Im Schatten der Schuld: Gail Giles‘ „Das wirst du nie mehr los“

Er war noch ein Kind, neun Jahre alt, als er das tat, was ihn sein Leben lang verfolgen würde. Er übergoss den sechsjährigen Nachbarjungen Bobby mit Benzin und zündete ihn an – wegen eines Baseballhandschuhs. Solche Geschichten liest man hin und wieder in der Zeitung und ist entsetzt über die Grausamkeit, zumal wenn sie von Kindern ausgeht, die wir gemeinhin als „unschuldig“ ansehen.

Gail Giles wagt sich in ihrem Roman „Das wirst du nie mehr los“ an ein
heikles Thema. Sie erzählt die Geschichte aus der Sicht des Täters. Der
ist inzwischen 16 Jahre alt, hat seine Strafe abgesessen und zu seinem
eigenen Schutz einen neuen Namen, eine neue Identität. Aus Kip ist Wade
geworden, ein kluger, gut aussehender Junge, der sich unter
Gleichaltrigen durchsetzen kann, ein Mädchenschwarm mit vielen Freunden.
Niemand ahnt, dass dieser Junge noch ein ganz anderes Gesicht hat,
eines, das von seiner Vergangenheit geprägt ist. Von dunkler
Verzweiflung, weil er das, was er angerichtet hat, nie wieder gut machen
kann. Die Schuld lastet wie ein Alp auf ihm und irgendwann sucht sie
sich ein Ventil. Wade erzählt seinen Freunden, was er getan hat – und
macht sich damit selbst zum Ausgestoßenen. Niemand will mehr etwas mit
ihm zu tun haben, auch sein Dad und dessen Freundin müssen Wades
Ehrlichkeit ausbaden und die neue Heimat verlassen.
Erst ein einfühlsamer Psychologe macht Wade klar, dass er nicht allein
die Schuld trägt. Dass er unter Stress stand, weil seine Mutter todkrank
und der Vater todunglücklich war. Dass Bobby ihn herausgefordert hat
und er im Affekt reagiert hat. Dass Bobbys Familie Wades Elternhaus
niedergebrannt und den Vater heimatlos gemacht hat. Und doch ist auch
das wahr: Bobby ist tot, er starb unter Qualen, seine Familie leidet bis
heute unter der Erinnerung daran und Wade lebt – und liebt. Er kann es
selbst kaum glauben, dass ein Mädchen ihn lieben kann, nach all dem
Schrecklichen, was er ihr gestanden hat. Aber auch Sam hat eine dunkle
Vergangenheit und so finden zwei Versehrte zueinander, um sich
gegenseitig zu stützen.
Gail Giles zeichnet ein differenziertes Porträt dieses gebrochenen
„Helden“. Wade kann arrogant sein, verschlossen wie eine Auster und dann
wieder zerbrechlich wie ein rohes Ei. Er ist durch eigene Schuld jäh
aus seiner Kindheit gerissen und in eine feindselige Umwelt katapultiert
worden. Und er hat eine zweite Chance verdient. Die Autorin schont ihre
Leser nicht, ihre Sprache ist glasklar, da bleibt nichts zwischen den
Zeilen. Auch deshalb wird dieser Roman noch lange nachhallen.
Info: Gail Giles, Das wirst du nie mehr los, cbt, 245 S., 7,99 Euro

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