„Aber der Kenner weiß, dass Gott sei Dank es in Berlin auch noch in der grauen Wüste des Alltags Oasen gibt, die zu freundlichem Verweilen einladen. Leute von Kultur und Geschmack kennen sie, und wenn man sie um Rat fragt, wird man an erster Stelle stets einen Namen hören. „Horcher“, das Lokal des guten Geschmacks, der gepflegten Küche, der erlesenen Weine“.
Das war einmal vor langer, langer Zeit. Das „Horcher“ gibt es nicht mehr in Berlin. Heute geht man ins „Borchardt“, ins „Vau“ oder auch ins „Aigner“. Und gerade hier feiert der Name Horcher fröhliche Auferstehung – als Wein. Herbert Beltle, der Maitre mit den Augsburger Wurzeln, der sich als Leibkoch von Kanzler Gerhard Schröder bei Politikern aus aller Welt einen Namen gemacht hat, ist unter die Winzer gegangen – mit dem Engagement, das seine Restaurants („Altes Zollhaus“ und „Aigner“) in Berlin an die Spitze der lokalen Hitliste katapultiert
hat.
Vor einem Jahr erst erstand er auf Anraten seines alten Winzer-Freundes Arno Speckert im
pfälzischen Kallstadt einen Weinberg. Fünf Hektar groß ist das Weingut
Horcher. Den Namen hat er sich deutschlandweit schützen lassen. Ein
junger „total engagierter“ Winzer baut für ihn nach biologischen
Richtlinien Spätburgunder und Riesling, Sauvignon Blanc und Merlot an.
Die ersten Flaschen „Horcher“ sind soeben eingetroffen und sie haben
Beltles Erwartungen übertroffen. Schön trocken, süffig und mit feinem
Fruchtaroma überzeugten sie bei der ersten Weinprobe im „Aigner“ selbst
kritische Önologen.
Und der erfolgsverwöhnte Beltle freut sich wie ein Kind. „Jetzt geben
wir richtig Gas,“ verspricht er und schmeckt genießerisch den Merlot
nach. Eine Million Euro hat er sich die Verwirklichung seines
Kindheitstraums kosten lassen. In der ersten Euphorie, erzählt er
lachend, habe er gleich fünf Zweieinhalbtausend-Liter-Fässer gekauft –
für satte 25 000 €. Schon plant er für Kallstadt einen
Barique-Keller mit Probier-Tisch und für die Freunde eine Fass-Sauna.
17 000 Liter „Horcher“ werden dieses Jahr in Flaschen gefüllt, 2007
sollen es schon 100 000 sein. Dann will Beltle den Wein auch weiter
verkaufen, an Restaurants, gute Freunde und Bekannte. Vielleicht,
sinniert er, könnte er in Berlin auch eine Weinbar aufmachen. Die
müsste er auch nicht selbst führen: „Im Delegieren bin i gar nicht so
schlecht,“ sagt er.
Dennoch, wenn die Promis aus der Politik kommen, ist die Küche
Chefsache. Beltle hat sich das alte „Horcher“ zum Vorbild genommen und
wie damals zelebriert er in seinen Restaurants den „Zauber des
Nicht-Alltäglichen“, den Horcher-Fans rühmten. Die "vollendete Bewirtung" schätzen auch Stars aus
Film und Fernsehen, Unternehmer und Manager. Im alten Zollhaus traf
sich die rot-grüne Koalition zum Abschiedsessen. Und Angela Merkel,
die sonst wenig von ihrem Vorgänger hält, hat den Augsburger Meisterkoch
schon in ihr Bewirtungsprogramm eingebaut: die Tradition der
Beltle-Essen im Kanzleramt wird fortgesetzt. Vielleicht schmeckt auch
der Kanzlerin der lauwarme Kartoffelsalat und das deftige Schnitzel.
Solch bodenständige Kochkunst hat der 48-jährige bei der Mama gelernt –
im Gasthaus Beltle in Neusäss, wo der Dreikäsehoch am liebsten in der
Küche stand und in die Kochtöpfe guckte.
21Mrz. 2006