Nichts ist auffällig an dem Mann, höchstens die Tatsache, dass er so unauffällig ist. Henning Mankell geht in der Menge unter. Aber ein Fotograf hat den Erfolgsautor schon erspäht im Audi Max der Technischen Universität München und bald sitzt Mankell im Blitzlichtgewitter, noch ehe er das Podium erklimmt. Ein mittelgroßer, mittelalter Mann in schwarz, grauhaarig, blass. 1100 Menschen sind gekommen, um ihn zu hören, den schwedischen Schriftsteller, der mit seinem melancholischen Kommissar Wallander Abertausende dazu bewogen hat, Bücher zu lesen. Seit elf Tagen ist sein neuer Roman „Kennedys Hirn” auf dem Markt. Ein wichtiges Buch. Ein Buch, in dem er seine beiden Heimatländer zusammenbringt: Schweden und Mozambique. Ein Buch wie ein Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit der Welt.Henning Mankell ist nicht nur Schriftsteller, er hat eine Mission. Für diese Mission ist er bereit, sich ins Rampenlicht zu setzen und Fragen zu beantworten, die ihm auf seiner Lesereise täglich gestellt werden. Gestern in Paris, heute in München. Vor fünf Jahren war er schon einmal da. Damals hat er versprochen, er würde das nächste Mal Deutsch sprechen. So weit ist es noch nicht, obwohl er ein paar Sätze aus seinem Buch auf Deutsch vorträgt mit sympathischem Akzent und viel Einfühlungsvermögen. Wenn er wiederkommt, will er Klartext reden, auf Deutsch vielleicht.
An diesem Abend geht es ihm um mehr. Um den Kampf gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt. „Ja, ich habe eine Botschaft,” sagt er. „Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, dass diese schreckliche Welt ein klein wenig besser wird.” Er lächelt, wirkt plötzlich jung in seinem Engagement. Seine Bücher betrachtet er als „kleinen Wassertropfen” auf dem Stein der Wirklichkeit.
Will er die Leser zu besseren Menschen machen? Mankell lehnt sich vor, stützt den Kopf in die Hand, schaut aufmerksam in die Runde. Soviel unnötiges Leiden das Wort sagt er auf Deutsch gäbe es in der Welt. Dabei bräuchte kein einziges Kind an Malaria sterben und alle Kinder dieser Welt könnten Lesen und Schreiben lernen. Es ist die Gleichgültigkeit der Europäer, die ihn wütend macht. Dagegen tut er, was er kann. Schreiben. „Ich denke, das ist wichtig.”
Er hat sich in Rage geredet. „Wir stehlen die Träume der jungen Leute in den armen Ländern,” ruft er. „Wir nehmen ihnen ihre Zukunft.” Mankell will aufrütteln, aufklären über Menschen, die skrupellos einen ganzen Kontinent opfern. „Es ist eine Katastrophe, dass die Menschen nicht wissen, was Aids in Afrika anrichtet.” Warum, so fragt er, gibt es keinen Aufschrei weltweit, wenn ganze Dörfer verwaisen? Warum haben wir Geld ohne Ende, um gegen Terroristen zu kämpfen, aber keine Mittel, um den Terror des Aids-Virus zu bekämpfen?
Der Nordschwede ist als junger Mann nach Afrika gegangen, um eine andere Perspektive zu bekommen als die europäische Egozentrik. „Afrika hat aus mir einen besseren Europäer gemacht,” glaubt der 58-jährige. Er ist glücklich mit seinem Leben, das ihm viele Privilegien beschert hat wie die, für sich allein zu schreiben oder auch mit anderen Menschen Theater zu machen. Aber er ist auch traurig, dass andere Menschen nie die Möglichkeit haben werden, ihr Glück zu machen.
Was er vom Aufruhr um die Karikaturen hält? Mankell schüttelt ärgerlich die graue Mähne. Er hat kein Verständnis für den dänischen Verleger und keines für die Karikaturisten. Warum taten sie etwas, was Millionen von Muslime verletzen musste? „Wenn sie nur provozieren wollten, sind sie noch dümmer,” erklärt er kategorisch und beendet das Thema so abrupt wie die Frage, wie er die Leser manipuliere. „Ich versuche, eine Geschichte so zu schreiben, dass der Leser dran bleibt,” sagt er. Dann lächelt er fast verschmitzt und fügt hinzu, er freue sich, wenn Leute ihm schreiben, dass sie wegen seiner Bücher nicht schlafen konnten. Genau das will er.
„Kennedys Hirn” wird so manchem den Schlaf rauben. Die Geschichte um eine Mutter, die ihrem toten Sohn hinterherreist, um zu erfahren, was ihn getötet hat, hat alle Ingredienzen eines Thrillers. Aber sie ist auch eine Anklage gegen eine erbarmungslose Welt, in der sich der Schlächter als Wohltäter maskiert, in der Profit zum Maßstab des Handelns wird. Im Kampf dagegen tut Henning Mankell alles - sogar Bücher signieren.
07Feb. 2006