Ein Skigebiet sucht den Anschluss

Die Sage um Laurin, seinen Rosengarten und seine unglückliche Liebe zur schönen Simhild kennt hier (fast) jeder. Wer Nachholbedarf hat, kann sich im Skigebiet Carezza auf die Spuren des Zwergenkönigs begeben. Pappkameraden weisen den Weg, angefangen bei Dietrich von Bern, dem Bruder Simhilds, über die tapferen Recken bis hin zu Laurin und Simhild oben auf dem Berg. Wer alle Stationen abfahren will, darf sich nicht scheuen, über künstliche Buckel zu springen und durch die Bäume zu kurven. Schließlich mussten die Helden Dietrichs auch einige Mühen aufwenden, um Laurin zu bezwingen und die entführte Simhild zu befreien. Der Zwergenkönig aber verfluchte seinen Rosengarten, heißt es im Märchen: Weder bei Tag noch bei Nacht sollten die Menschen seine Schönheit sehen können. Nur die Dämmerung hatte er vergessen. Und deshalb erglühen die weißen Felsnadeln bis heute im Abendrot – wenn sie denn sichtbar sind.

 
Heute muss Laurin besonders grollen. Es ballen sich die Wolkentürme, es wabern die Nebel. Nur schemenhaft zeichnen sich die Sessellifte ab, der nächste Skifahrer ist grade noch zu ahnen. Und ahnungslos fahren wir mit dem Zweiersessel ab der Bergstation erst einmal ganz hinauf zur Bergstation. Und da sehen wir – nichts. Kaum die Hand vor Augen. Bleibt nichts übrig als sich vorsichtig bergab zu tasten. Ausgerechnet an diesem Hang, einem der steilsten im ganzen Skigebiet, wie ein Mitfahrer grollt. Je weiter wir runter kommen, desto besser wird die Sicht und allmählich macht es richtig Spaß, über diese frisch beschneiten Pisten zu gleiten. Hin und wieder Wintersonne im Skigebiet Carezzaspitzelt sogar eine blasse Wintersonne durch den Wolkenverhau, öffnet sich ein kleines blaues Loch und – fast theatralisch – der Blick auf weißgepuderte GipfelAusblick bei Aufhellung im Skigebiet Carezza. Die Bäume an der Talabfahrt tragen Zebrastreifen in Weiß und Grün, ein Bächlein plätschert zwischen von Schneehauben gekrönten Felsen. Wir haben uns eingefahren und schweben geradezu zu Tal auf dieser 7,5 Kilometer langen Piste, die von schwarz über rot in blau übergeht. Eine Chamäleon-Piste, wie geschaffen für das Reich des zaubermächtigen Zwergenkönigs.

 
Märchenhaft schön ist die Gegend unter dem Skifahren unterm Rosengarten (c) Eggental Tourismus Rosengarten. Das Skigebiet, Mitte des 20. Jahrhunderts eine der ersten Skianlagen in ganz Südtirol, hat trotzdem lange Winterschlaf gehalten. Wieder in Schwung gebracht hat es Georg Eisath, Mitbegründer der Techno Alpin AG, einem führenden Hersteller von Beschneiungsanlagen. Schneekanonen wurden installiert, moderne Lifte ersetzten die veralteten Anlagen, neue Pisten entstanden. Mit 40 Pistenkilometern aller Schwierigkeitsgrade und 16 Aufstiegsanlagen kann Carezza nicht nur mit dem benachbarten Obereggen mithalten, das Skigebiet positioniert sich zeitgeistig auch als „Alpines Klimaskigebiet“. Der Macher Eisath hat alles ausrechnen lassen für das Pilotprojekt: Was sich bei der Beschneiung optimieren lässt und bei der Pistenpräparierung und wie man den Skifahrern die Energie-Effizienz vor Augen führen kann. Da geht es um Pumpenoptimierung und Flottenmanagement, um Energieüberwachung und Wasser- und Luftmanagement. Tausende Daten sind es, die Georg Eisath für die komplizierten Berechnungen vorliegen. Und der Macher denkt noch weiter – an eine Anbindung von Carezza an die Einkaufsstadt Moena. Damit ließe sich die alternative Mobilität verbessern, wirbt er.

 

Verbindungsbahn Laurin 1Immerhin wurde mit Laurin 1 schon ein „Mobilitätsprojekt wie aus dem Bilderbuch“ umgesetzt. 13 Millionen Euro hat man sich den Anschluss von Welschnofen kosten lassen. Jetzt wartet das Dorf darauf, dass bald auch noch die Verbindung nach Moena verwirklicht wird. Dann stünde einer Latemar-Runde nichts mehr im Wege und man könnte der populären Sella Ronda ein neues Dolomiten-Erlebnis entgegen setzen. Dass die Skigebiete sich zusammenschließen müssen, um auch in Zukunft zu bestehen, weiß man bei Dolomiti Superski. Carezza würde sich am liebsten mit dem nahen Obereggen vernetzen, ist aber aus alter Tradition mit dem Fassatal verbandelt. Und so ein „Zonenwechsel“ ist schwierig, wie Siegfried Pichler, Direktor des Ski Centers Latemar-Obereggen und Präsident des Verbandes der Seilbahnunternehmen, zu bedenken gibt. „Die Fassaner“, fürchtet er, würden Carezza nur ungern verlieren.

Es hat sich eingeschneit. Und am nächsten Morgen lockt das Skigebiet mit lockerem Pulverschnee und frisch präparierten Pisten, auf denen wir hin und wieder die einzigen Menschen sind. Kein Anstehen an den Liften weder am Paolina Sessellift, der mit einer schwarzen Abfahrt droht noch an den Hubertus-Gondeln, in denen man die Märchen und Sagen, die sich um den Rosengarten ranken, nachlesen kann. Keine Schlangen am Christomannos-Sessellift, kaum jemand an den Schleppliften. Nur die Hütten sind voll, liegt wohl an der Mittagszeit.

 

Am Nachmittag wollen wir uns anderweitig umsehen. Auf der anderen Seite, in Deutschnofen, das zum Skigebiet von Obereggen gehört. Früher fuhr hier ein Skibus. Wenigstens diese Verbindung sollte sich wieder einrichten lassen, wenn es nach den Verantwortlichen der beiden Talschaften geht. Eine Winterwanderung hat Herbert Pichler, früher Lehrer im Ort und inzwischen als Kulturwanderführer viel gefragt, vorgeschlagen. Wer mit dem knorrigen Pensionisten unterwegs ist, muss sich warm anziehen. Denn so eine Kulturwanderung im Winter kann eine kalte Angelegenheit sein. So viel gibt es zu sehen: die umstehenden Berge vom Rosengarten bis hin zu König Ortler, die gotische Dorfkirche, den alten Ortskern mit dem Schloss und vor allem das Kirchlein Fresko Sankt HelenaSankt Helena mit den fabelhaften Fresken aus dem Jahr 1410. Eiskalt ist es in der Kapelle, aber beim Anblick dieses in die Kirchenwände gemalten Bilderbuches wird uns warm ums Herz. So schön sind die Gesichter, so naiv die Bilder und so spannend die Geschichten, die Herbert Pichler dazu weiß: Dass bei der Restaurierung vor 20 Jahren die Eva den (später aufgemalten) Bikini wieder verloren hat. Dass auf dem Fresko über die Flucht nach Ägypten Bergleute in der damaligen Tracht zu sehen sind. Dass dieser wunderschöne Bilderreigen in der Pestzeit mit Kalk übermalt wurde und deshalb so gut erhalten ist.

 

Im Kreuzhof gegenüber können sich die Kulturwanderer dann aufwärmen und stärken. Für vier Euro gibt’s eine deftige Knödelsuppe, acht Euro kostet die Flasche Hauswein. Die Kommentare der Altbäuerin gibt’s gratis dazu. Über das Anspruchsdenken der heutigen Jugend erregt sich die 81-Jährige, die als Kind schon harte Arbeit gekannt hat. „Früher waren andere Zeiten“, sagt sie ein bisschen wehmütig, während die Schwiegertochter nachsichtig lächelt und noch ein Glas wärmenden Punsch aufgießt.
Inzwischen hat sich der Nebel verzogen, der Himmel ist wolkenfrei und am Abend leuchtet der Rosengarten grade so, als hätte der legendäre Zwergenkönig die rote Lampe angezündet. Der nächste Tag wird wohl ein Traumtag in König Laurins Winterreich.

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