Fußball-EM: Nichts zu klagen in Klagenfurt

„Narrisch g’freut“ habe man sich, als Deutschland für Klagenfurt ausgelost wurde –  am 8. Juni spielt die Nationalelf gegen Polen, an 12. Juni gegen Kroatien -, sagt Bürgermeister Harald Scheucher und verspricht „ein Fußballfest der Superlative“.   Nirgendwo sonst, das hätten ihm die UEFA-Verantwortlichen bestätigt, ließen sich Fußball und Tourismus so gut verbinden wie in Klagenfurt,  Geburtsstadt von Robert Musil und Udo Jürgens. Auch Klagenfurts EM-Botschafter Reiner Calmund ist davon überzeugt und rührt fleißig die Werbetrommel für die kleinste der österreichischen „Host Cities“.     

Den Fußballern und ihren Fans haben die Klagenfurter ein 32 000 Plätze fassendes modernes Stadion hingestellt, für Bürgermeister Scheucher „die kleine Schwester des Münchner Allianz-Stadions“ und von den Kärtnern liebevoll „das Ufo“ genannt. Ob es wirklich nach der EM auf 15 000 Plätze zurückgebaut wird wie ursprünglich geplant, steht noch in den Sternen. „Mein Verstand sagt ja, mein Herz sagt nein“, sagt der Bürgermeister. Am liebsten würde er die Klagenfurter entscheiden lassen, per Volksabstimmung. Wie die ausgeht, glaubt Rainer Calmund schon jetzt zu wissen: „Das Stadion gehört zu Klagenfurt wie das Theater, der Dom oder das Landhaus.“
66,5 Millionen Euro haben sich Bund, Land und Stadt das neue Wahrzeichen kosten lassen, in dem derzeit noch eifrig gewerkelt wird. Das alte Stadion aus den 60er Jahren wurde komplett abgerissen und der futuristische Neubau innerhalb von 19 Monaten hochgezogen. 600 Journalistenplätze wird es für die EM geben (später 40) und eine Lounge für 700 VIP’s, also überaus wichtige Leute, zu denen sicher auch Kärntens umstrittener Landeshauptmann Jörg Haider zählen wird. 54 Sitzplätze sind für Behinderte reserviert. Noch wirken die Umkleideräume eher spartanisch und im weiten Rund der Arena verlieren sich die Besucher. Aber in den Einsatzzentralen der Polizei und der Feuerwehr herrscht schon reges Leben. Man will für alle Eventualitäten gerüstet sein. „Ruhe bewahren, denken, handeln“ empfiehlt ein Plakat und auf einer Anweisung ist zu lesen: „Aufgrund eines technischen Gebrechens ist es erforderlich, dass das Stadion geräumt wird.“ Eine flächendeckende Kameraüberwachung soll solche „Gebrechen“ frühzeitig orten. Derzeit, freut sich der Bürgermeister, sorgt das Stadion für weltweite Neugierde: „In Klagenfurt geben sich die Leute die Klinke in die Hand.“
Viel zu tun für Ilse Schneider (66), die seit über 20 Jahren durch die Renaissance-Stadt mit dem südlichen Flair führt. Das hat Klagenfurt dem italienischen Baumeister Domenico dell Aglio zu verdanken, der die 1514 von einem Brand in Schutt und Asche gelegte Stadt mit so wunderbaren Bauten wie dem Landhaus beglückte. Der Wappensaal mit 665 Wappen der Landesstände, Landesverweser und Vizedomen ist für Klagenfurt-Besucher ein Muss – auch für Fernsehteams, die über Klagenfurt als EM-Stadt berichten. Wer die Perspektivmalerei auf der Decke würdigen will, muss den Kopf weit zurücklegen – oder sich gleich auf den Boden legen. Aber davon rät Ilse Schneider ab, nachdem zwei Kameramänner, die das Gemälde im Liegen filmen wollten, nicht mehr auf die Beine kamen.
Für die beiden wäre wohl auch der Aufstieg auf den Turm der Stadtpfarrkirche St. Egid purer Stress gewesen. 225 Stufen wollen bewältigt sein, ehe man Klagenfurt unter sich hat und von oben in die reizvollen Arkadenhöfe blicken kann, für deren Wiederbelebung die Stadt drei Mal mit dem Europa-Nostra-Preis ausgezeichnet wurde. Türmer Robert Gutzelnigg kennt alle Kirchen (45!) und alle Gipfel, die man von hier aus sieht. Seit neun Jahren ist der 35-Jährige zuständig für Eintritt, Information und Sauberhaltung („Da hab’ ich viel zu tun.“)des Turms. Und manchmal gibt er auch den Wetterfrosch. Von Karfreitag bis Oktober lebt der dunkelhaarige, sportliche Mann tagsüber auf dem Turm – ohne fließendes Wasser. Wenn er etwas vergessen hat, muss er 225 Stufen hinunter und wieder hinaufsteigen. „Das überlegt man sich schon“, sagt Gutzelnigg und lacht. Bei aller Liebe zu der schönen Aussicht kann er sich nicht vorstellen, im Turm Wohnung zu beziehen wie seine Vorgängerin, die letzte Türmerin. Helene Reichelt, so ist auf einem Schriftstück zu lesen, wohnte seit 1923 im Turm – mit Mann und sechs Kindern. 1966 ging sie in den Ruhestand und danach war der Turm 16 Jahre verwaist, bis Robert Gutzelnigg kam, sah und blieb. 
Unten in der barockisierten Kirche liegt der französische Schriftsteller Julien Green (1900 – 1998) seinem Wunsch gemäß  in einer Seitenkapelle begraben. Gleich daneben hält eine Engel-Skulptur des Wiener Künstlers Ernst Fuchs Wache. Der exzentrische Maler und Bildhauer arbeitet seit 1990 an der Ausgestaltung der „Werktagskapelle“ und ist deshalb immer wieder in Klagenfurt zu sehen. Derzeit stiehlt ihm Reiner Calmund die Schau. Der Dicke ist nahezu allgegenwärtig in Kärntens kleiner, feiner Hauptstadt. Er weiß, dass es in der Hausbrauerei „Zum Augustiner“ Schnitzel „so groß wie Klodeckel“ gibt, dass man in Schloss Freyenthurn Sinnenfreuden jeder Art genießen kann und dass Kaiser Franz Beckenbauer während der EM-Spiele in Klagenfurt direkt am Wörthersee in der DFB-Lounge Hof halten wird.
Ganz normale Fans, die keine Tickets fürs Stadion ergattert haben, können in zwei Fanzonen mitfiebern. Auf dem Neuen Platz im Herzen von Klagenfurt bleibt kein Stein auf dem anderen. Ein neues Pflaster muss her, damit die Public Viewer in der Fanmeile nicht ins Stolpern kommen. Zu klagen soll es jedenfalls im Juni in Klagenfurt nichts geben. Und ein ungerechtes Urteil, das der Sage nach einen Bäckerlehrling das Leben kostete und über das die Stadt bis heute klagt, fällt hoffentlich auch keiner der Schiedsrichter im Stadion.             

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