Das Leben der anderen: Lottie Mogachs „Ich bin Tess“

Leila ist ein Aschenputtel, das noch keinen Prinzen gefunden hat. Bis der Internet-Guru Adrian sie auf Tess stößt, eine attraktive, lebensgierige Frau, die an schweren Depressionen leidet. Obwohl begehrenswert und von vielen geliebt, will Tess Schluss machen, die Achterbahnfahrt ihres Lebens beenden – und Leila soll ihr dabei helfen. Nicht als Sterbehelferin, sondern indem sie in die Rolle von Tess schlüpft. Wie das gehen soll? Über eine virtuelle Existenz. „Ich bin Tess“ heißt das Buch von Lottie Moggach, das eine neue,  erschreckende Dimension des Webs thematisiert.

Ich bin Tess“ – mit diesem Gedanken freundet sich die unscheinbare Leila immer mehr an. Nachdem ihre Mutter gestorben ist, mit der sie eine Art Symbiose verbunden hat, fehlt ihrem Leben der Sinn. Da kommt Tess mit ihrem Wunsch, Leila möge im Internet ihr Leben fortführen, gerade recht. Mit Verve stürzt sich Leila auf die neue Aufgabe, saugt sich voll mit Tess‘ Geständnissen eines Lebens im Rausch der Gefühle. Und hat auch keine Skrupel, die vor dem letzten Schritt zurückschreckende Tess zum Selbstmord zu drängen. Von Adrian, den sie über eine Philosophie-Website kennengelernt hat, fühlt sie sich in ihrem Tun bestärkt. „Es war als hätte ich einen Avatar, nur noch viel besser“, gesteht Leila. Zunehmend verwischen sich die Grenzen zwischen ihrem Alltag und dem virtuellen Weiterleben von Tess, das sie sich ausdenkt. Und zunehmend verliert Leila die Bodenhaftung. „Ich bin Tess“ wird zu ihrer Obsession. Als Connor, ein Ex-Freund von Tess, auf ihre Facebook-Posts reagiert, beginnt sie in Tess‘ Namen einen E-Mail-Flirt, in den sie sich so hineinsteigert, dass sie am Ende davon überzeugt ist, Connor und sie könnten ein Paar werden. 
Die harte Landung auf dem Boden der Tatsachen bleibt nicht aus. Connor weist Leilas Avancen voller Abscheu zurück, nachdem sie ihm ihre wirkliche Rolle gestanden hat. Adrian wird als Betreiber einer Selbstmord-Seite von der Polizei gejagt, und Leila versucht herauszufinden, was mit wirklich mit Tess geschehen ist. Dabei kommt sie dem echten Leben so nahe wie nie zuvor, lernt echte Menschen kennen, die echte Freunde sein könnten. Facebook ist ihr immer noch wichtig und da vor allem eine rätselhafte Freundin, die sie nicht enttarnen kann. Aber vielleicht schafft sie doch noch den Schritt von der virtuellen in die reale Welt. 
Info: Lottie Moggach, Ich bin Tess, Script 5, 352 S., 17,95 Euro, ab 15

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