Braune Saat – Das neue Buch von Gudrun Pausewang

Sie hat es immer schon verstanden zu provozieren, aufzurütteln. Kein Thema war zu heikel für Gudrun Pausewang, die vielfach ausgezeichnete Jugendbuch-Autorin. Derzeit macht der Film „Die Wolke“ von sich reden. Er entstand nach dem gleichnamigen Buch, das Pausewang 1988 noch unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl geschrieben hatte. Und jetzt also „Die Meute“. Und damit wieder zurück zu Pausewangs großen Themen Krieg und Drittes Reich.

Auch zu diesem Buch hat die Autorin
sich wohl von aktuellen Meldungen inspirieren lassen. Doch diesmal ist
es nicht ein Chor von Meinungen wie in „Die Wolke“. Diesmal stehen zwei
Personen für zwei gegensätzliche Welten.
Der 14-jährige Paul fährt in den Ferien wie alle Jahr zu seinem Großvater. Doch diesmal ist alles anders. Diesmal fährt er allein. Seine Mutter hat sich mit ihren Eltern überworfen. Aber Paul liebt seinen Großvater, der dem vaterlosen Jungen in vielem ein Vorbild ist – ein richtiger Bilderbuchopa. Der alte Mann ist sportlich, naturverbunden und im Dorf hoch angesehen. Paul ist stolz auf seinen Opa. Und in diesem Jahr hat er sogar noch mehr Grund dazu, denn sein Opa stellt einer Jugendgruppe seine Schmiede als Heim zur Verfügung.

Mit Feuereifer stürzt sich Paul in die Arbeit, die Schmiede wohnlich zu gestalten. Er ist begeistert von dem Gedanken an eine Gemeinschaft gleich gesinnter junger Leute. So etwas kennt der Großstadtjunge nicht. Sein Opa, der kannte das. Die Erzählungen des alten Mannes machen Paul aber auch nachdenklich. Ist sein Großvater ein Nazi? Das will Paul nicht glauben. Für ihn ist sein Opa der beste Mensch auf der Welt, auch wenn er manchmal etwas merkwürdige Ansichten hat.

Dann kommt der Abend, an dem die Schmiede eingeweiht wird und an dem der Gruppenführer Ulrich auftaucht. Die Gemeinschaft ist vollständig. Ein Grund zum Feiern. Nicht für Paul, dem endlich die Augen aufgehen. Nichts ist so wie er es sich gewünscht hätte. Im Gegenteil. Die braune Saat ist in dem kleinen Dorf aufgegangen. Dank der Alten, die sich nur mehr an das Gemeinschaftsgefühl in ihrer Jugend erinnern wollen und alles andere verdrängen. Und dank der jungen Leute, die sich nach der Nestwärme (und Macht) einer verschworenen Gemeinschaft sehnen. Ein Unschuldiger wird zum Opfer der Gruppenhysterie und Paul muss sich entscheiden, wohin er gehören will…
Gudrun Pausewang zeichnet das Bild eines Jungen, der hin- und her gerissen ist zwischen der nüchternen Weltsicht seiner Mutter und den „Idealen“ seines Großvaters. Paul würde sich so sehr wünschen, auch mal dazuzugehören, dass er lange alle Zweifel an seinem Opa verdrängt, bis es fast zu spät ist. Und der alte Mann macht es ihm ja auch nicht leicht, sich zu entscheiden. Er kann etwas bewegen, kann junge Leute motivieren, kann sie von der Straße holen und ihrem Leben eine neue Richtung geben. Paul fühlt sich bei ihm geborgen. Bei ihm und Oma, die auch am liebsten von der guten alten Zeit schwärmt und dabei voller Fürsorge ist.
„Bis dahin dachte ich immer, dass Nazis richtige Fieslinge sind,“ sagt Paul zu seiner Mutter. „Deshalb konnte ich mir nicht vorstellen, dass Opa einer ist.“ Paul muss noch viel lernen, über die Doppelbödigkeit des menschlichen Lebens, über Segen und Fluch der Freiheit und über die Verantwortung jedes einzelnen. Pausewangs Buch ist eine Warnung vor der Wiederkehr deutscher Großmannsucht, vor dem Vergessen. Spannende Aufklärung für junge Individualisten und beste Klassenlektüre. Lilo Solcher

Gudrun Pausewang, Die Meute, 223 S., 12,95 €

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