Das Wunder von Fatima – Vor 90 Jahren berichteten Hirtenkinder von einer Muttergottes-Erscheinung

Der Man liegt auf den Knien. Oder besser: er rutscht auf den Knien. Dabei trägt er nicht einmal Knieschützer, wie es sie hier überall zu kaufen gibt – für 3,50 Euro das Paar. Der Mann möchte den harten Betonboden unter seinen Knien spüren wie Tausende vor ihm. Er hat noch einen weiten Weg vor sich bis hinunter zu dem viereckigen Glaskasten, der an der Stelle steht, wo die Gottesmutter vor 90 Jahren den drei Hirtenkindern von FatimaLucia, Francisco und Jacinta – erschienen sein soll.


Und wenn er unten angekommen ist, wird der Mann die Kapelle umrunden,
einmal mindestens, vielleicht auch öfter. So wie andere vor ihm: die
Mutter an der Hand ihres Sohnes, der Vater, geführt von der Tochter,
die junge Frau mit dem Baby im Arm. Der Mann ist allein, aber er ist
Teil der großen Gemeinschaft all derjenigen, die an das Wunder von
Fatima glauben. „Ein Riesenbetrug oder eine große Wahrheit“, sei
Fatima, urteilte ein Skeptiker. An die große Wahrheit glauben Millionen
von Pilgern, die alljährlich zwischen Mai und Oktober in das kleine
Dorf in Portugal strömen, das den Namen der Lieblingstochter des
Propheten Mohammed trägt (auch Portugal war Jahrhunderte unter
arabischer Herrschaft).
Fünf Millionen Pilger sind es jährlich, sagt Bischof Antonio Augusto
dos Santos Marto
, seit einem Jahr zuständig für Fatima. Und heuer, im
Jubiläumsjahr sollen es noch mehr werden, die Fatimas Botschaft
annehmen. „Glaube, Liebe, Hoffnung“, beinhalte sie, versichert der
Bischof, sie sei aber auch „ein Aufschrei des Schmerzes, damit die
Kirche sich der Dimension des Bösen“ bewusst werde. Monsignore hofft,
das auch Papst Benedikt zum Jubiläum nach Fatima kommt – vielleicht um
die neue Basilika einzuweihen.
Es ist ein Bau von gigantischen Ausmaßen, rund und trutzig, der
gegenüber der alten Basilika entsteht. Eine Kirche, in der 9000
Gläubige Platz finden werden. Mit Klimaanlage und toller Akustik, mit
Pressezentrum und VIP-Bereich, mit drei unterirdischen Kapellen und
einem großen Raum für Beichten. Eine Arena des Glaubens und ein
Sinnbild von der Macht der Kirche, die 1989 beim Fall der Mauer den
glaubensfeindlichen Kommunismus in die Knie zwang, ganz so wie es die
Muttergottes den Kindern prophezeit hatte: „Am Ende wird mein
unbeflecktes Herz triumphieren“. Ein Stück der Berliner Mauer hinter
Glas erinnert an das historische Ereignis.
Für Papst Johannes Paul II. kam der Mauerfall nicht unerwartet. Die
Geheimnisse von Fatima hatten ihn darauf vorbereitet. Viel war schon
vorher geschehen. Hatte nicht Lucia auch prophezeit, dass der Papst
sehr leiden müsse und Opfer von Schüssen würde? Am 17. Mai 1981
feuerte der Türke Mehmed Ali Agca auf Johannes Paul II. und verletzte
ihn lebensgefährlich. Der Papst überlebte das Attentat, er schenkte
Fatima die Kugel des Attentäters und sprach 19 Jahre später die Kinder
Francisco und Jacinta selig. Mit Lucia hat er sich gerne unterhalten,
und Kardinal Ratzinger, der ihm später als Benedikt XVI. nachfolgte,
war ebenfalls beeindruckt von der frommen Frau. Lucias Buch, so der
jetzige Papst, werde „das geistliche Tagebuch des 21. Jahrhunderts“.
Als Nonne lebte das älteste der Kinder von Fatima, wie die Muttergottes
vorhergesagt hatte, noch lange, nachdem die beiden anderen diese Welt
schon verlassen hatten. Lucia lernte Lesen und Schreiben und notierte
auf Geheiß des Bischofs alles, was sie erlebt und gehört hatte. 92
Jahre alt wurde die Seherin und als sie am 13. Februar 2005 im
Kloster Santa Teresa in Coimbra starb, ahnten die Mitschwestern, dass
ihr Kloster nicht mehr dasselbe sein würde. „Die Erregung wuchs“,
notierte die Äbtissin, „als uns bewusst wurde, dass uns ein großer
Schatz verließ“. Die stets bescheidene Schwester Maria Lucia vom Jesus
des unbefleckten Herzens hatte die Gläubigen angezogen wie ein Magnet.
Weil sie während der Messe hinter einem Gitter saß und betete, hätten
sich alle Priester nach der Lesung gedrängt, erinnert sich Pfarrer
Bouche. Der 62-jährige Priester, der mit dem Bayerischen Pilgerbüro
schon über 100 Mal nach Fatima wallfahrtete, ist noch heute von der
Ausstrahlung der alten Frau beeindruckt: „Ich habe ihr gesagt, dass ich
meine Berufung in Fatima erfahren habe. Da hat sie mich umarmt.“ Und er
erinnert sich an den Triumphzug, zu dem die Umbettung des Sarges nach
Fatima wurde. Die 200000 Gläubigen („es war als sei Lucia unter
ihnen“), den Sturzregen, der blitzartig aufhörte, als die Prozession
mit dem Sarg nach draußen kam, den Sonnenschein, der über den Menschen
lag wie eine Gloriole und das schlimme Unwetter, das losbrach, als alle
sicher in der Basilika versammelt waren.
Solche Phänomene sind nichts Neues für Fatima. Der kleine Francisco
berichtete: „Wir brannten in jenem Licht, das Gott ist, aber wir
verbrannten nicht.“ Und damals, als kaum jemand den Kindern glauben
mochte und trotzdem die Neugierigen in Scharen nach Fatima strömten,
hat es eine fantastische Himmelserscheinung gegeben, die auch die
Ungläubigen sahen. Während Lucia und ihre kleinen Freunde in den
Anblick der weiß gekleideten „Dame“ vertieft waren, tanzte die Sonne
über Fatima und versetzte die neugierige Masse zunächst in Angst und
Schrecken und dann in Ehrfurcht.
Am frühen Morgen, wenn rosenrote Wolken über der Basilika schweben,
und in der Erscheinungskapelle die ersten Lobgesänge erschallen, kann
man sich vorstellen, was da passiert sein mag. Auch wenn der Platz sich
verändert hat. Wo einst die Kinder ihre Schafe weideten und wo die
Jungfrau auf einer Wolke über der Steineiche schwebte, ist alles mit
Beton versiegelt. Auch die Steineiche steht nicht mehr, übrig geblieben
ist nur der benachbarte Baum. Draußen vor dem Gelände können fromme
Pilger alles kaufen, was sie für ein Opfer brauchen. Blumengebinde
und mannshohe Kerzen, wächserne Beine, Arme oder Babys; selbst einen
Darm aus Kerzenwachs gibt es. Die wächsernen Opfergaben landen im
Feuer und schmelzen, das Wachs wird für neue Kerzen wieder verwendet.
Der kniende Mann hat mittlerweile die Erscheinungskapelle erreicht.
Er kniet zwischen den Kirchenbänken ins Gebet versunken, während um
ihn herum italienische Pilger und japanische Touristen kommen und gehen.
Vielleicht folgt er ihnen später hinaus aus dem Häusermeer des neuen
Fatima – nach Aljustrel, wo Lucia, Francisco und Jacinta zu Hause waren
und wo die Natur noch so ist wie einst, als die Kinder ihre Schafe
hüteten. Der kleine Ort ist von Souvenirläden überzogen. Vor lauter
Devotionalien und Folklore-Krimskrams sieht man kaum die kleinen
Häuser, in denen die drei Kinder aufgewachsen sind. Die Bürger von
Aljustrel leben gut mit dem Geheimnis von Fatima. Ein Fußweg führt
hinaus aus dem Dorf, hin zu dem Kreuzweg, den Exilungarn spendeten.
Für viele ist das der Höhepunkt ihrer Wallfahrt, ein Ort der
Volksfrömmigkeit. Eine Familie geht vorbei, Rosenkränze um die Hände
geschlungen. Der Vater betet vor, Mutter und Kinder sprechen ihm
nach. Singend nähert sich eine andere Gruppe. Auch Pfarrer Bouche
spricht ein Gebet, in dem er für das Wunder von Fatima dankt.
Was ist ein Wunder für ihn? Der Priester muss nicht lange nachdenken. „
Ein Wunder? Das ist alles, was sich der menschlichen Vorstellungskraft
entzieht“. In diesem Sinn ist Fatima ein Wunder – bis heute.

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