Adieu Sylt?

Das waren noch Zeiten, als in Buhne 16 das (Wohl)leben tobte, als Playboys und –girls die Dünen unsicher machten und Gunter Sachs der König von Kampen war. Aus, vorbei. Seit 30 Jahren übrigens. Trotzdem noch hartnäckig in den Köpfen, auch wenn heute statt der Promis ihre Friseure nach Kampen kommen, wie es ein Kritiker maliziös formulierte. Klingt gut, stimmt aber natürlich so auch nicht: Sie sind noch immer da, die Reichen, vielleicht auch die Schönen. Verschanzt hinter mannshohen Erdwällen, blickdicht abgeschottet von Heckenrosen und zurechtgestutztem Grün residieren sie unerkannt, die Vorstände bedeutender Unternehmen, Industriebosse und Großaktionäre. Und des Abends hängen die Sternchen aus Film und Fernsehen im Gogärtchen oder im Pony. Hübsche Gesichter, mit denen Mann sich gerne schmückt. Nirgendwo scheint die Porsche-Cayenne-Dichte größer als hier, übertroffen nur noch von der Hundedichte. Doch das Biotop ist bedroht. Sylt baut – und verändert sein Gesicht.

Auf dem Flughafen von Westerland landen die Maschinen, die eine neue Spezies von Touristen einfliegen: Kurzurlauber auf der Suche nach Fun und Action. Ein bisschen Promi-Gucken darf auch sein. Es wird viel gebaut in diesem Jahr. Zehn neue Hotels sollen entstehen – und zwei Golfplätze.
Doch vom Umbau der Insel in ein massentaugliches Urlaubsziel fühlen sich viele Einwohner ausgeschlossen. „Wir Sylter werden ja nicht gefragt“, grummelt ein Taxifahrer.  Wahrscheinlich haben wir keinen Geschmack und müssen uns von Außenstehenden sagen lassen, wo’s lang geht.“ Anklagend weist er auf die vielen Kräne, die über die Dünen ragen „Wir sind doch nicht Mallorca.“ Das, so scheint’s, wäre für ihn das Letzte.
Dabei ist Westerlands Zentrum viel weniger Sylt als Palma typisch für Mallorca ist. Die autofreie Friedrichsstraße ist ein großer Basar, wo alles zum Kauf steht, was man (nicht) braucht: fliegende Schweine, Kühe mit Sylter Kulisse auf den Flanken, Klamotten, Schuhe, Tee, Schneekugeln mit Leuchtturm oder Schweinswalen. Kunst, Keramik und Krempel auch in den ehemaligen Markthallen. Drum herum gesichtslose Bauten aus den 60igern. Nur die Strandkörbe auf den Balkonen verraten, wo man ist. Und die Schaufenster der Immobiliengeschäfte. Die Häuserpreise sprengen alle Vorstellungen. Es war eben schon immer etwas teurer, in Sylt dazu zu gehören.

Die Touristen, die in diesem Sommer in Scharen einfliegen, finden das eher aufregend. Womöglich steht ihr Strandkorb direkt neben dem eines Wirtschaftsmagnaten oder neben dem von Johannes B. Kerner. Der wirbt auf Plakaten für die Air Berlin, die die Strecke nach Sylt bedient. Von Berlin, Düsseldorf, München und Leipzig aus, aber auch von Stansted, Moskau und Fiumicino. Schon sieht die Zeit die heile Welt der Sylter Sommerfrische in Gefahr, hat auf dem 99-Quadratkilometer-Eiland das „Grollen der Globalisierung“ ausgemacht. Europas Reisegigant TUI ist auch schon da. Mit dem ersten Dorfhotel in den alten Bundesländern.
 Weil die bunten Häuschen eher nach Reihenhaussiedlung oder „Schlumpfhausen“ aussehen als nach Sylt, fühlt sich Karl Pojer, bei der TUI verantwortlich für die Hotels & Resorts, zur Klarstellung herausgefordert. „Wir wollten kein Burj al Arab in den Dünen, auch keinen Design-Preis, sondern ein bezahlbares Hotelkonzept für junge Familien.“ Außerdem entspreche das Objekt „punktgenau der Vorgabe des Kreisbauinspektors Nordfrieslands“ und sei vom Land Schleswig Holstein „unter planerischen, ökologischen und arbeitspolitischen Gesichtspunkten“ begrüßt worden. Vor vier Wochen wurde das Dorfhotel eröffnet, derzeit ist es voll ausgebucht. Immer neue Eltern mit Kindern werden von den blauen Insel-Bussen ins TUI-Ferienparadies gekarrt. Es gibt ein Schwimmbad, Kinderkarte, Kinderbüfett, Kinderbetreuung und ein eigenes Kinderhaus. Stressfreie Ferien also für die Eltern.

Wer an den Strand will, muss über die Straße und in die Dünen von Rantum. Zum Beispiel an den Strand von Samoa. Da ist Sylt noch ganz bei sich: nackte Menschen und nasse Hunde mischen sich zwischen die Strandkörbe, vor denen Kinder im Sand spielen. Halbwüchsige Söhne und Töchter in Badehose und Bikini begleiten ihre entblößten Eltern ins aufgewühlte Meer. Die weiß schäumende Brandung macht alle glücklich, mit oder ohne Badehose. Und im Restaurant Seepferdchen schlemmt man angezogen aber ganz ungezwungen mit Blick auf das Strandidyll.
„Sylt ist ja nicht teuer“, hatte Holger Bodendorf gesagt, Sternekoch und Gastgeber im noblen Landhaus Stricker in Tinnum. Stimmt. Man bekommt was fürs Geld, auch wenn etwa das (leckere) Degustationsmenü im Restaurant Bodendorf 106 Euro kostet. Man habe schließlich nichts zu verschenken, gibt der schlanke 40-Jährige mit den Künstlerlocken zu bedenken. Die Konkurrenz des Dorfhotels fürchtet er nicht. Im Gegenteil. „Wenn so etwas neue Gäste nach Sylt lockt, sollten wir doch alle froh sein.“ Um die eigene Zukunft ist dem Vater eines kleinen Sohnes nicht bang. „Wir haben eine ganze Latte renommierter Gäste, auch US-Stars darunter. Die sind hier anonym und ungestört.“
Nach Tinnum kommt niemand zum Promi-Gucken wie in die Sansibar in den Dünen von Rantum, wo Patron Herbert Seckler allabendlich Hof hält und der Champagner aus Magnumflaschen nur so sprudelt. Hier, so raunen es sich die Gäste zu, sei die Promidichte „echt stark“. Auch der bullige Joachim Hunold, Chef von Air Berlin, gehört zu den Stammgästen des kleinen Mannes aus dem schwäbischen Aalen, dessen immer freundlichem, rundem Gesicht man das gute Leben ansieht.
Freundlich ist Joachim Buchmann auch, aber vor allem bestimmt. Der 57-jährige, CDU-Mitglied, Gemeinderat und Leiter des Fünf-Städte-Heims in Hörnum, in dem schon Tausende von Kindern ihre Ferien verbracht haben, fühlt sich als Vorsitzender des Ausschusses für Küstenschutz verantwortlich und mischt sich ein. Nicht immer zur Freude seiner Partei. „Kein Naturschützer schreit auf, wenn hier 33 Meter in einer Nacht kaputt gehen“, erregt er sich. „Aber wenn ein Kind in eine Düne pinkelt, dann ist die Empörung groß.“ Buchmann wollte nicht zusehen, wie die Insel immer kleiner wird und organisierte eine Fackelwanderung für den Schutz der südlichen Dünen, an denen die stürmischen Nordseewellen so gerne knabbern. Viel hat man schon versucht.  Alleen aus Tausenden tonnenschwerer Tetrapoden wurden als Wellenbrecher aus Beton gegossen und teilweise mühsam wieder abgeräumt. Eine Million Kubikmeter Sand werden alljährlich mit hohem technologischen Aufwand an die langen, schneeweißen Strände „aufgespült“. Fünf Millionen Euro lässt sich Sylt diese Sicherung kosten.
Buchmann weiß um die prekäre Lage im Süden Sylts. Weiß, dass die Zukunft auf Sand gebaut ist. Auch die des neuen Golfplatzes samt Golfhotel, für den die Wella-Erbin Claudia Ebert mal locker 30 Millionen investiert. Und er hat nicht vergessen, dass die Hörnumer sich lange Zeit als „Stiefkinder der Insel“  fühlten, bis der Hamburger Reeder Albert Ballin den Südosten mit einer Landungsbrücke erschloss und damit 1901 den Bäderverkehr nach Hörnum möglich machte. 15 000 Gäste kamen gleich am Anfang, die Bäderbahn brachte sie ins Inselinnere bis nach Westerland.
 Heute fährt keine Inselbahn mehr, auf der ehemaligen Trasse rollen die Fahrräder. Mit dem Rad lassen sich auch die versteckten Schönheiten der Insel entdecken wie das Landschaftsschutzgebiet Eidum  Vogelkoje nahe des Rantumer Beckens. Die ebenso geniale wie perfide Vorrichtung zum Entenfang haben die Sylter den Holländern abgeguckt. 1874 wurde sie gebaut samt Kojenwäldchen und Teich, 1936 wurde sie geschlossen. Jetzt wirkt alles irgendwie verwunschen. Philipp Zimmermann, blond und blauäugig, führt die Besucher durch sein Reich auf Zeit. Nach dem Abi hieß es für den 18-jährigen „ab in die Koje“ zum Zivildienst. Seine Begeisterung für alles, was fliegt, wirkt ansteckend. Und er kann was erzählen: Vom Kringelmann und seinen Ränken. Von zahmen Enten angelockt, fanden sich die Wildenten in Massen auf dem Teich ein, nur um in einer Falle zu enden. Der Kringelmann zog die übertölpelten Tiere aus dem Fangsack und „kringelte“ sie zweimal über dem Kopf, um sie möglichst schmerzlos vom Leben in den Tod zu befördern. 50 Cent bekam der Mann für seine mörderische Arbeit, bis zu 530 Enten gingen ihm an einem guten Tag ins Netz. Und weil er auch noch die Federn verkaufen durfte, stellte sich so ein Kringelmann gar nicht schlecht, sagt Philipp. Ein Bauer habe damals schließlich gerade mal zwei Euro pro Woche verdient. Da geht’s heute sogar einem Zivi Gold.
Noch älter als die Vogelkoje ist die romanische Kirche St. Severin in Keitum, der Friedhof eine Oase der Ruhe. Die alten Grabsteine erzählen von gefährlichen Reisen bis ins wirkliche Sansibar und von der gnadenlosen Nordsee, in deren Fluten so manches Schiff versank. Auch Helden der Neuzeit liegen hier wie Spiegel-Herausgeber Augstein und Verlagsgründer Peter Suhrkamp. Drinnen klingt wuchtig die Orgel, auf dem spätgotischen Hauptaltar wirkt der kleine Christus fast verloren, über der Nordempore droht das jüngste Gericht.

Draußen lacht die Sonne und wer von hier nach List radelt – hoch über dem Watt durch die die Braderuper Heide und durch die Dünen bis zum Hafen – entdeckt noch ein Gesicht von Sylt. Das Gosch-Imperium. Jürgen Gosch, Maurergeselle aus Tönning, hat Inselgeschichte mitgestaltet. 1967 pendelte er noch mit seinem Aal-Korb zwischen Lister Hafen, Buhne 16 und Westerland. 40 Jahre später – und einige Erfahrungen reicher – kann er sich als König von List fühlen. „Heute schon gegoscht?“ fragt ein Plakat und eine Stretchlimousine wirbt für die Austern und Matjes des Sylter Urgesteins. Gosch ist Kult und sogar  Literatur. Christian Kracht beginnt sein „Faserland“ in der nördlichsten Fischbude Deutschlands. Heute wird gleich neben den berühmten Austern Allgäuer Käse verkauft. Der Saarländer und Wahl-Oberstaufener Herbert Krämer (69) macht nicht nur den Touristen den Mund wässrig. Auch die Insulaner wüssten mittlerweile, dass sie hier   „an g’scheiten Käs’“ bekämen. Innerhalb von 24 Stunden kommt der Biokäse per Spedition aus dem Allgäu in die Sylter Theke – eine Käseverbindung zwischen dem tiefsten Süden und dem hohen Norden.

Ein Kommentare
  • MARIE
    Juli 12, 2010

    Ich bin ein absoluter Sylt-Fan und finde auch, dass sich Sylt nicht zu einem Burj al Arab entwickeln sollte. Viel mehr soll es seinen charm behalten, denn das ist es doch was Sylt so einzigartig macht!!!

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