Eine göttliche Komödie

Narrenturm
(Buch)
Autor: A. Sapkowski
Verlag: Dtv
Erschienen am: 2005-10
Seiten: 700
ISBN: 3423244895

Der Pole Andrzej Sapkowski und sein Mittelalter-Reigen:
Es ist ein Wälzer, der auf den ersten Blick abschreckt. Doch wenn man einmal begonnen hat, im „Narrenturm” von Andrzej Sapkowski zu lesen, dann möchte man am liebsten nicht mehr aufhören. Der polnische Autor entfaltet in seinem historischen Roman einen mittelalterlichen Bilderbogen, der den Nerv der Zeit trifft und Dan Brown ziemlich alt aussehen lässt. Denn anders als der Amerikaner schöpft der Pole aus der ganzen Fülle der europäischen Literatur, um seine Geschichte um Minne, Ritterspiele und Abenteuer in der Historie zu verankern.
Pate standen so unterschiedliche Autoren wie Umberto Eco und Grimmelshausen, Dante und Shakespeare, Rabelais und Lovecraft, Salomon und Hobbes. Ungeniert bedient sich Sapkowski auch aus dem deutschen Märchenschatz. Dabei stellt er Märchenfiguren (Hans mein Igel) gleichberechtigt neben historische Persönlichkeiten wie Zawisza der Schwarze, Kopernikus oder Gutenberg. Unter den vielen historischen Querverweisen finden sich auch die Augsburger Fugger, die ihre Handelswege von notorischen Raubrittern schützen ließen. Denn die Zeiten waren unsicher.
Zwar war der Weltuntergang 1420 ausgeblieben und er kam auch nicht ein paar Jahre später. „Die Dinge nahmen, wenn ich so sagen darf, ihren gewohnten Verlauf. Die Kriege dauerten an. Die Seuchen mehrten sich, die mors nigra wütete, Hunger breitete sich aus. Der Nächste erschlug und beraubte seinen Nächsten, begehrte dessen Weib und war überhaupt des Menschen Wolf. Den Jugend bescherte man von Zeit zu Zeit ein kleines Pogrom und den Ketzern ein Scheiterhäufchen.”
Niederschlesien zur Zeit der Hussitenkriege war denn auch ein eher ungemütlicher Ort für jemanden wie Reinmar von Bielau, den jungen Medicus mit der Vorliebe für schöne Frauen und zauberhafte Getränke. Verfolgt von den Brüdern eines gehörnten Ehemanns und der Inquisition, beginnt für Reynevan, wie ihn seine Freunde nennen, eine Odyssee durch ein brennendes Land. Dabei stehen ihm ganz im Sinn der Tradition Mitstreiter zur Seite, die selbst ihre dunklen Geheimnisse haben.
Während der Jungspund in seiner grenzenlosen Naivität von einer Gefahr in die nächste stolpert, machen sich seine Begleiter Machtkämpfe und Intrigen zunutze, damit der Freund mit heiler Haut davon kommt. Mehr als einmal springt Reynevan dem Tod von der Schippe um gleich wieder einen neuen Anlauf zu halsbrecherischen Streichen zu unternehmen.
Das alles erzählt Sapkowski im Stil eines allwissenden Chronisten und in einer süffigen, kraftstrotzenden Sprache, die in ihrer prallen Saftigkeit an Luther erinnert und die Barbara Samborska wunderbar ins Deutsche übertragen hat. Jede Episode wird mit einer kommentierenden Kurzzusammenfassung eingeleitet, wie sie bei mittelalterlichen Chroniken üblich war. Die Episoden selbst sind so geistvoll und witzig geschildert , dass auch die schlimmsten Grausamkeiten der Folterknechte von Kirche oder Ketzern dem Leser nicht auf den Magen schlagen.
Im Gegenteil, man verschlingt diese 700 Seiten und hat am Ende noch lange nicht genug. Wie gut, dass die Fortsetzung dieser göttlichen Komödie (Gottesstreiter) in Polen schon erschienen ist. So müssen wir hoffentlich nicht allzu lange auf Reynevans neue Eskapaden zu warten. Und Sapkowski arbeitet bereits am dritten Band (Lux perpetua). Der Mythos Mittelalter, den der Spiegel in einer seiner letzten Ausgaben beschwor, wird uns also noch lange nicht loslassen.

Andrzej Sapkowski, Narrenturm, dtv premium, 739 S., 15 ¤

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