Sie ist die große alte Dame der südafrikanischen Literatur. Nächstes Jahr wird Nadine Gordimer 90. Ihr neuer, erstaunlich politischer Roman „Keine Zeit wie diese“ liest sich wie ein Vermächtnis, eine pessimistische Betrachtung der südafrikanischen Entwicklung, die Nadine Gordimer von Anfang an mit Sympathie begleitet hat. Umso schmerzhafter muss sie die Tatsache treffen, dass die Aufbruchstimmung, die das Land nach der Abschaffung der Apartheit und der Wahl Nelson Mandelas nach vorne getragen hat, verpufft ist.
Erstickt unter der Last der Korruption und Amtsanmaßung, die unter Jacob Zuma gigantische Ausmaße angenommen haben. Auch davon handelt dieser Roman, der ein schwarz-weißes Paar (Steve und Jabulile) in den Mittelpunkt stellt, um exemplarisch die mentalen und kulturellen Hintergründe aufzuzeigen. Und die Vorbehalte – immer noch. „Wie konnte das passieren?“ fragt eine Frau auf einem Familienfest Steves Schwägerin und meint damit, wie der weiße Anwalt eine Schwarze heiraten konnte.
Jabulile gehört dem schwarzen Mittelstand an, ihr Vater, ein Ältester in der Methodistenkirche, hat sie studieren lassen. Und ihr „Baba“ ist für sie immer noch das Maß aller Dinge, mehr noch als ihr Mann Steve. Bis er sich bei einer Vergewaltigungsklage für Jacob Zuma entscheidet und gegen die Frau, die Jabulile nur als Opfer männlicher Präpotenz sehen kann. Diese Parteinahme erschüttert die Basis ihres Vater-Tochter-Verhältnisses und macht es Jabulile leichter, sich später für ihre Familie und gegen ihr Land zu entscheiden.
Denn, obwohl Steve und sie für dieses Südafrika gekämpft haben, ist es nicht mehr ihr Land. Die wachsende Fremdenfeindlichkeit, die vor allem die Flüchtlinge aus den Nachbarländern zu spüren bekommen, die ausufernde Gewalt und die Unfähigkeit der Politik, darauf zu reagieren, lassen sie an der Zukunft zweifeln – und an den Chancen für ihre Kinder. Die ehemaligen Genossen empfinden sie als „wiedergeborene Klone der Apartheidbosse“ und einen Präsidenten, gegen den 72 Anklagepunkte wegen Betrugs und Korruption vorliegen, wollen sie nicht akzeptieren. Sie sehen „keine Spur von Gleichheit in der erkämpften Schwarz-Weiß-Verschmelzung im Land, dem ungleichsten der Welt“ und als einzigen Ausweg aus der Misere nur die Auswanderung. Ein bitterer Schluss.
Nadine Gordimer hat viel hineingepackt in diesen dicken Roman, manchmal vielleicht zu viel – Arbeitslosigkeit, Aids, religiöse Unterschiede und die Frage, ob eine Liebe aus gemeinsamen kämpferischen Zeiten den Alltag übersteht. Und sie setzt viel voraus. Die Überfrachtung mit politischen Theorien bremst die Leselust. Trotzdem: Dies ist ein wichtiges Buch einer bedeutenden Autorin und Südafrika-Kennerin, das schonungslose und fundierte Einblicke in den Niedergang eines lange Zeit als Musterschüler gefeierten afrikanischen Landes bietet.
Info: Nadine Gordimer, Keine Zeit wie diese, aus dem Englischen von Babara Schaden, Berlin Verlag, 506 S., 22,90 Euro