Düster wird’s um Harry Potter

Harry Potter and the Half-Blood Prince
(Buch)
Seiten: 652
ISBN: 0439785960

Viel wurde im Vorfeld gerätselt, wer denn der Tote im neuen Harry Potter sei. Harrys beste Freunde Hermine oder Ron? Sein Mentor Dumbledore oder Hagrid, der Riese mit dem kindlichen Gemüt? Jetzt ist das Buch ­ in Englisch ­ auf dem Markt, und jeder kann nachlesen, wer dem erstarkenden Bösen zum Opfer fällt. Allerdings macht Joanne K. Rowling das Lesen zur Geduldsprobe. Denn um die Legende vom armenWaisenkind Harry, das zum Helden einer romantischen Gegenwelt wird, weiterzuspinnen, braucht sie 600 Seiten.Es sind 600 Seiten, die auf den Endkampf zwischen Gut und Böse vorbereiten, der im siebten Band geschlagen werden muss. Seiten, in denen Harry akzeptiert, dass er der „chosen one” ist, der Erwählte, der das Zauberreich vom Bösen erlösen muss. 600 Seiten aber auch, in denen Harry mit Hilfe seines Mentors Dumbledore dem „dunklen Lord” näher kommt und seinem Geheimnis auf den Grund gehen darf: Voldemort hat seine Seele sieben Mal geteilt.
Die Abgrenzung zwischen Rowlings zwei Welten wird zunehmend löchrig. Schon das Anfangskapitel lässt ahnen, dass dieser Harry-Potter-Band düster sein wird: „Wir befinden uns im Krieg”, warnt der abgesetzte Zaubereiminister Fudge. Die Anhänger Voldemorts bedrohten nicht nur die guten Zauberer, sondern auch die Muggles, die gewöhnlichen Sterblichen außerhalb der magischen Welt, mit Massenmord. Das klingt makaber in einer Zeit, in der Selbstmordattentäter die britische Hauptstadt in Angst und Schrecken versetzen. Oder beklemmend hellsichtig ­ wie vieles in dieser Zaubersaga. „Es ist das Unbekannte, das wir fürchten, wenn wir auf Tod und Dunkelheit schauen, nichts anderes,” sagt der weise Dumbledore zu seinem Schüler. Doch Harry ist noch längst nicht weise. Der mittlerweile 16-Jährige hat noch einen weiten Weg vor sich, bis er versteht, was sein Lehrer gemeint hat. Zwar ist er über die Schülerstreiche hinausgewachsen, aber er ficht weiter Kämpfe mit seinem Lieblingsfeind Snape aus, verliebt sich endlich einmal und führt sich dank eines gebrauchten Buches beim neuen Lehrer für Zaubertränke als genialer Braumeister ein. Das Buch, von einem „Half-Blood Prince” signiert und mit Anmerkungen versehen, entpuppt sich als Fundgrube für magische Heldentaten, und bis zum Schluss ahnt Harry nicht, wem er seinen Wissensvorsprung zu verdanken hat\x0e.\x0e.\x0e.
Geheimnisvolles Halbblut
Der geheimnisvolle Halbblut-Prinz wird erst kurz vor Schluss entlarvt ­ dann weiß man auch, wer den fein gesponnenen Intrigen innerhalb Hogwarts zum Opfer gefallen ist. Vieles wirkt konstruiert, ja fadenscheinig an dieser Auflösung. Am Ende hat sich die Schulfestung trotz größter Sicherheitsmaßnahmen dem Eindringen der Feinde nicht widersetzen können. Harry wird seinen letzten Kampf außerhalb des geschützten Raumes ausfechten müssen ­ und ohne seinen alten Lehrer.
Harry ist reifer geworden ­ und langweiliger. Der „Ernst des Lebens” hat ihn fest im Griff. Auch die vielen skurrilen Gestalten, die man im Laufe der Bücher ins Herz geschlossen hat, müssen sich mit Nebenrollen begnügen. Ein Kurzauftritt für die Elfen, ein Begräbnis für Hägrids Riesenspinne, kaum Platz für Fred und Georges Schabernack. Nur das ewige verhinderte Liebespaar Ron und Hermine, die unheilbar naiven Mitarbeiter des Zaubereiministeriums und ein neuer eitler Lehrer, der gerne Promi-Partys veranstaltet, geben Rowling Gelegenheit, ihren Witz aufblitzen zu lassen.
Die Autorin nimmt sich auch selbst auf die Schippe: „Wo ist die Biographie von Harry Potter, auf die wir alle warten?,” fragt ein Partygast. Die Leute seien ganz wild darauf, versichert er Harry und bietet ihm an, das Buch zu schreiben. Keine Kunst, in ein paar Vier- oder Fünf-Stunden-Sitzungen und mit einigen Interviews sei die Biographie in ein paar Monaten zu schaffen: „Mein lieber Junge. Du hast keine Idee, wie viel Gold du machen könntest\x0e.\x0e.\x0e.Harry verzichtet dankend ­ seine Schöpferin hat Geld genug gemacht.
Mit einem 200-Seiten-Buch hat alles 1997 angefangen. Der Erfolg, den Jeanne K. Rowling mit ihrem Zauberlehrling hatte, rief viele Nachahmer auf den Plan. Bücher über magische Welten und heldenhafte Erlöser überschwemmen den Markt. Sie alle wollen die Sehnsucht der Menschen bedienen, aus dem Alltag in eine fremde Welt zu entfliehen. Rowlings sechster Harry Potter bietet diese Fluchtmöglichkeit nicht mehr. Die beiden Welten durchdringen sich. Auch im Universum der Zauberer hat der Terror Einzug gehalten.
J.K. Rowling: „Harry Potter and the Half-Blood Prince”; Bloomsbury, 608 Seiten, zwischen 16 und 25 Euro.

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