Gräfliche Gastfreundschaft: Das Jagdschloss Kühtai

Der Himmel ist von einem reinen Blau wie man es in der Stadt nicht mehr kennt. Die Januarsonne wärmt schon leicht und auf der Sonnenterrasse des Jagdschlosses Kühtai fühlen sich die Gäste, die eingemummt in dicke Wolldecken im Liegestuhl die Zeit verträumen, ein bisschen wie in Thomas Manns "Zauberberg", im Kokon einer gediegenen Gesellschaft. Und so mancher Tourist, der zufällig hereinschneit und auf eine Melange oder eine köstliche Torte bleibt, beneidet die Hausgäste um ihr fürstliches Refugium beim Ururenkel von Kaiser Franz Josef und der schönen Sisi. Stammgäste sind die meisten im Jagdschloss und Christian Graf zu Stolberg-Stolberg kennt jede und jeden einzelnen.
Kein Wunder, dass andere gern Stammgäste wären wie jener Universitätsprofessor, der des Nachts um zehn samt Familie anklopfte und für nächstes Silvester buchen wollte. „Wir wollen gern Stammgäste werden,” sagte er der verblüfften Hoteldirektorin Claudia Pallasser. Der Graf nahm’s mit Humor: „Da müssen sie wohl noch dran arbeiten”, erklärte er und nahm die Familie auf die (lange) Warteliste.
Der Graf und Claudia Pallasser (beide 54) sind ein „Dream-Team”. Er, ganz jovialer Gastgeber, meist im Trachtenjanker, die grauen Haare lockig nach hinten gebürstet, Lachfältchen um die wasserblauen Augen und immer lächelnd. Sie, die ebenso effektive wie attraktive Managerin, immer wie aus dem Ei gepellt und ständig auf dem Sprung. Vor knapp vier Jahren haben sie die Führung des Traditionshauses übernommen. „Wir waren beide voller Elan und Zuversicht fast wie Kinder”, erinnert sich Claudia Pallasser an die Anfangszeit. Und Graf Christian, nach dem Tod seines Vaters im reifen Alter von 51 Jahren zum Hotelchef geworden, hat die Rolle seines Lebens gefunden. „So ein altes Haus ist wie eine langjährige Ehefrau,” sinniert er. „Es gibt Tage, da liebt man es heiß und innig und es gibt andere, da wünscht man es zum Teufel.” Um keinen Preis aber würde er das Jagdschloss gegen ein neues Hotel tauschen.
Von denen gibt’s mittlerweile genügend im Kühtai. Gut 1300 Betten hat der kleine Ort auf 2000 Meter Höhe im Winter ­ in Hotels, der Dortmunder Hütte und in Appartements. Das hätte sich Ernst Kolb, Bundesminister für Handel und Wiederaufbau, nicht träumen lassen, als er 1949 Hedwig Gräfin Stolberg den Kredit für den Bau eines Lifts neben ihrem Jagdschloss verweigerte. Das Kühtai verkrafte höchstens 100 bis 120 Betten beschied er die Antragstellerin kühl, da sei ein Lift unrentabel. Heute erschließen zwölf Lifte 40 Pistenkilometer zwischen Pock- und Gaißkogl auf der einen sowie Mugkogel und Pirchkogl auf der anderen Seite ­ und keiner kennt mehr den Herrn Minister Kolb. Aber das Jagdschloss wurde trotz seiner Fehlentscheidung zum Motor der touristischen Entwicklung ­ dank Graf Karl.
1280 schon wurde im Urbar der Grafen von Tirol „Chutay” erstmals erwähnt. Das Jagdschloss ging dann durch viele Hände. Kaiser Maximilian I. etwa verfügte 1497, dass „Seine Majestät und sonst niemand anderer in solcher Zeit daselbst Gemsen jagen möge”. 1586 begeisterte sich Erzherzog Ferdinand II., der Gatte der Augsburger Patriziertochter Philippine Welser, für das Wolkenkuckucksheim. 1622 wurde das Jagdschloss für 10\x0e000 Gulden fürstlich umgebaut. Den Tiroler Habsburgern folgten die Wiener, 1776 dann die Grafen von Wolkenstein und 1893 kaufte Kaiser Franz Josef I. das ganze „Urbar” an. Seine Tochter, Erzherzogin Valerie, überschrieb das Kühtai 1917 ihrer Tochter, Erzherzogin Hedwig, als Geschenk zu ihrer Hochzeit mit dem Grafen zu Stolberg-Stolberg.
Es gab keine Straße, kein fließend Wasser, keine Elektrizität, als Hedwigs Sohn Karl auf den Berg stieg und nicht mehr herunterkam. 1952 begann Graf Karl, das Jagdschloss für den Nobeltourismus zu präparieren. Der Urenkel von Kaiser Franz Josef konnte nicht nur trefflich über die K u. K. Monarchie parlieren, er wurde auch zu einer Art Übervater für die die Gäste, die Kinder und das Dorf. Der Graf war Bürgermeister und Tourismus-Obmann und er sperrte sich gegen jede Art von Massentourismus. Im Lauf der Jahre wurde sein Haus zu einer Art Zauberberg der Lebenslust, wie das dicke Buch zum 40. Geburtstag des Hotels 1992 zeigt. Es gab wilde Parties, ausgelassene Streiche, gefährliches Flirts und wütende Eifersuchtsszenen.
„Die Skibar war damals eine Art Sündenpfuhl,” erinnert sich Graf Christian mit einer Spur von Wehmut in der Stimme, „so mancher Skiurlaub endete in einer Ehekrise.” Das ist heute anders. Die Familien rücken zusammen, hat der gräfliche Gastgeber erfahren. Die Menschen wollen Kraft schöpfen für einen stressigen Alltag, „innehalten”. Und wo könnte man das besser als im Tal über den Wolken.
„Heimelig” sei das Kühtai, urteilt auch Philip Haslwanter (35). Dem smarten Geschäftsführer der Bergbahnen Kühtai mit der akkuraten Frisur und der randlosen Brille gehen Begriffe wie Gästemix, Liftkapazität und Cashflow locker über die Lippen. „Von den Bergbahnen her” sei man bestrebt, „neue Erlebnisse zu schaffen,” sagt Haslwanter. Die Hohe Muth ist so ein Erlebnis. Seit zwei Jahren erschließt eine Vierersesselbahn mit Bubble anspruchsvolle Abfahrten. Und der steile Einstieg in die schwarze Piste erfordert tatsächlich viel Mut. Am Herzen liegt dem Manager aber ein anderes Projekt, das schon seit Jahren in den Fallstricken der Paragraphen hängt. Eine Achtergondel soll in die Scharte des Pirchkogl hochfahren und dort auf eine Sechsergondel aus Hochötz treffen. Haslwanter schwärmt von fantastischen Pisten und einem ganz neuen Panorama. „Man muss das ganzheitlich sehen,” sagt er. „Mit dem Projekt ließen sich zwei kleinere Skigebiete sinnvoll zusammenhängen.” Im Sommer soll Baubeginn für die erste Phase sein, acht
Millionen Euro soll die neue 
Sechser-Sesselbahn kosten, die den alten Kaiserlift-Schlepper ersetzen wird. Statt sich mit eiskalten Händen
ans Schleppertrapez zu klammern, werden die Gäste des neuen Kaiserlifts im
nächsten Winter komfortabel auf beheizten Sitzen und unter Klarsicht-Hauben
nach oben transportiert.

Barbara Haid (30) freut sich über den Fortschritt im höchstgelegenen
Wintersportort Österreichs. Die junge Außenstellenleiterin des Tourismusbüros
Kühtai mit dem sportlichen Pferdeschwanz weiß, dass vor allem der
Wintertourismus immer neue Gäste ins Tal lockt, selbst in dieser bisher eher
schneearmen Zeit. Wozu hat man schließlich Schneekanonen? Rund 200 000 Euro, schätzt
Skischulleiter Thomas Haider, hat man im Kühtai bisher in die weiße Pracht verpulvert.
Sie macht es möglich, dass die Lifte auch noch surrten, als andere Skigebiet in
Tirol oder im Allgäu schon längst den Skibetrieb eingestellt hatten. Und unter
den  weiß bepuderten Bergspitzen rundum
kann man Tag für Tag die schwarzen Punkte der Skitouren-Geher beobachten, die
hoch hinaus wollen, um dann weit hinab fahren zu können. Mit 30 Skitouren ist
das Kühtai „Österreich weit eines der besten Skitourengebiete“, so Haider.
Selbst auf den Pisten sind sie unterwegs, mit langen Latten, Steigfellen und
dicken Rucksäcken, von den Menschen in den Liften teils mitleidig, teils
neidvoll betrachtet.

Längst wird auf 2020 Metern 
Höhe in den Hotels,  an den Liften
und in den Skischulen,  nicht mehr nur
Deutsch gesprochen. „Die Gäste werden internationaler“,   hat Barbara Haid beobachtet, auch wenn die
Deutschen immer noch die wichtigste Klientel sind.  Schweizer und Holländer haben das Kühtai
entdeckt, neuerdings kommen auch 
Italiener und  Belgier. Und zu
Silvester logierten auch Japaner und Russen in den Hotels.
 Nur im Sommer, da ist
das Hochtal immer noch wie ausgestorben. Nur wenige Hotels sind geöffnet und im 
Sommer 2005 beispielsweise hat
das Tourismusbüro gerade mal 12 773 „Nächtigungen“ registriert, im Winter 05/06
waren es immerhin 147 687.   Das
soll  anders werden. „Das Jahr hat schließlich
365 Tage“, sagt Skischullehrer Haider, der im Sommer auch als Bergführer
arbeitet. Ein neuer aussichtsreicher Klettersteig soll in Zukunft die
Bergsteiger begeistern und als 
Olympiastützpunkt will das Kühtai bei Profi- und Amateursportlern
gleichermaßen punkten.  Illusionen macht
sich Haider trotzdem nicht: „Der Ort ist noch nicht so weit, dass alle an einem
Strang ziehen.“
Graf Christian kann davon ein Lied singen, waren dem
Jagdschloss doch zwischendurch alle Sterne aberkannt worden, weil das geschichtsträchtige  Haus keinen Lift hat. Mittlerweile stehen
Jagdschloss und Kapelle unter Denkmalschutz und das Hotel „gilt wieder als das,
was es immer war: das erste Haus am Platz“, 
resümiert der Graf zufrieden. Und wenn der Sommer im Kühtai einmal so
richtig einschlägt, könnte er sich vorstellen, auch das Jagdschloss zu öffnen.
Letztes Jahr im sommersatten Juli war er mit der Familie oben auf dem Berg.
„Ein Traum“, schwärmt er. „Das sollten unsere Gäste auch mal erleben.“

Claudia Pallasser will an Sommer gar nicht denken. Saison-Ende, das ist für sie „das Schlimmste, fast wie ein Begräbnis”. Wenn der letzte vom Personal das Jagdschloss verlasse, falle man erst mal in ein „tiefes Loch”, selbst wenn die meisten in der nächsten Saison wiederkommen. „Alls passt”, begründet Küchenchef Johannes Kleinbichl (33) seine langjährige Treue zum Jagdschloss. Der „Hannes” und seine Küche sind ein Aushängeschild des Hotels wie die gemütlichen Zirbenstuben und die wunderbar altmodischen Fürstenzimmer oder die sündigen Mehlspeisen von Patissier Johann Köck.
Abends, wenn die Pistenwalzen die Abfahrten für einen neuen Skitag präparieren, kommen die Hausgäste bei Consomme mit Kalbsbriesstrudel, Angler auf Blattspinat und Rosa Rinderfilet an Portwein-Chalotten-Sauce, Kartoffeltörtchen und Vernissage von Gemüse mit dem gräflichen Gastgeber ins Plaudern über die alten Zeiten und die neuen Pläne. Man kennt und schätzt einander und braucht weder Klunker noch Krawatte, um Eindruck zu machen. Später knarzt die Treppe beim Zubettgehen. Der riesige Schlüssel hängt draußen vor der Tür, drinnen atmet das Zirbenholz Behaglichkeit. Nein, Sisi hat hier nie geschlafen. Aber wer mag es in solcher Umgebung dem Herrn Professor verdenken, dass er Stammgast werden will?

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