Sie hat eine behütete Kindheit und fühlt sich trotzdem fremd. Weil sie anders aussieht als die anderen, die sie das auch gerne mal spüren lassen. Warum das so ist, weiß das kleine Mädchen nicht. Aber im Alter von zehn Jahren erfährt es durch Zufall, dass es nicht die Tochter seiner „Eltern“ ist. Es wurde adoptiert. „Meine Eltern haben mir, als ich klein war, nicht gesagt, dass ich Chinesin bin und von ihnen adoptiert wurde… Es war für sie einfach kein Thema“, erinnert sich Tinga Horny in dem Buch „Die verschenkte Tochter“.
Die Journalistin beschreibt darin, „wie ich meine leiblichen Eltern suchte und meine wahre Heimat fand“. Das ist schon spannend genug. Aber noch viel spannender sind vor dem Hintergrund der großen Flüchtlingsströme die Erfahrungen die sie mit dem Nicht-Dazugehören gemacht hat, mit dem Anderssein: „Ich konnte es kaum glauben: In Peking passierte mir das Gleiche wie in München. Es war wieder das altbekannte unangenehme Frage-Antwort-Spiel, wie ich es ungezählte Male in Deutschland durchgemacht hatte – nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen… In allen Fällen aber fühlte ich mich sofort aussortiert.“
Es ist ein langer Weg durch die bürokratischen Instanzen in Deutschland, China, den USA und Südamerika, den Tinga Horny gehen muss, bis sie endlich weiß, woher sie kommt – und nach einigen kafkaesken Begegnungen steht am Ende die bittere Erkenntnis: Sie ist das Ergebnis eines Fehltritts. „Ich habe Sie dem Waisenhaus geschenkt und damit die Ehre Ihrer Mutter bewahrt“, sagt ihr der namensgebende Nicht-Vater, und: „Vielleicht hätte ich Sie behalten, wenn Sie ein Junge gewesen wären.“ Das ist hart. Aber auch mit ihrer leiblichen Mutter verbindet Tinga Horny nichts. „Wir haben nie zusammen gewohnt, wir haben nie Krisen gemeinsam durchgestanden und überwunden, wir haben uns nie bis aufs Blut miteinander gestritten, wir haben nie zusammen gelacht und die größten Peinlichkeiten miteinander erlebt.“
Auch deshalb weiß die Autorin am Ende, wo ihre echte Heimat ist. Da, wo die Menschen leben, die sie groß gezogen haben.
Und doch war es für sie wichtig, ihre biologischen Eltern zu finden, damit sie sich nicht länger wie ein „Alien“ fühlt. „Endlich am Ziel angekommen zu sein, hat mir Flügel und ein nie gekanntes Selbstwertgefühl verliehen“, resümiert sie. Und mittlerweile kann sie auch darüber lachen, wenn fremde Menschen sie nach ihrer Herkunft fragen und komisch schauen, wenn sie sagt, sie komme aus Bayern.
Info: Tinga Horny, Die verschenkte Tochter – Wie ich meine leiblichen Eltern suchte und meine wahre Heimat fand, Bastei Lübbe Erfahrungen, 190 S., 8,99 Euro
08Sep. 2015