Badenweiler: Der alte Mann und das Bad

Ja, früher, da war halt alles besser. Damals, in den 50-igern standen die Kurgäste Schlange und fanden oft kein Zimmer in Badenweiler. Heute ist es eher umgekehrt. Kein Wunder, dass Rudolf Gfell, 71, und seit Jahrzehnten als Gästeführer in Badenweiler unterwegs, sich Sorgen um die Zukunft macht. Um die Hälfte ist die Gästezahl in dem Städtchen zurückgegangen, viele der Gründerzeit-Villen stehen leer. Sanatorien werden abgerissen und erstehen neu als seniorengerechte Eigentumswohnungen. Für den gebürtigen Badenweiler keine Perspektive.
Der Kurort überaltert und könnte sich schon bald überlebt haben. Die Schuld gibt Gfell der kurfeindlichen Gesundheitsreform. Selbst das Grandhotel Römerbad, mit seinem schlossähnlichen Äußeren ein Aushängeschild des Markgräfler Örtchens, hätte es beinahe erwischt.

Dass in den ehrwürdigen Hallen und noblen Räumen wieder Leben eingekehrt ist, verdankt das Hotel – der Kur. Denn der neue Eigentümer, der seit 2005, 3,5 Millionen Euro in die Renovierung und Sanierung gesteckt und noch viel vor hat, hat sich als Kurgast in das traditionsreiche Gemäuer verliebt, wo schon Friedrich Nietzsche, Willy Brandt, Andy Warhol, Bernhard Minetti und Richard Tauber fürstlich residierten. In seinen Glanzzeiten gehörte das Grand Hotel zu den zehn besten Hotels in Deutschland und war Ehrenmitglied bei den Leading Hotels. „Ohne Anzug und Krawatte hat sich da keiner reingetraut“, erinnert sich Rudolf Gfell an die goldenen Zeiten.
Heute geht der alte Mann schon mal in Alltagskluft Kaffee trinken und trifft dann vielleicht auch den jungen Hoteldirektor Leif Mutschler – immer mit Krawatte.
Mutschler mit  modisch-eckiger Brille und gegelten Haaren Typ smarter Jungmanager, ist mit seinen 28 Jahren nicht nur der jüngste Direktor eines Grandhotels, sondern eigentlich ein Kind des Hauses. Gleich nach Abitur und Zivildienst hat er hier seine Hotelfachlehre mit Zusatzqualifikation Management gemacht. Im Eiltempo wurde der ehrgeizige junge Mann Sekretär, Assistent der Geschäftsleitung und schließlich Direktor und damit Herr über 76 Zimmer, 137 Betten und 80 Angestellte. 
Und Mutschler hat viel vor. „Kulturresidenz“ nennt sich das Grandhotel inzwischen. Die Kultur hat eine lange Tradition im Haus mit Musiktagen und Lesungen. Doch der junge Mann in der Chefetage will nicht nur die Tradition weiterführen, sondern die Zukunft sichern.   Mit dem „Deutschen Erzählerpreis“, der in diesem Jahr erstmals an Wolfgang Herrndorf verliehen wurde, ist ein Anfang gemacht. Der vom Hotel gestiftete Preis ist mit 5000 Euro dotiert und mit einem dreimonatigen Aufenthalt im Römerbad verbunden. Ein Hotelschreiber als Neuauflage des Turm- oder Stadtschreibers? Mutschler winkt ab. „Der Preisträger kann auch gar nichts schreiben und einfach das Hotel genießen. Obwohl…“, er lächelt schelmisch: „Inspirationen gibt’s hier genug.“ Nachzulesen bei Gabriele Wohmann und ihrem „Frühherbst in Badenweiler“ oder bei Anton Tschechow
Mutschler kennt seine Künstler. Eine Tschechow-Nacht könnte er sich vorstellen mit dem ganzen Hotel als Spielort. Der russische Dichter kam 1904 todkrank nach Badenweiler und machte auch Station im Grand Hotel. Bevor er knapp einen Monat später starb, notierte er: „Wir werden gewissenhaft verpflegt, sehr sogar. Aber ich kann mir vorstellen, welche Langeweile hier im Allgemeinen herrscht.“   Gepflegte Langeweile ist für Hoteldirektor Mutschler denn auch abschreckend. Er will seine Gäste unterhalten, will, dass sie jeden Tag genießen. Dafür soll auch Küchenchef Sascha Kölsch sorgen, der mit so manchem Küchenzauber nach dem ersten Stern greift. Dafür soll der gut sortierte Weinkeller  sorgen, den Hotelchef und Sommelier am liebsten mit auserlesenen Tropfen aus dem  Markgräfler Land füllen. Dafür sollen die kulturellen Events im Hotel sorgen und Abendunterhaltungen wie das Krimidinner. Und dafür soll auch der Römerkeller sorgen, wo die Gäste in lockerer Runde Bodenständiges speisen und Tagungsteilnehmer unter sich sein  können. Denn ohne Tagungen könnte Mutschler „sein“ Grandhotel nicht in die erhofften schwarzen Zahlen steuern. Gäste wie jene alte Dame, die alljährlich für 220 Tage mit Chauffeur anreist und in „ihrer Suite“ auch rauchen will oder wie die Unternehmerfamilie aus Köln, die immer für sechs Wochen einzieht, sind rar geworden. 
 „Badenweiler ist ein sehr origineller Kurort, aber worin seine Originalität besteht, ist mir noch nicht klar gewordne. Eine Menge Grün, der Eindruck der Berge, es ist sehr warm“, hatte Tschechow geschrieben. Da hat sich der kranke Dichter wohl nicht so recht umgesehen im Örtchen. Hat weder die Zähringer Burg angeschaut noch den mittelalterlichen Totentanz in der evangelischen Kirche. Und schon gar nicht die römische Badruine im weitläufigen Park, immerhin schon 1784 entdeckt, und heute unter Glas ein Muss für jeden Badenweiler-Besucher.  Streng symmetrisch ist die Doppelanlage konstruiert und spätestens im Höhlengang der Drainage muss man den Erfindergeist der römischen Bauherren bewundern. Die moderne Cassiopeia-Therme in unmittelbarer Nähe knüpft denn auch in ihrem Wellness-Bereich an die römischen Badetraditionen an.  
Vielleicht hätte Tschechow der Trubel in der Therme gefallen. Doch der Dichter litt schon lange an Tuberkulose und war deshalb in manchen Häusern – unter anderem im Grandhotel – nicht wohl gelitten. Auch nach seinem Tod tat sich Badenweiler schwer mit der Causa Tschechow, obwohl man schon 1908 unter   großer Anteilnahme der Tschechow-Gemeinde eine Büste aufgestellt hatte. Noch 1956 äußerte die Kurverwaltung Bedenken, „den Aufenthalt und Tod Anton P. Tschechows erneut besonders herauszustellen“, weil es sich bei der ganzen Tbc-Frage in Zusammenhang mit Badenweiler um „einen heiklen Punkt“ handele.  Heute freilich scheint Tschechow in Badenweiler allgegenwärtig. Im kleinen Literaturmuseum mit seinen Romanen und Briefen, als steinernes Denkmal am Teich im Kurpark und als Bronzebüste unter der Burg. Von da aus hat er einen wunderbaren Blick über die jetzt schon grünenden Weinberge auf die Vogesen am Horizont.
  Wer weiß, vielleicht kommt auch der neue Hotelschreiber gelegentlich an dieses exponierte Fleckchen und lässt sich von dem melancholischen Russen inspirieren. „Du fragst, was ist das Leben“,  schrieb der an seine Frau, die deutsche Schauspielerin Olga Knipper. „Das ist als wolle man fragen: Was ist eine Mohrrübe? Eine Mohrrübe ist eine Mohrrübe. Mehr ist dazu nicht zu sagen.“       

Info: Hotel Römerbad, Schlossplatz 1, 79410 Badenweiler, Tel. 0763270-0, E-Mail: info@hotel-roemerbad.de, www.hotel-roemerbad.de        
 

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