Nachts hat das Wetter ein dramatisches Spektakel mit Blitz und Donner geliefert. Jetzt am frühen Morgen hängen noch dicke Wolken über den zerklüfteten Felsen des Wilden Kaisers. Noch immer grollt Donner und es regnet. Dabei wollen wir heute früh mit dem Kaser Sepp auf die Graspoint Hochalm und haben uns deshalb schon um 4 Uhr schweren Herzens von unseren kuscheligen Betten beim Stanglwirt verabschiedet.
Kurz nach 5 Uhr kommt er, der Kaser Sepp, wie Sepp Hechenberger von allen hier genannt wird. Wir werden mit dem Auto bis zur Regalm hochfahren, erklärt er und dass er es eilig habe. „Vollgas“ verlangt er, und der Fahrer gibt sich alle Mühe, den kurvenreichen Feldweg so schnell wie möglich zu fahren – bis zum Gatter, hinter dem es nicht mehr weiter geht. Jetzt heißt es laufen. Wie gut, dass wir die Schirme mitgenommen haben. Es regnet immer noch, die Wolken hängen tief.
Der Sepp rennt voran, wir hecheln hinterher. Manchmal bleibt er stehen und schaut hinter sich. „Geht’s no?“ fragt er. Dann beschleunigt er seinen Schritt, als hätte er schon zuviel Zeit verloren.
Vor der Hochalm drängen sich die Kühe, sie wollen gemolken werden. Stefan, der Melker, steht schon bereit. Nachts ist ein Kälbchen auf die Welt gekommen, Stefans Freundin Andrea hat sich darum gekümmert.
Der Kaser Sepp schaut mal schnell nach dem Rechten und enteilt dann in die Kuchl der Alm. Dahin, wo unter der russgeschwärzten Decke der schwere Kupferkessel hängt. Es ist 5.30 Uhr. Der Sepp macht Feuer unterm Kessel, reibt ihn nochmal gründlich aus und tröpfelt Milchsäure-Bakterien hinein. Dann füllt er ihn mit Milch vom Abend und frischer Milch aus dem Stall, wo Stefan schon die ersten Kühe gemolken hat.
Die Milch wird erhitzt, bis sie die Körpertemperatur einer Kuh hat – auf 36 Grad. Beißender Rauch erfüllt die Käsekuchl. Den Sepp stört’s nicht. Er ist das gewohnt. Seit 14 Jahren arbeitet er als Käser auf der Graspoint Hochalm. Auch als Kind war er im Sommer schon auf der Alm, Ferien wie heutige Kinder kannte der Bub nicht. Dafür war er immer nah dran an der Natur und hat ein Gespür entwickelt für das, was gut ist.
Mit 23 hat er eine Lehre zum Molkereimeister gemacht. Doch nach 24 Jahren in der Milchwirtschaft hatte er erst einmal genug und gönnte sich eine Auszeit, in der er sich als Bergführer ausbilden ließ. Und dann kam der Stanglwirt. Als Käser auf der Graspoint Hochalm am -Fuß des Wilden Kaisers ist der Sepp zur Ruhe gekommen.
Das soll freilich nicht heißen, dass es ihn nicht weiterhin in die Berge zieht – und auf die höchsten Gipfel. Vor vier Jahren war er am Manaslu „ohne Sherpa“ und ist mit Skiern abgefahren. Auch den Everest hat der Sepp im Visier. Nur heuer wurde es nichts damit: „I war im Kopf no net bereit.“
Inzwischen ist die Milch warm genug zum Einlaben. Pro 100 Liter löst der Sepp einen Löffel Labpulver in Wasser auf. Dann gönnt er der Milch eine halbe Stunde Zeit – und uns auch. „Das Frühstück,“ sagt er, „ist die schönste Zeit auf der Alm.“ Käse hat er auf den Tisch gestellt, ein großes Stück Butter, einen Laib Brot und Marmelade. Den Kaffee gibt’s in Bechern mit einem Schuss dicker Sahne.
Zwei Stunden sind vergangen, der Sepp hat x-mal die Schuhe gewechselt, ist zwischen Stall und Stube hin- und her gerannt, hat zwischendurch amtliche Papiere ausgefüllt und immer ein Auge auf den Kessel gehabt. Jetzt nimmt er die Harfe, um den Bruch von der Molke zu lösen. Dann muss wieder gerührt werden. Dafür hat der Sepp ein Maschinchen konstruieren lassen, das mittels Solarenergie und dem Motor eines Golfbällesammlers, Molke und Bruch umrührt. Die Idee hat er aus Russland mitgebracht getreu dem Motto „Blöd kannst sein, aber zu helfen musst‘ dir wissen.“
Und während das Maschinchen vor sich hin rührt, kann der Sepp Holz nachlegen und die Ränder der Käselaibe von gestern beschneiden. Um 9 Uhr nimmt er den schweren Kessel vom Feuer und gönnt dem Ganzen eine „Nachkäsungszeit“.
Dabei erzählt er von der Jahrhundertlawine am Wilden Kaiser, die bis nach Going kam und erinnert sich an den Hebst, als er zehn Tage lang mit den Schweinen und dem Käse auf der Alm fest saß, weil der Wintereinbruch so früh kam.
Dann wird noch einmal fest gerührt, bis sich in der Mitte ein Trichter bildet.
Schließlich greift der Sepp nach dem Käsetuch, hält es mit den Zähnen fest und fischt damit und vollem körperlichen Einsatz in der Flüssigkeit nach dem Käse. Die Flüssigkeit lässt er abtropfen, ehe er das ganze in einen Käsering presst. Um 9.45 Uhr ist der zweite Pressvorgang fällig.
Dazwischen eilt der Sepp zwischen Kuchl und Keller hin und her, badet die frischen Käslaibe in der Salzlake, wendet die in den Regalen liegenden 20-Kilo-Laibe und reibt sie mit Rotschmiere ein. Krafttraining kann sich der drahtige Käser sparen. Die Arbeit auf der Alm hält ihn fit.
Und noch ist er nicht fertig. Der Kupferkessel muss ordentlich gereinigt werden – mit Kupfersand. Hygiene ist wichtig beim Käsen, das weiß der Sepp. Deshalb hat er auch immer wieder die Arbeitsflächen geputzt und seine Geräte ausgespült.
Draußen hat sich der Wilde Kaiser aus der grauen Wolkendecke geschält, der Sepp blinzelt in die Sonne, erzählt von seinen zwei Söhnen und den beiden Töchtern und von der Trekking-Tour in Nepal, die er mit einem wohlhabenden Gast des Stanglwirt im Herbst unternehmen wird. Die Zacken des Wilden Kaisers sind ihm so vertraut wie die Kühe im Stall. Man spürt, auf der Graspoint Hochalm ist der Kaser Sepp ganz bei sich.