„Es gibt Umstände, unter denen der Tourismus verschwindet etwa wegen politischer Unruhen, Naturkatastrophen oder auch Epidemien – und wieder zurückkehrt, meist mit nie gekannten Wachstumsraten. Reisen ist Teil der fundamentalen Bedürfnisse der Menschen und wird bleiben und wachsen.“ Jean-Claude Baumgarten, Ex-CEO des World Travel & Tourism Council und 40 Jahre im Geschäft.
Es sieht ganz so aus als hätte Baumgarten auch diesmal wieder recht. Tunesien und Ägypten, durch den Aufstand der jungen Eliten für mehr Demokratie für kurze Zeit Schauplätze blutiger Auseinandersetzungen, sind zurück auf der touristischen Landkarte. Schon Ende Februar schicken Thomas Cook und die Rewe-Veranstalter wieder erste Flugzeuge in die beliebten Urlaubsländer. „Wie kommt ein Land zurück auf die politische Landkarte“ war die brandaktuelle Frage in der Touristischen Runde. Die Antworten waren eher differenziert.
Sonja Arnold, Jordan Tourism Board, stellt gleich zu Anfang klar, dass
die tunesische Jasmin-Revolution zwar Auswirkungen auf Jordanien gehabt
hätte, es aber im haschemitischen Königreich keine Parallelen mit
Ägypten gäbe. König Abdallah, hinter dem das Volk bis heute stehe, habe
im Gegenteil sofort auf die Proteste reagiert und ein neues Parlament
eingesetzt. Auch in Zukunft, da ist Sonja Arnold sicher, werde es in
Jordanien ruhig bleiben. Die Touristen honorieren diese Sicherheit. Im
Januar konnte Jordanien drei Prozent mehr Gäste verzeichnen. Wichtig
sei, so Arnold, nicht alle Länder im Nahen Osten in einen Topf zu
werfen.
Das findet auch Frano Ilic, Pressesprecher bei Studiosus, dem
Studienveranstalter, der in den arabischen Ländern besonders engagiert
ist. Vorschnelle Hinweise aus der Politik, rügt er, seien nicht gerade
hilfreich. Studiosus sehe die Demokratiebestrebungen der Länder positiv:
„Wir begrüßen die langfristige Perspektive.“ Noch sei die Lage
allerdings unübersichtlich und Krisenmanagement gefragt. „Wir sind noch
nicht soweit wie andere Veranstalter.“ Erst ab Mitte April will
Studiosus seine Gäste wieder nach Ägypten bringen. „Für uns ist das
Frühjahr gelaufen“, räumt Ilic ein. Wenn die Länder wieder stabil seien,
könnten allerdings Nachfrage und Wachstum belebt werden. Und mittels
des Kultimer, in dem Reisen zu bestimmten Anlässen gebündelt sind, könne
der Veranstalter dann auch kurzfristig Touren in den Nahen Osten
aufnehmen.
500 Gäste hat FTI von Nilkreuzfahrten ausfliegen lassen, die Hälfte
davon habe in der Türkei verlängert, weiß Muriel Sadek, Produktmanagerin
Indischer Ozean und Kenia. Der 30-köpfige Krisenstab habe oft rund um
die Uhr getagt und sei in ständigem Kontakt mit Deutschem Reiseverband
und Auswärtigem Amt gestanden. Nachdem in Tunesien und Ägypten Ruhe
eingekehrt sei, werde FTI die Reisen in beide Länder schnellstmöglich
wieder aufnehmen. Der Veranstalter setze wie bei Sri Lanka auf
langjährige, nachhaltige Partnerschaft. So habe man in der Zeit nach dem
Tsnunami, als der Tourismus auf der Ferieninsel am Boden lag, zusammen
mit den Partnerhotels Flugkapazitäten eingekauft und Pakete geschnürt,
die auch Rundreisen beinhalteten. Vor allem in Krisenzeiten, davon ist
Sonja Arnold überzeugt, müssten Veranstalter den Destinationen die Treue
halten. Für FTI zahlte sich diese Haltung aus. Die Münchner bekamen zum
dritten Mal den Tourism Award Sri Lankas.
Israel war nie ganz von der touristischen Landkarte verschwunden, gibt
Ami Tzubery von der israelischen Fremdenverkehrszentrale zu bedenken.
Zwar hat das Land auch touristische Dürrejahre erlebt, allerdings nicht
in letzter Zeit. Seit 2002 wachse der Tourismus in Israel trotz
politischer Krisen und 2010 war mit 3,3 Millionen Touristen ein
Rekordjahr. 23 Prozent mehr deutsche Touristen strömten ins Heilige
Land. „Wir haben gelernt, mit Krisen umzugehen“, versucht Tzubery eine
Erklärung. Wichtig sei die richtige Strategie und da nennt er fünf
Säulen:Werbung, Gruppenreisen, Stammkunden, eine Hauptzielgruppe und
die Zusammenarbeit mit Nachbarländern. Die meist erfahrenen Touristen
hätten Vertrauen in Israel als Urlaubsland, ist Tzubery überzeugt und
warnt davor, die Probleme zu pauschalisieren. Lob zollt er der
Zusammenarbeit mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarstaaten
auf dem Gebiet des Tourismus. Länder-Kombi-Reisen seien ein wichtiges
Thema.
Von der psychologischen Seite her betrachtet Jürgen Kagelmann, Dozent
für Tourismuswissenschaft in Bremen, Eichstätt und München, die
Problematik. Bei den Auswirkungen auf den Tourismus unterscheidet er
zwischen Naturkatastrophen und politischen Unruhen. Eine
Naturkatastrophe sei „schnell beendet“, politische Krisen könnten
dagegen lange andauern und sorgten für „emotionale Verwirrung“. Generell
sei aber festzustellen, dass sich die Menschen an Kriege und
Katastrophen als „normalen Bestandteil des touristischen Lebens“
gewöhnten. Und die Umwälzungen etwa in Ägypten könnten neue Neugier
wecken. Studiosus-Sprecher Ilic stimmt dem zu. Ägypten, glaubt er, könne
„schnell wieder anspringen“. Anders sei es beispielsweise beim Libanon.
Normalerweise dauere es seine Zeit, bis sich eine Destination wieder
auf der touristischen Landkarte durchsetze.
Dabei könnten auch die Veranstalter helfen, weiß Muriel Sadek. So habe
FTI nach Beendigung des Krieges in Sri Lanka Marketingaktionen
gestartet, Info-Abende mit Reisebüros und Pressereisen veranstaltet und
ganz allgemein neue Themen angestoßen, um die Insel wieder in den Focus
zu rücken. Sonja Arnold vom jordanischen Fremdenverkehrsamt sieht für
solche Botschaften auch Chancen bei den neuen Medien. Über Facebook,
Twitter & Co ließen sich touristische Neuigkeiten schnell und
effektiv verbreiten. Das bestätigt Peter Mierzwack für Queensland. Der
PR-Mann war während der verheerenden Überschwemmungen im australischen
Sunshine-Staat vor allem damit beschäftigt, die website zu aktualisieren
und durch klare Aussagen für Schadensbegrenzung zu sorgen. Jetzt seien
Marketingmaßnahmen geplant, um zu beweisen, dass wieder „Business as
usual“ gelte. Negative Langzeitwirkungen befürchtet Mierzwack nicht.
Für Studiosus-Pressesprecher Ilic stellt sich die Lage differenziert
dar. „Wir sind alle in ein gutes Jahr gestartet“, erinnert er. Der
Geschäftsverlauf werde zwar durch die unklare Situation im arabischen
Raum beeinträchtigt, trotzdem registrierten die Veranstalter ein reges
Interesse an Reisen.
Ob das auch für die Reisen gilt, die der Schweizer Veranstalter Babel
Travel anbietet und die dazu einladen, „engagierten Tourismus in den
gefährlichsten Orten der Welt“ zu praktizieren? Die Reisen führen nach
Afghanistan, in den Irak, nach Somalia und in den Sudan – Länder, vor
denen das Auswärtige Amt explizit warnt. Für den Fall der Fälle ist im
Reisepreis eine Versicherung enthalten, die bei Verletzungen
beispielsweise infolge eines Attentats zum Tragen käme. Die erste Reise
von Babel Travel soll in 45 Tagen durch Irak, Iran und Afghanistan
führen. Das Interesse hält sich bisher in Grenzen.
Internet: www.fti.de, www.studiosus.com, http://de.visitjordan.com, www.goisrael.de