Es ist Freitagmorgen in Gizeh und wir fahren aus der Millionenstadt hinaus zu den Pyramiden. 4500 Jahre haben die gigantischen Pharaonengräber in der Wüste überstanden. Monumente einer grandiosen Selbstüberhöhung der ägyptischen Gottkönige. Doch die immer mehr anschwellende Stadt, Teil der 25-Millionen-Metropole Kairo, rückt dem Weltwunder immer mehr auf die Pelle. Wie eine Fata Morgana tauchen die drei Pyramiden zwischen den trostlos grauen Fassaden auf, die unbewohnt wirken wären da nicht die flatternde Wäsche oder die Fernsehschüsseln in den höhlenartigen Balkonen. Schafe und Ziegen grasen neben der Ausfallstraße, ein Pferdekarren rumpelt vorbei, auf provisorisch aufgestellten Stühlen sitzen ein paar alte Männer und rauchen Wasserpfeife.
Wir lassen die Betonsilos hinter uns, fahren vorbei an verstreuten, kleinen Häusern, die an einen Lego-Bausatz erinnern. Ein paar Flecken Grün, ein zwei Kühe, Bauern auf dem Feld, Esel, grau bestäubte Palmen, Frauen mit Lasten auf dem Kopf, Kinder, die Souvenirs feilbieten. Dann die Pyramidenstraße, zur Eröffnung des Suezkanals erbaut. Unvermittelt sind wir in der Wüste und vor den Pyramiden. Das Häusermeer liegt hinter uns.
Da stehen sie, heute so majestätisch wie vor 4500 Jahren: die gewaltige Cheops-Pyramide, die Chefren-Pyramide mit der hellen Spitze aus Kalkstein-Platten und die kleine Mykerinos-Pyramide. Zehntausende von Arbeitern haben diese Königsgräber Stein auf Stein aufgeschichtet – eine Art Startbahn in den Himmel. Wie sie die tonnenschweren Blöcke bis zu einer Höhe von 150 Meter aufeinander wuchten konnten, ist bis heute ein Rätsel. Seit kurzem aber weiß man, dass die harte Arbeit die Menschen zu Krüppeln machte. In der riesigen Nekropole stieß der amerikanische Archäologe Mark Lehner auf Überreste jener Siedlungen, in denen die Pyramidenarbeiten wohnten und auf Skelette mit deformierten Gliedmaßen und Knochenbrüchen – das Erbe körperlicher Schwerstarbeit. Die Nachfahren dieser Arbeiter verdingen sich heute als Führer ins Innere der (leeren) Pyramiden, als Kameltreiber oder sie verkaufen Souvenirs auf dem weitläufigen Gelände.
Die Sonne taucht die Pyramiden in Gold, in der flirrenden Hitze verschwimmt die nahe Stadt. Polizisten hoch zu Ross haben sich in den Schatten der Pyramide zurückgezogen. Vor den kleinen Königinnenpyramiden taucht ein Mann auf einem Kamel auf. Ein schönes Motiv.
Er winkt freundlich. „Take a picture“, sagt er, und „No money“. Ich lasse mich nicht lange bitten und zücke die Kamera. Es macht klick – und schon sitze ich auf dem Kamel und er hat meinen Fotoapparat in der Hand. Abdullah heißt der Mann, Moses, das Kamel, auf dem ich nun ganz unfreiwillig throne, mit einem Berbertuch auf dem Kopf.
Schon kommt noch ein Reiter um die Ecke, Abdullah reicht die Kamera weiter und gesellt sich zu mir auf das Kamel. Moses hält stoisch still, während der Neuankömmling, Sami, fotografiert. Dann setzt sich Moses in Bewegung. Ich werde misstrauisch. Hier zwischen den Königinnen-Pyramiden ist außer uns niemand. Was wollen die beiden? Meinen Fotoapparat? Geld? Oder noch mehr? Ich will meine Kamera, gestikuliere heftig. „Keine Angst“, sagen Abdullah und Sami im Chor. „Da hinten ist noch ein viel schöneres Fotomotiv.“
Irgendwie habe ich das komische Gefühl, in einer Falle zu sitzen. Denn allein komme ich von Moses nicht runter. Es schaukelt ohnehin gefährlich, ich habe Angst herunterzufallen und klammere mich an Abdullah. Und dann bleibt Moses stehen wie auf Kommando, Sami fotografiert. Ich schaue mich vorsichtig um. Tatsächlich, von hier aus hat man alle drei Pyramiden im Blick und mich davor. „Zufrieden?“ fragt Sami lauernd. Ich nicke zögernd. „Kostet 40 Dollar“, sagt der Ägypter und hält die Hand auf. „40 Dollar?“ rufe ich empört. „Ihr spinnt wohl! Das ist viel zu viel.“ Sami beginnt zu erklären, wie nötig er und Abdullah das Geld hätten. Fünf Kinder habe er. „Wir Ägypter lieben Kinder. Aber wir müssen Geld verdienen, um sie satt zu bekommen.“ Ich lange in meine Tasche, hole ein Bündel Dollar raus und ziehe einen Zehner. „Mehr nicht“, sage ich trotzig. Sami greift nach dem Schein und steckt ihn lächelnd weg. Wir reiten ein Stück zurück, zwischen den Königinnen-Pyramiden hält Sami die Kamele an und gibt mir die Kamera zurück. Er mustert mich und sagt: „Du bist nicht glücklich, ich gebe dir das Geld zurück.“ Das will ich nun auch wieder nicht. Die beiden sind mir plötzlich sympathisch. „Behaltet es“, sage ich großzügig und das lässt sich Sami nicht zweimal sagen. „Abdullah bringt dich zurück“, erklärt er großspurig und winkt zum Abschied.
Am Ausgangspunkt hilft mir Abdullah vom Kamel ganz wie ein Kavalier der alten Schule und sagt wie entschuldigend, er habe doppelt soviel Kinder wie Sami und Moses sei sein einziges Kapital. Ich schau ihn mir an – den struppigen Schnurrbart, die graumelierten Haare, die kaputten Zähne, das zerfurchte Gesicht – und lege ihm noch mal fünf Dollar in die schwielige Hand. Ein breites Lächeln erhellt sein dunkles Gesicht, er drückt mir die Hand und einen Kuss auf die Wange. „Allah sei mit dir“, flüstert er und „Komm’ gut nach hause.“
Die anderen aus der Gruppe warten schon und lachen. Sie haben meine Rückkehr beobachtet – und die eines anderen Mitreisenden. Er hatte wohl nicht so viel Glück wie ich und ist seine ganze Barschaft losgeworden.
Gemeinsam fahren wir zur Sphinx, dem Wahrzeichen im Tal von Gizeh. Halb Mensch, halb Löwe wacht das 20 Meter hohe Monument seit Jahrtausenden über die Pyramiden. Vögel sprenkeln das mächtige Haupt wie kleine Punkte, die Nase ist beschädigt und doch strahlt dieses steinerne Fabelwesen eine fast magische Anziehungskraft aus. Ein unergründliches Lächeln umspielt die Lippen als wäre die Sphinx stolz darauf, ein Mysterium zu sein, rätselhaft wie Ägypten selbst und seine Menschen.