Allgäuer Wanderherbst: Vom Moor zum Gipfel

Das Moor ist grün, von einem sanften Grün, grad so als wäre ein Fotograf mit dem Weichzeichner am Werk gewesen. Es ist das Moos, Baumeister des Moors, das den Farbton vorgibt. Im dunklen Riedsee baden die Bäume ihre Spiegelbilder. Die Abendsonne schimmert durch die rot gefärbten Spitzen des Riedgrases. Abwechslungsreich ist es, das Bad Wurzacher Ried, eine Landschaft wie aus der Zeit gefallen und doch von Menschenhand geschaffen. Der Torflehrpfad führt nicht nur tief hinein in die größte intakte Hochmoorfläche Mitteleuropas, sondern – mit informativen Schautafeln – auch durch ein Stück Geschichte.

„Vor 300 Jahren“, erzählt Biologe Franz Renner vom Naturschutzzentrum
Bad Wurzach
, „begann der Mensch hier in die Natur einzugreifen“. Weil
nach dem Dreißigjährigen Krieg Holz knapp war, wurde Torf zum gesuchten
Brennmaterial. Auch im Wurzacher Ried wurde Torf gestochen – lange Zeit
in Handarbeit. Selbst die Kinder mussten dabei Hand anlegen, denn die
feuchten Torfziegel trockneten schlecht und mussten immer wieder
umgeschichtet werden. Ab 1850 entstand dann der industrielle Torfabbau.
„Das hing mit dem Bau der Eisenbahn zusammen“, weiß Renner. Die
Lokomotive der berühmten „Schwäbsche Eisenbahn“ wurde nämlich mit Torf
beheizt. Weil es dabei immer wieder zu Funkenflug kam, blieb das Bähnle
öfter auf der Strecke. Dann war der „Conducteur“ mit der Feuerpatsche
zugange, für die Passagiere aber hieß es „Blumen pflücken verboten“. Sie
könnten ja sonst die Weiterfahrt verpassen.
Der Riedsee entstand durch den Einsatz der Torfstechmaschinen, die bis
in die 1950er Jahre aktiv waren. Da wurde Torf schon nicht mehr als
Brennmaterial genutzt, sondern als Streu für die Ställe. Im Torfmuseum,
das seit 2009 im ersten Torfwerk von 1880 eröffnet hat, sind noch die
alten Gerätschaften zu sehen. Hier kann man sich in alte Sagen übers
schaurige Moor vertiefen, den Torf auch mal anfassen oder mit dem
Torfbähnle durchs Wurzacher Ried fahren – zwischen dem Torfwerk des
Fürsten von Waldburg-Zeil und dem des Fürsten von
Waldburg-Wolfegg
.
Auch das Kurstädtchen Bad Wurzach ist „auf Moor gegründet“, erklärt
Alfons Diem
, Geschäftsführer des Städtischen Kurbetriebs. Die Häuser
stehen auf bis zu 16 Meter hohen Pfählen. Das gilt auch für das barocke
Kleinod im Herzen der Kleinstadt, die flächenmäßig größer ist als das
Fürstentum Liechtenstein. Das Wurzacher Schloss sollte nach dem Willen des
Bauherrn ein kleines Versailles werden. Morgens wollte der Schlossherr
mit der Gondel in eine künstliche Lagune hinausfahren, erzählt Diem und
lacht. Aber dann ging das Geld aus. „Jetzt ist’s halt a Schlössle.“ Im
wunderschönen Treppenhaus finden bis heute Residenzkonzerte statt.
Bad ist Wurzach erst seit 1950. 14 Jahre davor hatten die Armen
Schulschwestern den Kurbetrieb begründet. „So kam das Moor in die
Wanne“, sagt Peter Weiß, Chef des Gesundheitszentrums Vitalium. 20 000
Gäste jährlich schätzen den Heileffekt. „Wir verarschen den Körper“,
verdeutlicht Weiß die Wirkung eines Moorbads, das durch konstante
Temperatur künstliches Fieber erzeugt und damit die körpereigenen
Heilungskräfte aktiviert. Von „kompletter Entspannung“, ja sogar von
„kleinen Wunderheilungen“ schwärmten die Gäste, berichtet der
Vitalium
-Chef, während er die Mühle zeigt, in der der Moortorf
„gemahlen“ wird. Mit Thermalwasser wird er dann zu einem dicken Brei
verrührt, in dem der Körper wie auf Wolken schwebt. Tatsächlich sieht
die junge Frau, die sich gerade im mit Moor gefüllten Holzzuber aalt,
total entspannt aus. Allerdings ist sie nur ein Model. Die wirklichen
Kurgäste
, die hier vorwiegend ihre Arthrose kurieren, sind deutlich
älter.
Sie gehen vielleicht noch im Wurzacher Ried spazieren, wagen sich aber
wohl kaum auf den Luftigen Grat, wo das Allgäu seine andere, die alpine
Seite zeigt. Der „Premium Wanderweg“ führt – wie der Name schon sagt –
hinauf auf luftige Höhen.
Aussichtsreich ist er, die grünen Allgäuer
Gipfel stehen rundum Spalier und dahinter stapeln sich dunkelblau die
österreichischen Berge bis zum Horizont. Über schmale Grate führt der
Weg und durch saftig grüne Matten. Manchmal ist er tief eingegraben vom
„Wanderverkehr“, wie Rolf Eberhardt, Geschäftsführer des
Naturparks Nagelfluhkette erläutert. Denn der Nagelfluh, der diese
Allgäuer Berge bildet, ist ein zusammengebackenes Konglomerat aus
verschiedensten Gesteinsarten und verwittert leicht. Weil der
Herrgottsbeton“ eben nicht hart wie Granit ist, wurden die Allgäuer
Grasgipfel von Wind und Wetter geformt. Entstanden ist eine Art
Rippenstruktur, die für diese Berge typisch ist. Genauso typisch wie die
tief eingetretenen Kuhlen, die von Kuhtritten verursacht werden.
„Unsere Berge sind durch Alpwirtschaft geprägt“, sagt Rolf Eberhardt.
Mit 160 Alpen ist die Gegend rund um Oberstaufen das größte
zusammenhängende Alpgebiet in Deutschland.
Jetzt im Herbst bimmelt hier keine Kuhglocke mehr, die Tiere sind wieder
zurück im Tal. Still ist es. Hie und da ein Vogelzwitschern, ein
Rabenkrächzen. Dann plötzlich Kinderlachen. Die Alpe Hörmoos ist nah.
Wer hier die Allgäuer Höhenluft genießen will, muss sich nicht
anstrengen. Er kann ganz gemütlich mit dem Bus fahren. Auch für manche
Wanderer ist das eine Alternative, vor allem, wenn sie zu tief ins
Schnapsglas geschaut haben.
Die Versuchung ist groß, kredenzt doch der
Kräuter-Michel in der höchst gelegenen Schnapsbrennerei des Allgäus
direkt neben der Alpe so feine Tröpfchen, dass selbst die Tester des
Gault-Millau
ins Schwärmen gerieten. Die Kräuter für seine Edelbrände
finden Michel Schneider und seine Frau Gerda auf der Höhe. Grad vor ein paar Tagen
haben sie kistenweise Enzianwurzeln ausgegraben – das Grabrecht an der
Nordseite der Nagelfluh-Kette hat der Michel seit elf Jahren. In einer
umgebauten Garage hat er seine Alchimistenwerkstatt. Hier werden aus
Arnika, Königskerze, Enzian & Co nicht nur wohlschmeckende Schnäpse
sondern auch heilsame Essenzen und Elixiere destilliert. „Wir machet
koane Medizin“, stellt der Michel klar, „nur Spirituosen“. Sagt’s und
schenkt einen Tropfen Älpler Absinth ein: „Proscht, der got ins Blut.“
Vielleicht verleiht er ja auch Flügel wie die Limonade aus Salzburg. Der
Abstieg fällt jedenfalls leicht.
Am Wegrand stehen uralte Bäume, hunderte von Jahren haben sie oft
überdauert, knorrig sind ihre meterdicken Stämme, wild verzweigt die
Wipfel, in dickes Moos gepackt die Äste. Naturdenkmäler sind diese
standfesten Baumveteranen, oft weithin sichtbar. Klein machen sie den
Menschen, der vor ihnen steht, auch weil sie ihm seine Vergänglichkeit
vor Augen führen. Die prächtige Rotbuche etwa hat schon im
Dreißigjährigen Krieg hier Wurzeln geschlagen. Als die Menschen im
Wurzacher Ried damit begannen, Torf zu stechen, wuchs sie unbehelligt in
die Höhe. Und bis heute trotzt sie Regen und Sturm, Eis und Schnee,
bietet Kühen Schutz und Fotografen ein großartiges Motiv.
Der Weg der alten Bäume, die Rolf Eberhardt penibel kartiert hat, führt
stetig bergab. Das geht ganz schön in die Knie, die Schenkel brennen,
eine Blase kündigt sich im Schuh an. Jetzt wäre ein Moorbad recht. 

3 Kommentare
  • Simone Zehnfpennig
    September 29, 2011

    Hier wird die Natur- und Kulturgeschichte des Allgäus lebendig, gefällt mir gut!

  • Guido
    Oktober 4, 2011

    Sehr interessanter Arikel. Ich habe ihn gerne gelesen. Im Allgäu bin ich gerne zum wandern. Die Natur ist dort schön anzusehen. Bei meinem nächsten Ausflug werde ich mich mit den Mooren beschäftigen.

    • Lilo Solcher
      Oktober 9, 2011

      Das lohnt sich auf jeden Fall. Ist nicht so spektakulär wie die Berge, aber sehr romantisch.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert