„Wir fliegen noch Jahrzehnte“ – Gespräch mit Michael Tenzer, Neckermann Flugreisen

Die Tourismusindustrie befindet sich vor einem dramatischen Wandel. Klimaschock und demographische Entwicklung werden das Reisen in Zukunft verändern. Wir sprachen mit Michael Tenzer, Neckermann Flugreisen, über die Auswirkungen auf die Reisebranche.

Frage: Sie kommen geradewegs von der Nobelmarke airtours, die Sie komplett
umgekrempelt und für ein jüngeres Publikum geöffnet haben. Jetzt sind Sie
wieder zurück bei Ihrem alten Arbeitgeber. Und das zu einer Zeit, da
Skeptiker wieder mal vom Ende der Pauschalreise munkeln. Ist die
Pauschalreise noch zu retten, Herr Tenzer?
Tenzer: Gerade weil diese Frage seit Jahren immer wieder auftaucht, ist es
faszinierend, wie gut sich diese Reiseform trotzdem gehalten hat. Ich
denke, es liegt auch in der Natur des Menschen, sich aus Bequemlichkeit
eine Reise organisieren zu lassen. Und nachdem der Tourismus insgesamt
wächst, wächst auch das Segment Pauschalreise. Totgesagte leben länger,
kann man da nur sagen.
Frage: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Das wirkt sich auch
auf die Reisebranche aus. Hier Massenmarkt, dort Premiumprodukt. Bei
airtours war Luxus angesagt, als Chef von Neckermann Flugreisen
verantworten Sie in Zukunft eher den Massenmarkt. Wo steuert der hin?
Tenzer: Die Volumenmarke Neckermann prosperiert. Das belegen auch die
Zahlen der Vergangenheit. Weil wir die Volksmarke für die bürgerliche Mitte
sind, die nun mal unsere Gesellschaft bestimmt, sehe ich auch eine große
Zukunft.
Frage: Längst haben findige Hoteliers die reichen, unabhängigen Senioren als Klientel entdeckt. Nur die Reisebranche scheut das Thema. Ist Alter zu
wenig sexy?
Tenzer: Ach wissen Sie, wir alle haben über viele Jahre nachgedacht, wie
man diese Gruppe nennen könnte. Silver ager, 50 plus, Best ager. Es ist
doch so, dass kein 60-jähriger als solcher angesprochen werden will. Jeder
Mensch fühlt sich zwölf bis 15 Jahre jünger als er ist. Wir müssen eher
versuchen, diese Käuferschicht mit Inhalten zu überzeugen. Der
Massentourismus entwickelt sich immer mehr zum Zielgruppentourismus. Das
ist eine große Herausforderung aber auch eine Chance. Leidenschaft wecken,
Fantasie vermitteln, die Option auf das Glück zu verkaufen ist schlicht mit
der Gießkanne nicht zu erreichen. Wir brauchen schlüssige
Zielgruppen-Konzepte und müssen uns vom Volumenveranstalter zum
Multisegment-Spezialisten wandeln. Das ist eine Aufgabe für die nächsten
Jahre.
Frage: Angesichts des Klimawandels stehen Flugreisen am Pranger. 71 Prozent
der Deutschen wollen des Klimas wegen ihre Flugreisen einschränken. Wie
lange, glauben Sie, werden wir noch zu unserem Vergnügen fliegen?
Tenzer: Noch Jahrzehnte. Ehrlich gesagt finde ich diese Diskussion
polemisch und inhaltlich unsachlich. Wir haben ganz andere Industriezweige
über deren Beitrag zur Umweltverschmutzung niemand spricht. Man muss doch
auch die Vorteile abwägen, die eine Reise auch für die Gesellschaft hat.
Frage: Auliana Poon von Tourism Intelligence hat die Dringlichkeit
nachhaltiger Tourismus-Projekte betont – auch für das Überleben der ganzen
Branche. Was sind Ihre Strategien für die Zukunft?
Tenzer: Wir leben schon die Zukunftsstrategien. Wenn wir Hotellerie
fördern, achten wir beispielsweise auf die Ökobilanz. Auch effiziente
Wasser- und Stromversorgung sind mittlerweile Standards. Und die
Fluggesellschaften leisten durch neue, sparsame Triebwerke und geringere
Lärmpegel ihren Beitrag. Man muss die Diskussion schon ganzheitlich führen
und darf nicht ein Verkehrsmittel isoliert verteufeln. Es wäre völlig
verfehlt, den Menschen ihr liebstes Gut, die Urlaubsreise, zu vermiesen.

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