Im Wasserreich: Wandern und Baden in der Schweizer Provinz

Das Wasser kommt von oben. Da sage noch einer, es sei zu trocken in unseren Breiten. Der Himmel hat seine Schleusen geöffnet. Der Regen fällt stetig vie ein dicker grauer Vorhang. Die Bäche sind angeschwollen, die Wasserfälle donnern mit Wucht zu Tal, in den Wiesen haben sich kleine Teiche gebildet und von den Bergen rinnen Bäche, die sich tief in die feuchte Erde graben. Kein Mangel an Wasser in den Schweizer Bergen rund um das mittelalterliche Örtchen Gruyere* im Wallis.

Auch im neuen Bad von Charmey rieselt, rinnt und plätschert es – allerdings angenehm temperiert. In der auffallenden  kreisrunden, von einem Lattengeflecht ummantelten,  Therme tummeln sich Hunderte von Wasserratten, die vor dem Dauerregen ins warme Bad geflüchtet sind. „Die Schweizer wissen heute wohl nichts mit sich anzufangen“, grummelt Direktor Gerard Andre angesichts der Schlangen, die sich vor den verschlossenen Türen gebildet haben und die geduldig im strömenden Regen ausharren.
Alle wollen die neuen Bains de Charmey kennen lernen, die am 31. März ihre Tore öffneten. 24 Millionen Schweizer Franken wurden für das Projekt investiert, das die entspannende Wirkung des mineralhaltigen Wassers mit Badespaß, Schönheitspflege und Gesundheitsvorsorge verbinden und dem Örtchen touristischen Aufschwung bescheren soll. Wer bei diesem Sauwetter trockenen Fußes in die Therme kommen will, muss im nahe gelegenen Hotel Cailler wohnen, das durch einen 60 Meter langen Tunnel mit dem Bad verbunden ist. Doch die Pärchen, die im mollig warmen Außenpool unter den tief hängenden schwarzen Wolken turteln, lassen sich durch nichts stören. Und der Regen rauscht als wolle er in Konkurrenz zu den künstlichen Wasserfällen der Therme treten.
Es rauscht auch gewaltig in der Orbe-Schlucht nahe dem Genfer See. Der Fluss hat sich gefrässig ins Gestein genagt und dramatische Felsformationen hinterlassen. Der Weg auf der linken Seite soll einmal Rollstuhl gerecht werden, ein angenehmer Pfad, der immer auf gleicher Höhe der Schlucht entlang führt. Der rechte Weg ist abenteuerlicher, ein stetiges Auf und Ab, teils steil und abschüssig, teils eng am Felsen entlanglaufend und so schmal, dass es dem ungeübten Wanderer Angst und Bange wird. Geht es doch auf der anderen Seite senkrecht nach unten, hinunter ins weiß schäumende, gurgelnde Wasser der Orbe. Manchmal ist der von Blättern bedeckte Weg weich wie ein dicker Teppich, manchmal hat sich die Erde mit Wasser voll gesogen, die Wanderstiefel sinken ein wie in einen Schwamm und kommen Dreck verschmiert mit einem satten Schmatzen wieder zum Vorschein. Rundum gluckert und tropft es. In einem Felsen bildet sich eine kleine Fontäne, weil das Wasser von oben in die Höhlung tropft und wieder herausspringt.
Auf dem gegenüberliegenden Weg werfen ein paar Jugendliche Steine in den tief unten eingegrabenen Fluss. Sonst ist kein Mensch unterwegs. Man hört nur das Rauschen des Flusses und das Zwitschern der Vögel. Eidechsen huschen über den Weg, bemooste Bäume säumen ihn wie  Zauberwesen. Am Rand kleine Höhlen, in denen Zwerge hausen könnten oder Trolle. Im Halbdämmer unter dem Blätterdach kann man sich viel vorstellen und Etienne Maire, der gerne mal den Wanderführer gibt, kann viel erzählen von der Gewalt des Flusses und vom Segen des Wassers für die Stromversorgung der Kleinstadt Orbe*, die schon längst ihre mittelalterlichen Mauern gesprengt hat und hinauf wächst in die Berge und hinein ins Flusstal, da wo die Orbe ganz harmlos dahin fließt.

Im nahen Romainmotier* mit der wuchtigen gotisch-romanischen Kirche im Zentrum waren es die Mönche aus dem Clunyazenser Orden, die den Segen des Wassers nutzten. 30 Kanäle haben sie gegraben, um ihre Felder zu bewässern. Auch hier plätschert es munter neben dem Weg, der dann in geheimnisvollem Halbdunkel unter Eichen und Buchen entlang dem Flüsschen Nozon führt, das fröhlich über die Steine hüpft und ganz und gar unschuldig tut. Nur der 20 Meter hohe Wasserfall, der höchste im Kanton Wallis, lässt etwas ahnen von der Urgewalt des Wassers. Mitten im dunklen Forst dann künstliche Brunnen im Kalkgestein, 200 Jahre alt. Die Luft steht still, Grillen zirpen, kein Hauch streicht über die Buschwindröschen. Nur Whisky, der weißblonde Golden Retriever von Michel Gaudard, dem kundigen Begleiter, macht Wirbel, als er freudig bellend ins stehende Wasser der steinernen Brunnen springt.
Der Rundweg scheint beliebt: Eltern mit Kindern und Kinderwagen, ältere Paare mit Hund und Einzelgänger wandern den Bach entlang. Auch im Waschhaus von Croy sprudelt wie einst das Wasser. Doch es gibt keinen Brunnenwärter mehr, der den Waschtag festlegt. Dafür versteckt sich im Gebüsch die Kläranlage von Romainmotier und Michel Gaudard erklärt, wie wichtig sie ist. Denn trotz des schönen Scheins: selbst im Wasserreich ist das Wasser ein kostbares Gut. 400 Liter verbraucht jeder Schweizer pro Tag, die Industrie mit eingerechnet. Eine Milliarde Kubikmeter Wasser wird alljährlich bereitgestellt – eine Menge so groß wie ein See, der Bieler See.
Doch gut, dass der Himmel hin und wieder seine Schleusen öffnet…

Ein Kommentare
  • Malle Immos
    Mai 15, 2011

    Hallo zusammen.

    Bin gerade im Urlaub in Marokko und per Google Blog Suche auf Euren Blog gestoßen. Ich muss schon neidlos zugeben, dass Ihr Euch echt Mühe gegeben habt und Eure Themen zudem auch noch interessant sind, denn kindische Blogs mit unschönen Designs gibt es ja genug. Zudem stimmen natürlich die Inhalte Eure Seite.

    Werde mit Sicherheit wieder vorbei schauen, wenn ich zurück in Deutschland bin.

    Grüße

    Markus

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