Kreta und die griechische Krise

Die Banken auf Kreta haben – wie überall in Griechenland schon seit Tagen geschlossen. Doch auf der Insel scheint alles seinen normalen Gang zu gehen: Keine Schlangen an den Tankstellen, keine Hamsterkäufe in den Geschäften, Touristen am Strand und an den Pools. Nur die weiß-blauen Griechenland-Flaggen scheinen täglich mehr zu werden. Auch nach dem Referendum, in dem die Griechen mehrheitlich die Auflagen der EU ablehnten, herrscht auf der Insel keine Alarmstimmung.
Am Straßenrand blüht der Oleander üppig wie immer um diese Zeit, in den Bergen duftet es nach wildem Thymian und Salbei. Ziegen steigen durch die Felsen, Schafe grasen im Tal, in den Gärten stehen Oliven-, Feigen-, Walnuss- und Kastanienbäume, goldgelb wie kleine Sonnen hängen die Orangen zwischen sattgrünen Blättern. Am Himmel kreisen Geier. Pleitegeier, sagt einer in der Gruppe der Jeepfahrer. Die anderen schauen betreten. Auch Yannis, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, kann über den Scherz nicht lachen. Kreta, meint der Fahrer, sei eine glückliche Insel. „Hier ist die Krise noch nicht in dem Ausmaß angekommen wie in Athen, weil die Leute von dem leben, was sie in ihrem Garten haben und der Familienzusammenhalt groß ist.“
Tatsächlich hat Kreta schon viele Krisen kommen und gehen sehen. Die minoische Kultur, die ihre schönste Ausprägung im leider stark renovierten Palast von Knossos fand, war der Anfang einer Geschichte von Fremdherrschaften. Kretas Städte sind Ausdruck dieser wechselvollen Historie: Römer und Byzantiner herrschten hier, Venezianer und Osmanen und sie alle hinterließen ihre Spuren auf der Insel, die sich bis heute als Eiland der Götter sieht. In der neuen Hauptstadt Heraklion ebenso wie in der alten Metropole, Chania, wo sich im malerischen alten Hafen mit dem charakteristischen Leuchtturm die Touristen auf die Füße treten, während die Schlangen vor den Geldautomaten nicht kleiner werden.
Was er mit seinem Geld macht, wollen wir von Yannis wissen. Der 32-Jährige mit dem breiten Kreuz und dem markanten Bart runzelt die Stirn. „Ich habe nicht viel Geld“, sagt er und was er habe, das bewahre er zu Hause auf. Wie die meisten Kreter, vermutet er. Die Menschen hätten das Vertrauen in die Banken verloren. Aber weggehen von der Insel würde der weit gereiste Sohn einer Pariserin und eines kretischen Bauern nicht. „Ich fühle mich privilegiert, hier zu leben“, schwärmt Yannis und weist aus dem Fenster. Die steilen Felswände der Schlucht ragen hoch in den Himmel. Neben der Schotterstraße blüht honiggelb der Flieder. Zikaden geben ein Konzert. Der Alltag scheint weit weg ebenso wie die griechische Krise.
Höher und höher klettert der Jeep hinauf auf den Berg des heiligen Johannes. Oben auf 1300 Metern, wo man weit hinaus blickt über die Landschaft bis hin zu den 2400 Meter aufragenden Bergen Lefka Ori, auf denen noch Schneereste liegen und hinunter auf die Bucht von Balos, die „blaue Lagune“. Im Garten vor der Kapelle plätschert eine Quelle, die Wunder wirken soll, vor der Ikonostase haben die Fahrer ein paar Kerzen angezündet. Was sie sich wohl wünschen?
Die meisten haben ein Studium hinter sich wie Yannis, der das seine abgebrochen hat. Doch gut bezahlte Jobs sind rar. Der Tourismus ist deshalb neben der Landwirtschaft eine wichtige Einkommensquelle. „Viele von uns arbeiten im Sommer im Tourismus, im Winter auf dem Bauernhof“, sagt Yannis. Und die jungen Akademiker seien meist in ganz anderen Berufen tätig als in denen, für die sie studiert hätten. Unserem Guide macht seine Arbeit sichtlich Spaß. Er hat Freude daran, den Touristen „seine“ Insel zu zeigen, „das echte Kreta“, jenseits der üblichen Touristenpfade. Dass er auch schon George Clooney über die Insel chauffiert hat, entlockt den weiblichen Fahrgästen ein sehnsüchtiges „Oh“. Yannis grinst und erzählt gleich die Geschichte vom 3000 Jahre alten Olivenbaum, dem wohl ältesten der Welt, der – natürlich – auf Kreta stehe. Einen knorrigen Verwandten sehen wir im Dorf Palaia Roumata, wo vor der Kirche ein Denkmal an die Gefallenen all der Kriege erinnert und daran, dass hier eine deutsche Fallschirmjägereinheit vernichtend geschlagen wurde. Dass die Zeit der deutschen Besatzung auch auf Kreta „keine gute Zeit“ war, sei längst vergessen, erklärt Yannis. Aber er fürchte, dass die aktuelle deutsche Politik mit ihren rigiden Forderungen böse Erinnerungen wecken könnte.
Nein, widerspricht die 63-jährige Wirtin Vasew der Taverne Archontika in Palaia Roumata. Das sei doch alles lange, lange her. Die Touristen von heute und die Täter von gestern könne man nicht vergleichen. Man dürfe nicht in der Vergangenheit leben, sondern sollte an die Zukunft denken. Doch vor dieser Zukunft ist ihr bange, sagt die energische Frau mit den eisgrauen Haaren. „Unser Leben war das Paradies bis vor drei Jahren.“ Jetzt sei alles eine Katastrophe. „Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass in Griechenland die Menschen hungern könnten?“ Schuld seien die alten Regierungen, die sich nur bereichert hätten. Aber auch Szyriza habe wohl den Ernst der Lage nicht erkannt. „Natürlich habe ich Alexis Tsipras gewählt“, erklärt die Wirtin, die in sechs Jahren USA fließend Englisch sprechen gelernt hat. „Ich wollte ja, dass sich etwas ändert.“ Und jetzt? Vasew schüttelt den Kopf. „Jetzt weiß niemand, wie es weitergeht.“
So wie sie denken auch die Ladenbesitzer und kleinen Hoteliers in Chania. Noch sind die Touristen da. Was aber wird, wenn die Lebensmittel knapp werden, wenn die Hoteliers ihre laufenden Kosten, die Händler ihre Waren nicht mehr bezahlen können? Ratlosigkeit in den Gesichtern. Aber immer auch noch ein Fünkchen Hoffnung. Im Weingut Boutari in Skalani nahe Heraklion will die alerte Gästebetreuerin Vivi Papaspirou die Hoffnung nicht aufgeben. Man könne nicht stehen bleiben, sagt sie. Trotz des Referendums ist sie davon überzeugt, dass die EU Griechenland nicht fallenlassen wird. Und Boutari investiert nicht nur in Wein, sondern auch in den Tourismus. Drei sehr spezielle Wohnungen entstanden im alten Presshaus, sieben weitere sollen dazu kommen. Bisher, versichert die blonde Powerfrau, seien die Wohnungen gut gebucht. Australier kämen, Franzosen, Briten, Deutsche und – bisher – auch Griechen.
Doch das kann sich schnell ändern in diesen Krisenzeiten. „Hotelketten haben vielleicht noch Lebensmittelvorräte für zehn Tage“, sagte Athanassios Kelemis, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Handelskammer in Athen dem Handelsblatt, „dann kommen sie in Schwierigkeiten“. Nur eine schnelle einvernehmliche Lösung könne jetzt noch helfen, meint der 55-Jährige und hofft auf die Verhandlungsfähigkeit des neuen Wirtschaftsministers Tsakalotos.

Info:
Anreisen: Kreta verfügt über zwei Flughäfen – in Heraklion und in Chania. Unter anderen fliegen Air Berlin, Condor und TUIfly nach Heraklion, Austrian Airlines, Ryanair und Aegean Airlines nach Chania.
Wohnen: TUI hat in Heraklion das sehr komfortable Aldemar Royal Mare Village im Programm (Eine Woche mit Flug ab/bis Hannover und Halbpension ab 767 Euro pro Person im Doppelzimmer. Reisezeitraum 15. Bis 22.07.), bei Chania das Avra Imperial Beach Resort & Spa (eine Woche mit Flug ab/bis Frankfurt und Frühstück ab 814 Euro pro Person im Doppelzimmer. Reisezeitraum 11. bis 18.10.)
Wer’s lieber klein und intim mag, kann eine der Wohnungen im Weingut Boutari mieten, auf Wunsch werden hier die Gäste auch bekocht: Boutari Winery in Skalani, Heraklion, Crete,  Tel. 0030/2810/731617, E-Mail: crete.winery@boutari.gr Das Doppelzimmer mit Frühstück gibt’s ab 100 Euro.
In hübschen Chania warten auch kleine Boutique-Hotels auf Kunden wie das Mamanena, 30 Zambeliou str., Tel. 0030/28210/93444, E-Mail: info@mamanenahotel-chania.gr, www.mamanena.gr, DZ mit Frühstück ab 130 Euro in der Hauptsaison.
Essen & Trinken: In Chania bietet das Restaurant Lithos am alten Hafen gehobene Küche mit Meerblick: Tel. 0030/28210/74406, www.lithosrestaurant.gr
In der Taverne Archontika in Palaia Roumata singt Wirt Andreas den Gästen schon mal ein Lied und seine Eltern verwöhnen sie mit lokalen Spezialitäten. Die gibt es auch in der Taverne Nea Roumata, 25th km National Road Chania-Sougia, Tel. 0030/28210/77937, E-Mail: tavernanearoumata@gmail.com
Safari: Zu abgelegenen Plätzen und Geheimtipps bringt Tzorvas Stelios mit seiner Firma Royal Rentals neugierige Touristen: www.creteroyal.com Bei TUI ist die Jeepsafari im Landrover ab 79 Euro pro Person zu haben, gebucht werden kann sie bei der Reiseleitung vor Ort.
Tipp: Solange die Lage in Griechenland ungeklärt ist, empfehlen die Reiseexperten Touristen, reichlich Bargeld mitzunehmen.
Informieren: Im Reisebüro oder bei der Griechischen Zentrale für Fremdenverkehr, www.visitgreece.gr

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