhlenforscher 1971 auf den „großen Saal“ gestoßen. Ein Luftzug hatte sie aufmerksam werden lassen. In der tiefen Dunkelheit schien ihnen der Abgrund unendlich. Heute erhellt ein raffiniertes Lichtsystem das Höhlenlabyrinth und die Besucher können sich sicher auf befestigten Wegen durch die Stalagtiten und Stalagmiten bewegen. Sie sind marmorweiß, erdfarben oder wie von goldgelbem Honig übergossen, bizarre Gestalten wie aus einem Fantasy-Roman: hier ein Nikolaus im Ornat, dort ein Gandalf, der sich auf seinen Zauberstab stützt, Zwerge, Trolle, verwunschene Dörfer und Märchenschlösser, Drachen und Schimären. Die Dimensionen verschieben sich in dieser Märchenwelt und jeder Besucher sieht etwas anderes, einen Buddha der eine, eine Madonna die andere. Die Schönheit der Farben und Formen macht sprachlos und, wer das Glück hat, außerhalb des Massenandrangs durch die Höhlen geführt zu werden, der kann die Stille sogar hören – und die Musik der Wassertropfen.
Draußen hat der laut plätschernder Regen den Parkplatz leer gefegt. Nur ein Stand hat noch offen, aber der ist dicht umlagert. Gaetano serviert Leckerbissen aus der Region und den Wein gleich dazu: Schweinebraten, Salami, Schinken, Speck und Käse, dazu frische Focaccia und eingelegte Oliven. Leo zerrt ungeduldig an seiner Leine. Klar, es riecht nach Trüffel, diesmal allerdings über der Erde. Gaetano verkauft die Trüffel in Salami verpackt oder in Käse. Na dann, guten Appetit!