Martin Suter hat schon immer ein gutes Gespür für die Themen der Zeit. Diesmal sticht er mit seinem Roman „Montecristo“ in das Wespennest der Bankenlobby. Und er tut das mit geradezu perfider Lust an der Entlarvung biedermeierlicher Bräsigkeit. Mag auch so manches Komplott ganz und gar unvorstellbar klingen: Nach all dem, was Whistleblower Snowden und der CIA-Folterskandal zu Tage gefördert haben, scheint auch bei uns nichts unmöglich. Warum also nicht ein Auftragsmörder im Dienst der Demokratie?
Geschickt baut Suter sein Plot auf, fängt scheinbar harmlos an mit einem „Personenschaden“ in einem Intercity – und endet mit einem Paukenschlag. Dazwischen die Geschichte eines unauffälligen Mannes, den der Zufall auf die Spur eines unglaublichen Bank-Betrugs bringt. Jonas Brand ist Videojournalist bei einem Society-Sender. Auch bei dieser Entscheidung hat der Zufall mitgespielt, Brand ist kein Journalist aus Leidenschaft und schon gar kein Enthüllungsjournalist. Doch das, was ihm passiert, nachdem er zwei Hundertfrankenscheine mit identischer Seriennummer in seiner Brieftasche entdeckt hat, macht ihn (fast) zu einem. Zumal sein Mentor, ein abgehalfterter Wirtschaftsjournalist, eine große Verschwörung wittert. Wie auch nicht: Brands Wohnung wird durchsucht, er wird zusammengeschlagen, die Scheine werden im sicheren Safe ausgetauscht. Und ausgerechnet jetzt findet Brands Film-Projekt „Montecristo“ Gnade vor der Filmförderung…
Auch wenn ihn ob dieses seltsamen Zufalls selbst leise Zweifel beschleichen, seine neue Freundin Marina Ruiz drängt ihn, die Chance wahrzunehmen.
Brand reist zur Recherche nach Thailand und entkommt knapp einem Komplott. Die vermüllte Wohnung seines Journalisten-Freundes geht in Flammen auf, er selbst wird entführt. Und am Ende? Die Überraschung überlassen wir Martin Suter, der in diesem Roman Banker und Börsenhändler ebenso an den Pranger stellt wie Journalisten, Polizei und Politiker. Suter schont niemanden. Alle sind käuflich, suggeriert sein Roman, es kommt nur darauf an, womit. Und die ehrenwerte Gesellschaft fühlt sich wohl in ihrer großen Seifenblase und tut alles, damit sie nicht platzt – Kollateralschäden eingeschlossen.
Suter entwirft ein durchaus glaubwürdiges Szenario, in dem honorige Bürger zu Tätern werden, um ihre aus den Fugen geratene Welt zu retten. Es ist eine Welt des schönen Scheins, der schon längst das Fundament weggebrochen ist. Aber es lebt sich gut in ihr. Auch das beschreibt Suter mit der ihm eigenen süffigen Ironie. Montecristo ist kein literarisches Meisterwerk, aber ein spannender, hochaktueller Thriller.
Info: Martin Suter, Montecristo, Diogenes, 309 S., 22,90 Euro
27Feb. 2015