Er trägt Jeans und Turnschuhe und wirkt trotz des goldenen Siegelrings so gar nicht wie ein sizilianischer „barone”: Doch Ottavio Cappellani, der neue Stern am italienischen Literaturhimmel, stammt aus einem uralten Adelsgeschlecht, das seine Wurzeln auf österreichische Templer-Ritter zurückführt, die im elften Jahrhundert auf Sizilien hängen blieben und vom Papst als Dank für ihren Einsatz bei den Kreuzzügen Land bekamen. Seit der Landreform in den fünfziger Jahren, bei der die Familie ihre Palazzi und einen großen Teil der Ländereien verlor, haben sich die Cappellanis nach Catania zurückgezogen. Dort wurde Ottavio vor 35 Jahren geboren. Und ausgerechnet er, der Sohn aus gutem Haus, der studierte Philosoph, Gelegenheitsjournalist und -Komponist, hat einen Mafia-Roman geschrieben. Buch gewordene Pulp Fiction urteilten die Kritiker und warfen dem Autor vor, mit seiner lakonischen Umsetzung das Thema zu verharmlosen. Lilo Solcher sprach mit Ottavio Cappellani in Catania.
Frage: Was hat Sie dazu veranlasst, ausgerechnet ein Buch über das neuralgische Thema Mafia zu schreiben?
Cappellani: Es gibt viele Gründe, die für das Thema Mafia sprachen. Schon lange Zeit hat kein Sizilianer mehr die Mafia so beschrieben, wie sie heute ist. Es gibt sehr gute amerikanische Autoren, die über die organisierte Kriminalität in Amerika geschrieben haben aber eben keinen zeitgenössischen sizilianischen Mafia-Roman.
Frage: Ist denn die Mafia noch so lebendig, wie Sie es in Ihrem Buch beschrieben haben?
Cappellani (nickt): Das ist noch ein Grund für mein Buch. Früher war die Mafia ein Symbol für die Tyrannei der Macht. Mein Roman zeigt, dass es keine organisierte Diktatur mehr gibt. Es herrscht reine Anarchie, weil alle Strukturen aufgebrochen sind. Wenn die ursprüngliche Mafia ein perverses Machtsystem mit einem Paten vergleichbar mit dem Barock war, ist die heutige reiner Selbstzweck wie Rokoko-Kitsch.
Frage: Das müssen Sie näher erklären…
Cappellani: Früher wurde der Gebrauch von Gewalt innerhalb der Mafia durch einen komplexen (Ehren)Kodex gerechtfertigt. Heute gibt es Fälle sinnloser Gewalt, so dass ein Leibwächter seinen Patron umbringen kann.
Frage: Gibt es Reaktionen der Mafia auf Ihr Buch?
Cappellani (dreht den Siegelring und faltet die Hände): Ich habe die Waffe der Ironie benutzt und die verstehen nicht nur diese Leute nicht. Es gab sogar Schelte von Seiten der Kritiker, die mir vorwerfen, ich würde mich über die Mafia lustig machen und dadurch das Thema verharmlosen.
Frage: In welcher Tradition sehen Sie sich als Autor?
Cappellani: Ich schöpfe aus der deutschen Philosophie ebenso wie aus der zeitgenössischen anglo-amerikanischen Literatur. Bei beiden geht es doch darum, wie der Mensch mit den Dingen umgeht, die ihm passieren.
Frage: Mario Puzo hat mit dem Paten einen Mafia-Klassiker geschrieben. Sehen Sie Ihr Buch als Anti-Paten?
Cappellani (lacht): Nein, überhaupt nicht. Eher als Anti-Camilleri. Denn anders als Camilleri, der den Kommissar in den Mittelpunkt seiner Krimis stellt, schreibe ich vom Standpunkt der Mafiosi aus.
Frage: Und da sind Frauen entweder Huren oder Hausfrauen?
Cappellani (zündet sich eine Zigarette an und bläst den Rauch in die Luft): In Sizilien ist die Rolle der Frau immer noch sehr traditionell. Das heißt, der Mann gibt den Ton an. Ich will das nicht bewerten. Ich versuche nur, ehrlich zu sein.
Frage: Manche Szenen in Ihrem Buch muten fast surreal an. Woher nehmen Sie die Inspiration?
Cappellani: Schauen Sie sich doch um in Catania. Da ist nichts dazu erfunden. Das ist alles Wirklichkeit. Sizilianische Wirklichkeit. Hier kann ein Mann für lyrische Opern schwärmen und gleichzeitig als Waffenhändler Pumpguns verhökern.
Frage: Seitenweise liest sich Ihr Buch wie eine Gebrauchsanweisung zu einem Film. Können Sie sich vorstellen, dass Lou Scortino verfilmt wird?
Cappellani: Klar. Ich habe schon Anfragen aus Italien. Auch Hollywood hat Interesse gezeit, will aber die englische Version noch abwarten.
Frage: Und ihr neues Buch…
Cappellani: … handelt vom Theater, das auf Sizilien immer schon eine große Rolle gespielt hat.
16Sep. 2005