Heimatland – ein Leseabend

Da sitzen sie – allesamt „Deutsche mit Migrationshintergrund“ wie das so schön und politisch korrekt heißt, Schriftsteller dazu, die in der deutschen Sprache zu Hause sind und mit ihr besser umzugehen wissen als so mancher Landsmann mit urdeutschem Stammbaum. „Zugroast“ heißt das Thema des Lese-Abends im Münchner Volkstheater. Es lesen Kristof Magnusson (deutsche Mutter, isländischer Vater), Feridan Zaimoglu (im Alter von einem Jahr aus der Türkei eingewandert), Hasnain Kazim (die Eltern waren vor seiner Geburt aus Indien nach Deutschland gekommen) und – Georg Haderer, der Österreicher, der so trefflich über Zugroaste, Abgroaste, Ausgroaste sinnieren kann.

Der Abend, moderiert von Alex Rühle/Süddeutsche Zeitung, wird zum Spiel
mit Klischees, das so manchem alteingesessenen Deutschen die Augen
öffnet. Diese „Zugroasten“ sind in ihren Ansichten oft deutscher als
mancher Deutsche und erst recht als der Österreicher, der sich
letztlich als der einzige Exot der Runde outet – als in Wien lebender
Kitzbühler ohnehin eine rare Spezies. So rar wie sein Inspektor
Schäfer, der in der Krimi-Entdeckung „Schäfers Qualen“ (Haymon) ein
fabelhaftes „Ureinwohnertheater“ abliefert.
Im Gegensatz zu Haderer, der sich mit einem abgebrochenen Studium und
einer vollendeten Schuhmacherlehre empfiehlt, ist Feridan Zaimoglu
(„Kanack Attack“, „Leyla“) als Schriftsteller schon etabliert.
Teilnehmen wollte er an der Runde nur, wenn sie nicht zum "Migrantenzoo"
mutiere. Beim Begriff „Heimat“, gesteht er, zucke er zusammen. Und
trotzdem könne man heute anders damit umgehen. „Ich bin deutsch, meine
Heimat ist deutsch und ich fühle mich gut dabei – das kann man sagen.“ 
Zaimoglus neuer Roman „Hinterland“ (Kiepenheuer & Witsch) spielt
zwar an vielen Orten, aber eben auch auf Föhr im deutschen Norden, wo
sich Zaimoglu inzwischen heimisch fühlt. Seit 26 Jahren lebt er in Kiel
und ist sich sicher: „Der Mensch kehrt dorthin zurück, wo er weiß, wie
die Sommerwiese riecht und wie der Himmel an einem kalten Wintertag
aussieht.“
Für Kristof Magnusson, in Deutschland geboren, stellt sich die Frage
nach der Heimat bewusst nicht, aber im Schreiben kehrt er immer wieder
zu dem Thema zurück. „Ich kann die Frage nicht beantworten und nähere
mich lieber literarisch an“, sagt er. Auch in seinem Roman „Das war ich
nicht
“ (Kunstmann)geht es um Menschen, die „zugroast“ sind. „Ich hatte
Heimweh nach einem Ort, von dem ich nicht wusste, wo er war“, gesteht
sich die Übersetzerin Meike nach ihrer Übersiedlung aufs platte
ostfriesische Land ein.
Hasnain Kazim weiß genau, wo seine Heimat ist: „Ich bin Oldenburger und
in Stade, genauer in Hollern-Twielenfleth, groß geworden.“ Heute
arbeitet Kazim als Spiegelkorrespondent in Islamabad und fühlt sich in
Pakistan ebenso heimisch wie in Indien und eben auch in Deutschland. In
seinem Buch „Grünkohl und Curry“ (dtv) beschreibt er Herkunft und
Kindheit. „Meine Eltern“, erinnert sich der 36-Jährige, „führten ein
sehr deutsches Leben“. Dass er eigentlich Hasnain Nils heiße, sei auch
darauf zurückzuführen – und auf ein Missverständnis mit der
hilfsbereiten deutschen Nachbarin. Als Kind fühlte er sich mehr als
Nils, seine Kindergartenfreunde nannten ihn Hansi. Am liebsten wäre
damals er blond und blauäugig gewesen – wie die anderen.
Für die Verwandten aus Indien und Pakistan sei dagegen das Leben der
Eltern in Hollern-Twielenfleth zu wenig „desi“ gewesen – es habe zu
wenig „Lebensnotwendiges“ für den asiatischen Geschmack gegeben: zu
wenig Curry, Moscheen, Inder. Aber wo in Deutschland ist es schon desi?
Andererseits sei das vielleicht auch gut so. Nur „weil wir die einzigen
waren im Dorf“ hätten sich seine Eltern „überassimiliert“. Heute steht
er eher zwischen den Welten. „In Deutschland bin ich sehr deutsch, in
Pakistan sehr pakistanisch.“ Das Schreiben seines Buches hat ihn
kritischer gemacht, auch Deutschland gegenüber. Es hat ihn gelehrt, die
Dinge beim Namen zu nennen. Seinen Landsleuten gibt er mit auf den Weg:
„Die Deutschen müssen lernen, dass ein Deutscher nicht weißhäutig ist
und blond.“

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