Wie ein flaschengrüner Kamelrücken liegt die Insel im azurblauen Wasser des Titicacasees. Taquile ist eine Sehenswürdigkeit der besonderen Art. Deshalb landet am Vormittag auch ein Boot nach dem anderen an dem kleinen Hafen an. Alle wollen die Insel der Seligen sehen, die Insel, die sich selbst versorgt und die den Tourismus für ihre Zukunft nutzt. Taquile ist ein (bisher) geglückter Modellversuch zum nachhaltigen Tourismus.
Auslöser dafür waren zwei amerikanische Missionare, die 1975 die
Insulaner ermunterten, ihre Webwaren an Touristen zu verkaufen und
Zimmer zu vermieten. 1985 gab es 120 einfache Zimmer au der Insel,
derzeit sind es 160. Perus früherer Präsident Fujimori baute der
Gemeinschaft eine Wasserpumpe, die sie nicht nutzt, weil kein Geld für
Öl da ist. Das Hotel, das Fujimori bauen ließ, ist heute ein
Krankenhaus. Denn traditionell nehmen die Dorfoberen die Touristen in
Empfang und verteilen sie auf die Häuser.
Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel, als wir aus dem Boot klettern.
Die Luft ist dünn in dieser Höhe und sie scheint mit jedem Schritt
dünner zu werden. Schwer atmend stapfen wir hinter unserem
Aymara-Führer die grob behauenen Steinstufen hinauf. Alle paar Meter
hält Alcides rücksichtsvoll inne, damit wir verschnaufen können,
erklärt da eine Pflanze, zeigt dort auf einen Ausblick und erzählt
zwischendurch die Geschichte der Gemeinschaft.
In alten Zeiten waren die Titicacasee-Inseln heilige Stätten, dann
kamen die Spanier und machten sie zu privaten Haciendas. Als Peru 1821
unabhängig wurde, war Taquile zeitweise Staatsgefängnis. Gerade mal
neun Qechua-Indianerfamilien lebten nach 1900 auf der Insel. Mit ihrem
Anführer freundeten sich ein inhaftierter General an. Und als er
Präsident wurde – so wechselvoll waren auch damals die Zeiten – kafute
die Regierung die Insel den Großgrundbesitzern ab und schenkte sie den
Indio-Familien. Ab 1945 entstand die Gemeinschaft wie sie heute
existiert. Die 1900 Insulaner leben in einer Art Basisdemokratie.
Alcides begrüßt ein Mädchen mit dem traditionellen dunkelblauen
Kopftuch der Taquile-Frauen. Schüchtern nestelt sie an ihrem roten Rock
und kramt ein paar Freundschaftsbänder hervor, das Stück zu einem Sol.
Die Farben sind so intensiv wie die Landschaft: sattes Grün auf rotem
Boden, getupft von leuchtend gelben, roten und weißen Blüten. Über
traditionelle Schild- und moderne Wellblechdächer schweift der Blick
zum in der Sonne gleißenden See, den am Horizont die weißen Gipfel der
Anden begrenzen. Hier lässt es sich wohl sein.
Aber reich werden ie Menschen auf Taquile trotz einer gewissen
Geschäftstüchtigkeit nicht. Der Ackerbau ist harte Arbeit auf der
trockenen Insel und die Handarbeiten sind eine Geduldsache. Juan und
Melchior stricken in der Sonne an bunten Zipfelmützen, wie sie die
Männer auf Taquile tragen. Einen Monat sind sie damit beschäftigt, mit
winzigen Maschen komplizierte Muster zu stricken. Wie die anderen hat
Juan mit sechs Jahren zu stricken beonnen. Jetzt, mit 21, ist er ein
Meister seines Fachs. 35 Dollar kostet eine Mütze wie er und sein
Freund sie stricken. Verkauft weren sie im großen Kaufhaus auf dem
Hauptplatz des Dorfes. Natürlich gibt es auch billigere, grobmaschige,
die in ein, zwei Tagen fertig sind – dann aber ohne die traditionellen
Symbole. Eine Zickzacklinie etwa bedeutet „Weg des Touristen“ und
symbolisiert "das Herumschwirren der Fremden“. Auf Taquile werden sie
von den Einwohnern an die Hand genommen.