Ein Mann auf der Reise zu sich selbst: Paulo Coelhos „Aleph“

Wer würde nicht gerne einmal in die Vergangenheit reisen, weit zurück über die Jahrhunderte, auch wenn er da Dingen begegnen würde, die weh tun? Doch dazu muss man wohl Paulo Coelho heißen und einen heißen Draht zum Aleph haben, jenem Punkt, an dem Zeit und Raum zusammenfließen. Davon jedenfalls handelt das neueste Werke des brasilianischen Bestseller-Autors, der ganz offensichtlich die Welt von seiner Mission überzeugen will.

Coelho ist ein Phänomen. Seit dem Megaseller „Der Alchimist“, der den
Ex-Hippie zum meist gelesenen lateinamerikanischen Schriftsteller
beförderte, hat er die Welt alljährlich mit Büchern beglückt, in denen
eine eher dürftige Handlung mit wohlfeilen Kalender-Sprüchen zum
„magischen Roman“ aufgeplustert wird. Auch diesmal ist das nicht anders.
Der 61-jährige Prophet der Reinkarnation und bekennende Internet-Junkie
erlebt auf einer winterlichen Reise mit der Transsib und mit Hilfe
einer jungen Geigerin das Aleph und begegnet einer früheren Inkarnation
bei der Inquisition. Wobei die junge Frau sein ganz persönliches Opfer
ist.
Coelho, der diese Geschichte einer doppelten Reise nach eigenen Angaben
innerhalb von drei Wochen „mit seiner Seele“ niedergeschrieben hat,
beruft sich dabei auf den großen Jorge Luis Borges und seinen Erzählband
Das Aleph“ aus den vierziger Jahren. Auch Internet-Guru Sascha Lobo
hat in einer seiner Kolumnen darauf Bezug genommen, dass in einer der
Erzählungen Borges` Held eine irisierende Kugel findet, die das gesamte
Universum beinhaltet. „Durch dieses Aleph kann man jeden Ort, jeden
Gegenstand und jede Person der Welt sehen“. Was Lobo an eine „magische
Form des Internets“ erinnert, dient Coelho als Gerüst für eine erneute
„Pilgerreise“ ins eigene Ich, garniert mit einer platonischen
Liebesgeschichte, schamanistischem Geraune und Impressionen einer
Eisenbahnreise – vor allem aber einer grandiosen Selbstinszenierung.
„Ich lebe, mit jeder Pore, jeder Zelle meines Körpers lebe ich, als gäbe
es keinen Anfang und kein Ende, als wäre ich nie geboren worden und
würde nie sterben“ heißt es da einmal. Wie schön für den Autor, der
ehrlicherweise eingesteht: „Schreiben bedeutet vor allem, mich selbst zu
entdecken.“ Erstaunlich nur, dass ihn Leser massenhaft auf dieser doch
eher eigennützigen Entdeckungsreise begleiten wollen. Und das, obwohl
sie nicht einmal durch die Lektüre seiner Bücher hoffen können, selbst
ähnlich großartige Erfahrungen zu machen. In den Anmerkungen am Ende des
Buches warnt der Autor explizit vor der Übung mit dem Ring (der ihn in
andere Welten katapultiert): „Wie ich bereits erwähnte, kann eine
Rückkehr in die Vergangenheit ohne Kenntnis des Verfahrens dramatische
und unheilvolle Konsequenzen haben.“ Man muss wohl Coelho heißen, um
solche Reisen unbeschadet zu überstehen. 
Paulo Coelho, Aleph, Diogenes, 310 S., 19,90 Euro 

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