Der Rahmen war stilvoll, die Jury erlesen, das Publikum auserwählt: Die Verleihung des ersten Bayerischen Buchpreis (früher Corine) in der Allheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz stieß auf großes Interesse, war doch nicht weniger angekündigt als ein Blick hinter die Kulissen der Literaturkritik.
Jurysprecher Denis Scheck, durch seine scharfzüngigen Rezensionen in der Literatursendung „Druckfrisch“ auch einem größeren Publikum bekannt, versprach, das auf die Bühne zu bringen, was normalerweise im Hinterzimmer stattfindet.
Und so wetteiferten die drei Juroren – neben Schenk die Publizistin Carolin Emcke und die Journalistin Franziska Augstein – publikumswirksam auf offener Bühne um die besten Argumente für das Buch, das sie ausgewählt hatten. Den Zeitrahmen gab eine Sanduhr vor. Mehr als 30 Minuten sollten die Juroren nicht brauchen, um aus den drei vorgeschlagenen Büchern das Beste zu küren.
Größere Streitigkeiten waren von vornherein ausgeschlossen. Man war sich einig über die Qualität der drei Sachbücher und drei Romane, schließlich hatte jedes von ihnen in einem der Jurymitglieder einen Fürsprecher. Und so war der Schlagabtausch auch ein freundlicher. Man zeigte, was man drauf hatte an Bildung und intellektueller Schärfe. Denis Scheck hatte eingangs Hans Magnus Enzensberger zitiert über die Gemeinsamkeit von Büchern und Wanzen: beide werden besprochen. Und das taten die drei Juroren so ausgiebig, dass man schon Angst bekam, sie kämen nie zu einer Entscheidung.
Alle Bücher wurden erst einmal einhellig gelobt, und im ersten Durchgang entschieden sich natürlich alle drei Juroren für das Buch ihrer Wahl. Ein Konklave war dennoch nicht notwendig. Weißer Rauch stieg schon in der zweiten Entscheidungsrunde auf. Mit zwei gegen eine Stimme setzte sich Ulrich Herberts gewichtige „Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“ (C.H. Beck) in der Kategorie Sachbuch gegen Andreas Bernards „Kinder machen“ (S. Fischer) und Josef Reichholfs „Ornis – Das Leben der Vögel“ (C.H.Beck) durch.
„Ich war platt, als ich das gelesen habe“, bekannte Augstein, „Das Politische wird wunderbar ausgeleuchtet.“ Für Carolin Emcke war die Lektüre „beglückend“. Und Dennis Scheck war keine der 1451 Seiten dieses „spektakulären Buches“, das Deutschland als „Testlabor der Modernisierung“ zeige, zu lang. Dieses Buch, findet er, müsste mit dem deutschen Pass ausgeliefert werden.
Nicht ganz so harmonisch ging es bei der Kategorie Roman weiter, in der Scheck Nino Haratischwilis „Das achte Leben“ (Frankfurter Verlagsanstalt), das
Carolin Emcke favorisierte, einen „planen Erzählstil“ attestierte und unkte: „Wir werden hier keine Einigkeit erzielen.“ Das taten die Juroren dann erstaunlicherweise doch: Im zweiten Durchgang einigten sie sich auf Thomas Hettches „Pfaueninsel“ (Kiepenheuer & Witsch). Der Roman lasse ihn seine Gegenwart besser verstehen, lobte Scheck. Sie sei „über die Maßen beeindruckt“, gestand Emcke und sprach von „ungeheurer normativer moralischer Klugheit“. Augstein freute sich besonders über die gelungene Kunstsprache. Der dritte Wettbewerber, den sie selbst vorgeschlagen hatte, Thomas Kapielskis „Je dickens, destojewski!“ (Edition Suhrkamp), dem Scheck „schiere Sprachgewalt“ zubilligte, hatte gegen die „Pfaueninsel“ keine Chance. Am Ende der unterhaltsamen Sieger-Findung bedankte sich Denis Scheck beim Publikum dafür, „dass Sie diesen Zirkus mitmachen“.
Dazu passte dann der
weiße bayerische Löwe aus dem Hause Nymphenburg, der von Michael Lemling überreicht wurde, dem Vorsitzenden des Landesverbands Bayern im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Der Bayerische Buchpreis ist mit 10 000 Euro dotiert. Der Ehrenpreis ging an die seit langem an Multipler Sklerose erkrankte Silvia Bovenschen, die aus gesundheitlichen Gründen bei der Veranstaltung nicht dabei sein konnte. Die Laudatio auf die „mehr als würdige Preisträgerin“ hielt die stellvertretende Ministerpräsidentin Ilse Aigner
– diesmal nicht im Dirndl sondern im staatstragenden Schwarz-Weiß. Den Preis nahm stellvertretend für die Autorin Peter Sillem vom S. Fischer Verlag entgegen. Wie er die Autorin selbst zu Wort kommen ließ, war einer der bewegendsten Momente des Abends. Denn in der selbstverfassten Kurz-Vita verrät Bovenschen nicht nur, dass sie schon im zarten Alter von zehn Jahren einen Romanentwurf verfasste – und scheiterte und dass sie später ihrer Deutschlehrerin auf die Nerven ging, sondern auch dass die frühe Diagnose der Krankheit sie in ihrem Streben, Bücher zu schreiben, bestärkt und ihr letztlich auch Erfolg beschert habe. Was sie zu dem Resümée veranlasste: „Das hätte ich nicht von mir gedacht.“
Mit der abschließenden Versicherung „Wir nehmen die Preise ernst“ im Ohr wurden Preisträger und Publikum zum Empfang in den Kaisersaal der Residenz entlassen, wo lebhaft über diese neue Art der Preisfindung diskutiert wurde. Fazit: Unterhaltsam aber noch verbesserungsfähig.