Fenster zum Alltag: Im Salonwagen durch Peru

Dieser Zug fällt auf. Mächtig wirft sich die blaue Lokomotive in die Brust. Einer Raupe gleich hängen die Waggons aneinander, vorne die Economy mit gewöhnlichen Bahnsitzen, hinten die Inkaklasse, die ein erstklassiges Bahnerlebnis verspricht bis hin zur holzgeäfelten Toilette mit Marmorwaschtisch. Den Schluss bilden die Bar und der verglaste Panoramawagen mit Frischluft-Ausguck, wo sich die Fotografen drängen. Im Salonwagen ist alles sehr gediegen: Damastdecken auf den Tischen, Lämpchen in den Fenstern, Holztäfelung, Bilder aus der Geschichte, gemütliche Sessel. Die Fenster öffnen sich auf den Alltag der Menschen draußen.

Wenn der Zug von Puno aus durch die Orte am Titicacasee fährt, steht
nicht nur der Verkehr still, auch die Arbeit ruht. Kinder winken,
Frauen schauen aus den Fenstern, Männer starren der Bahn hinterher,
hunde rennen kläffend mit. Nur die Schweine wühlen weiter unbeeindruckt
im Dreck. Kleine Stände reihen sich am Straßenrand. Hier wird alles
verkauft: Essen, Schuhcreme, Ersatzteile, Reifen, Erfrischungen,
Clopapier. „jetzt wird’s toll,“ ruft eine deutsche Touristin, „guck mal
da, die Wäscherin.“ Klick macht die Kamera. Nicht alle draußen lassen
sich gern abfotografieren. Ein Brocken Dreck trifft das Fenster.
Während drinnen das Menü serviert wird, ziehen draußen Alltagsbilder
wie im Kino vorbei: Junge Männer spielen Fußball, eine Frau webt unter
einem Sonnensegel ein buntes Tuch, eine Familie wäscht im Fluss ihre
Wäsche.  Im Hintergrund stapeln sich die Andengipfel in Schattierungen
von Lindgrün bis Anthrazit. „Genau so habe ich es mir vorgestellt,“
seufzt eine Französin selig. Die beiden bärtigen Bildhauer aus Hawaii
lächeln wissend. Es kommt noch besser.
Es rüttelt und schüttelt, während sich der Zug auf den höchsten Punkt
hinaufquält, nach La Roya, mit 4313 der höchste Bahnhof der Welt. Eine
Kirche steht einsam in der Landschaft. Einsam? Dutzende von Händlern
und „Fotomodellen“ mit Kind und Lamm oder Alpacka stehen schon Spalier.
Denn hier hält der Zug das einzige Mal auf seiner Fahrt nach Cusco. Und
hier kommt es auch zum Show-down: Touristen treffen auf Einheimische –
die einen mit Kamera bewaffnet, die anderen mit ihren Waren oder mit
Kindern und Tieren. Kaum eine(r) entkommt. Die Verkäufer kennen alle
Türen und verfolgen unwillige Kunden bis in den Zug. So stapeln sich
bei der Abfahrt Decken und Ponchos, Pullover und Wandbehänge in den
Abteilen. Auch die Fotografen sind zufrieden, sie haben ihre
Menschen-Motive gefunden.
Von Cusco, dem einstigen Nabel der Inka-Welt, aus kann man einen
anderen  Zug weiter nach Aguas Calientes nehmen, dem Ausgangsort für
das legendäre Machu Picchu. Durch Vororte mit kleinen Häusern schraubt
sich die Bahn in Zickzacklinien in die Höhe, mal vorwärts mal
rückwärts. In der Nobelklasse wird Frühstück mit Coca-Tee serviert.
Draußen ziehen Indios mit ihren Schafen vorbei, ärmliche Lehmhütten.
Drinnen findet ein Modenschau statt. Durch die gründe Urlandschaft des
Valle Sagrada, des heiligens Tals am Urubamba, rattert der Zug weiter
bis zur Endstation in Aguas Calientes, wo Dutzende von Bussen die Sicht
auf die warmen Quellen verstellen. Auf der halsbrecherischen Busfahrt
zur Wolken verhangenen Ruinenstadt zwischen den grünen Bergkegeln
gibt’s dann keine Klassenunterschiede mehr.  Infos unter
www.perurail.com

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