Bitte nicht zu viel Elend: Corporate Social Responsibility – Was steckt dahinter?

Sanfter Tourismus war gestern, Nachhaltigkeit ist heute. Und Corporate Social Responsibility (CSR) ist das, worüber auch die Reisebranche heute spricht. Nur: Was steckt eigentlich dahinter? Die Touristische Runde wollte es genauer wissen und lud eine Riege von Referenten ein, um Antworten zu bekommen.

Peter Mario Kubsch, Geschäftsführer des Münchner
Studienreiseveranstalter
s Studiosus, sieht CSR als „sehr breites Feld.
Jeder spricht eigentlich von etwas anderem“. Studiosus beschäftige sich
seit vielen Jahren mit CSR und habe einen langen Erfahrungsschatz mit
sozialer Verantwortung. Schon Anfang der 70er Jahre habe man Reiseleiter
geschult auf verträgliches Reisen, habe man Touristen Verhaltenstipps
an die Hand gegeben, etwa wie man sich als Fotograf verhalten oder dass
man keine gebrauchte Kleidung oder Bonbons verschenken solle. „Wir sind
auch Öko-Audit-Pionier“, erinnert Kubsch. Schon 1998 habe Studiosus sein
darauf abgestelltes Management-System zertifizieren lassen und dabei
auch soziale Aspekte integriert, immer nach dem Grundsatz „Mensch vor
Natur“. Diese langjährige Erfahrung wolle Studiosus in die momentane
Diskussion hineintragen und etwa beim Aufbruch im Nahen Osten die
positiven Bestrebungen befördern.
Eine Definition von nachhaltigem Tourismus versucht die
Zertifizierungsgesellschaft TourCert. Dabei sieht Geschäftsführer
Günther Koschwitz drei Schwerpunkte. Zunächst „einen passgenauen
Branchenstandard
“ für Reiseveranstalter, der internationale Standards
etwa des Global Sustainable Tourism Councils als Grundlage hat. Dann
eine Konzentration auf das Kerngeschäft und die Wertschöpfungskette. „Man
kann es durchdefinieren“, ist Koschwitz überzeugt. CSR müsse mess- und
vergleichbar sein: „Was man messen kann, kann man auch verbessern.“ Das
TourCert-Siegel sei nicht leicht zu erwerben, räumt er ein. „Das ist
harte Arbeit, aber anerkannt von der Verbraucherinitiative und der
Stiftung Warentes
t.“ Als dritten Schwerpunkt nennt der
TourCert-Geschäftsführer die Mitarbeiter. „Wir stellen den Menschen in
den Mittelpunkt.“ Auch da drehe sich alles darum, die Beschäftigten im
jeweiligen Unternehmen zu gewinnen und am Nachhaltigkeitsprozess aktiv
zu beteiligen. „Wenn ein Unternehmen CSR konsequent betreibt, dann wird
sich auch die Unternehmenskultur ändern.“
Hinter TourCert stehen laut Koschwitz „gemeinnützige Träger mit hoher
Kompetenz und kritischem Sachverstand“. 238 Kriterien helfen bei der
Bewertung. Zu den zehn „Kernindikatoren“ etwa gehören der CO²-Verbrauch
pro Gast und Tag und die Wertschöpfung in der Destination. Ziel von
TourCert sei, Nachhaltigkeit zu verbreiten. Koschwitz: „Wir hoffen auf
einen sportlichen Wettbewerb.“
Dem hat sich der Kieler Studienreiseveranstalter Gebeco schon gestellt
und als erster größerer deutscher Veranstalter das vom Forum anders
reisen
entwickelte Gütesiegel erworben. „Es geht doch“, stellt der
Nachhaltigkeitbeauftragte des Veranstalters, Hannes Schleicher,
zufrieden fest. Und Geschäftsführer Ury Steinweg unterstreicht, dass
sich schon im Namen Gebeco (Gesellschaft für internationale Begegnung
und Cooperation
) die Firmenphilosophie der sozialen Verantwortung
widerspiegele. Begonnen habe man mit Reisen in sozialistische Länder, in
eine Umwelt also, die den meisten Deutschen – insbesondere in den 70er
Jahren – fremd war. Steinweg: „Wir haben uns um die Entwicklung dieser
Reiseziele gekümmert.“ Später habe man die „Philosophie der Begegnung
auch in andere Länder getragen. Im Zentrum der Reisen stand nicht der
Trümmertourismus“ sondern die Begegnung mit Land und Leuten. „Wir
wollen den Gästen das Land in allen Facetten zeigen und etwas für die
Völkerverständigun
g tun“, so der Geschäftsführer des Veranstalters, der
1998 unter das Dach der TUI schlüpfte und die Brancheninitiative Futouris mit begründete. Sie ist Steinweg wichtig, deckt aber nur einen
Teilaspekt der sozialen Verantwortung ab.
CSR aber sei komplexer als die Unterstützung lokaler Projekte. Zur
Nachhaltigkeit
gehöre die soziale, die ökologische und die ökonomische
Komponente. „Wir haben schon lange Ökostrom eingekauft, die Kataloge
auf Recycling Papier gedruckt, Green IT genutzt – aber nie
systematisch“, erklärt der Gebeco-Geschäftsführer. Nach Feststellung des
Istzustandes unter Nachhaltigkeitsaspekten entwickelte Gebeco ein
umfangreiches Maßnahmebündel für die nächsten drei Jahre. Das alles sei
ein relativ hoher Aufwand, räumt Steinweg ein, aber: „Ich mache es
nicht, um finanziell erfolgreich zu sein, sondern weil es mir wichtig
ist.“ Fakt sei, dass sich die Anstrengung auch lohne, weil sich
Mitarbeiter wie Kunden identifizierten und die Öffentlichkeit aufmerksam
werde.
Als „Vollsortimenter“ sei TUI etwas anders aufgestellt als Gebeco oder
Studiosus, gibt Christian Carle vom Nachhaltigkeitsmanagement des
Reiseriesen zu bedenken. Aber als Marktführer habe man auch eine große
Verantwortung. Habe einst Michael Iwand eine Pionierrolle in Sachen
Umwelt eingenommen, so wolle man heute bei CSR eine Vorreiter-Rolle
spielen. Um dem komplexer gewordenen Thema gerecht zu werden, habe man
fünf Schwerpunkte ausgemacht: Dem Klimawandel begegne man mit einer
Klima-Initiative – weniger Emissionen bei TUIfly und Co²-Aufklärung in
den Katalogen. Bei den Hotels sorge die Aktion Umwelt-Champion für
Nachahmer. Es gebe Umweltkonferenzen in den Zielgebieten nach dem Motto
„Von den Besten lernen“. In den Destinationen engagiere man sich ähnlich
wie die Studienreise-Veranstalter bei Sozial- (Aufbau einer Schule in
Haiti) und Umwelt-Projekten (Aufforstung auf Mallorca). Immens wichtig
sei es auch, die Mitarbeiter „mitzunehmen“, weil sie viele gute Ideen
hätten. Deshalb habe TUI ein Umweltbotschafter-Team gegründet. Am Ende
aber entscheide immer der Gast, wie er reise und damit auch über seinen
ökologischen Fußabdruck.
Matthias Beyer, Geschäftsführer der Tourismusberatung mascontour, ist
mit den unterschiedlichen Definitionen von CSR nicht zufrieden. Für ihn
bedeutet CSR ganz klar, dass „touristische Leistungsträger im
Kerngeschäft soziale und umweltpolitische Standards implementieren, die
über die gesetzliche Anforderung hinausgehen.“ Er fordert vor allem
Transparenz in der Kommunikation. Nur wenige wüssten, was wirklich in
den Unternehmen passiere. Wolle man wirklich von CSR sprechen, müsste
man die ganze touristische Angebotskette inklusive externer
Kooperationspartner und Zulieferer mit einbeziehen. Manche Aktionen hält
Beyer für reine Augenwischerei, etwa die Mülltrennung von Hotels in
Ländern, die technisch gar nicht darauf eingestellt sind. CSR, davon ist
er überzeugt, werde auch in 20 Jahren noch wichtig sein. Deshalb
fordert er, Nachhaltigkeit deutlich stärker in die Ausbildung zu
integrieren. Davon sei man derzeit allerdings noch weit entfernt.
Als Erzieher ihrer Gäste wollen sich die Veranstalter nicht sehen – auch
wenn es um Menschenrechte in den Destinationen geht. Die TUI will sich
etwa nach den Umstürzen im Nahen Osten weiterhin engagieren, so Carlé.
Gleichzeitig weist er darauf hin, dass es nicht Touristikunternehmen
allein sein können, die Regeln in Sachen Menschenrechte aufstellen und
durchsetzen. Vielmehr sei hier die Politik gefragt, Regeln
gegebenenfalls für alle Wirtschaftszweige vorzugeben. Für Ury Steinweg
ist der Informationsaustausch „gerade in undemokratischen Ländern“
wesentlich. „Ja, ich glaube, es ist wichtig zu reisen“, sagt er, und:
„Erstmal muss jeder selbst entscheiden, was für ihn richtig ist.“ Die
jahrelangen Erfahrungen vor Ort hätten aber gezeigt, „wie dankbar gerade
die Menschen in Ländern mit Menschenrechtsproblemen sind, wenn Sie sich
mit Ausländern austauschen können und so eine Öffentlichkeit bekommen“.
Peter Mario Kubsch teilt diese Auffassung. „Besser als jeder Boykott
ist es Öffentlichkeit zu schaffen.“ Vor allem im sozialen Umfeld hat er „ernsthafte Zweifel“, dass CSR messbar ist. Zwar werde in Bhutan der
Glücklichkeitswert vom Staat gemessen, aber „wir haben bislang keine
belastbaren Ansatzpunkte für Messbarkeit von sozialer Verantwortung
gefunden.“
Dass bei der CSR Tourism Certified Zertifizierung von TourCert nicht
alles hundertprozentig messbar ist, räumt auch Hannes Schleicher ein,
der in seiner Zeit beim Forum anders reisen die obligatorische
Zertifizierung aller Verbandsmitglieder vorangetrieben hat. „Aber
TourCert ist das Beste, was wir haben.“ Seiner Meinung nach ist das
Siegel die „größte Annäherung an die CSR-Messbarkeit auf dem deutschen
Markt“. Es unterstütze die Unternehmen dabei, herauszufinden, wo sie
stehen und ermuntere sie, sich weiter zu entwickeln.
„Ein Gütesiegel zu haben, sagt noch nichts“, schränkt Matthias Beyer von
mascontour ein. Da müsse man den Prozess dahinter kennen, die
gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die das Unternehmen auf sich
nimmt. Dass die Vielzahl der Zertifikate den Durchblick erschwert, räumt
Ury Steinweg ein. Das Thema Nachhaltigkeit sei noch jung, noch gebe es
viele Sichtweisen im Tourismus und vor allem bei den Hotels müsse man
wohl noch lange mit der Konkurrenz der Labels leben. Auch ihm wäre es
wichtig, dem Kunden „die Werte, die dahinterstehen, transparent zu
machen“. Noch skeptischer ist Studiosus-Chef Kubsch. Kein etabliertes
Label biete Verbraucherorientierung, bemängelt er, auch wenn alle Labels
aus unterschiedlichen Ansätzen heraus ihre Berechtigung hätten. Für
TourCert-Geschäftsführer Günther Koschwitz ist die Vielfalt kein
Problem. Sie könne auch ein „Reichtum“ sein, „Ausdruck eines kreativen
Prozesses“. Die Nachhaltigkeitsbewertung sei noch jung – „das wird sich
verdichten“. Auch bei der Messbarkeit sieht Koschwitz einen
„Reifungsprozess“.
mascontour-Geschäftsführer Beyer zweifelt allerdings den Wert der vielen
Gütesiegel an, deren Entwicklung und Einführung nicht zuletzt oftmals
über Steuergelder finanziert werden. „Je mehr Siegel, desto mehr
schwarze Schafe tummeln sich auf dem Gebiet“, warnt er und prangert
Egoismen, finanzielle Interessen und die Gefahr eines
Glaubwürdigkeitsverlusts der Branche an. Allerdings begrüßt er die
„global sustainable minimum standards“, an denen sich die Unternehmen
orientieren könnten.
Einigkeit herrscht bei den Referenten darüber, dass sich die Branche
weiterentwickeln muss. Dabei räumt Gebeco-Geschäftsführer Steinweg ein,
dass der Veranstalter in den Destinationen nur begrenzt Einfluss habe:
Bei kleinen Partner eher mehr, bei großen weniger. Deshalb ist er
überzeugt: „Ein kleiner Schritt eines großen Veranstalters in der Summe
bewirkt mehr als wenn ein kleiner Veranstalter große Schritte tut. Aber
jeder Schritt zählt.“ Ähnlich sieht es Studiosus-Chef Kubsch. TUI habe
ganz andere Möglichkeiten, politisch Einfluss zu nehmen. Das habe schon
Michael Iwand beim Umweltschutz vorgemacht. Der mittelständische
Einfluss, befürchtet er, sei auf der politischen Ebene eher begrenzt und
auf die Leistungspartner beschränkt. TUI-Mann Carle ist optimistisch:
„Steter Tropfen höhlt den Stein“, glaubt er. „Fördern und fordern“ ist
seine Devise.
Bei den Gästen stellen die Veranstalter ein „wachsendes Interesse am
Lebensalltag“ fest (Kubsch). Man kenne die touristischen Highlights in
Hochglanz, entsprechend nehme der Wunsch zu, Land und Leute zu erleben.
Allerdings gebe es da bei vielen noch eine Hemmschwelle. Der Kunde suche
das „inszenierte Abenteuer“. Für Ury Steinweg gibt es nicht „den
Touristen“. Die Menschen reisten „mal so, mal so“. Tatsächlich könne
eine Begegnung auch Stress bedeuten. „Bitte nicht zu viel Elend“,
appelliert er. Und Mario Kubsch assistiert: Elendstourismus darf nicht
sein. Wichtig seien Informationen über die Lebenssituation der Menschen,
kein Voyeurismus.
Dass die Menschen in den Reisezielen die Touristen oft nur als
wandelnden Geldbeutel ansehen, ist für mascontour-Chef Beyer eine
Tatsache. Es gebe eben immer zwei Seiten. CSR bedeute, beide zu sehen und
dafür zu sorgen, dass die Umwelt in den Destinationen geschont werde und
die Menschen vor Ort vom Tourismus profitierten.

Zum Weiterlesen: Infos im Internet
http://www.studiosus.com/Ueber-Studiosus/Nachhaltigkeit
http://unternehmen.gebeco.de/unternehmen/unternehmensprofil/nachhaltigkeit
http://www.tui-group.com/de/nachhaltigkeit/nachhaltigkeitsmanagement
http://tourcert.org/
http://www.mascontour.info/
http://forumandersreisen.de/content/dokumente/CSR_Nachhaltigkeitsbericht.pdf

Ein Kommentare
  • Eric
    März 9, 2013

    Thank you very much for your comment. I’m glad you found this subejct interesting. And it’s one of those ideas that I think has great importance for all of us especially those of us in business.

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