Schattenwesen: Marion Poschmanns „Die Sonnenposition“

„Es heißt, die Zeit heilt alle Wunden, aber das Gegenteil ist der Fall. Wir erfinden die Zeit, und dann läßt sie uns sterben.“
Es geht um Erinnerung und das, was wir dafür halten, um beschädigte Seelen, um Geschichte und darum, wie sie sich auf den Einzelnen auswirkt. Marion Poschmanns ambitioniertes Romandebüt stellt den westdeutschen Psychiater Altfried (was für ein Name!) ins Zentrum, in die Sonnenposition – so auch der Titel des Buchs.

Der eher unscheinbare Mann mit dem „Faible für Abweichung“ist von West nach Ost gezogen und arbeitet in einem verrottendem barocken „Schloss“, wo Menschen untergebracht sind, die an den unterschiedlichsten Psychosen leiden, teils auch infolge der Wende. Alfried, blond und dicklich, schon als Schüler überangepasst, mangelt es an Selbstbewusstwein. Schon deshalb bewundert er Odilo, der vor Selbstbewusstsein nur so zu strotzen scheint und hängt an dem Jugendfreund mit fast submissiver Ergebenheit.
Doch Odilo ist nicht die Sonne, wie Altfried lange glaubt. Auch er, der Luziferen-Forscher, leidet unter der Abwesenheit von Licht, was er mit seiner Forschung kompensiert – und mit einer Leidenschaft für Feuerwerke. Während er Altfried auf seiner unergiebigen Jagd auf die „Erlkönige“ – camouflierte Prototypen der Autoindustrie – begleitet, selbst während er mit der Schwester des Freundes, Mila, zusammen ist, wirkt Odilo seltsam leblos, unverortet. Ein Muttersöhnchen, ein Schlafwandler, der sich nie ganz öffnet und mit seinem Versteckspiel den von Altfried vergeblich gesuchten Erlkönigen gleicht. Odilos Tod und das Begräbnis sind für den Freund Anlass, sich über die Beziehung klar zu werden und dabei auch die eigene Position zu reflektieren. Dass Mila in Odilos Leben eine Rolle gespielt hat, wird ihm erst jetzt klar: Der Freund hatte ihn auch da im Dunkeln gelassen.
Poschmann zeigt in einer makellosen, metaphernreichen Sprache versehrte Menschen auf der Suche nach Sinn, sie leuchtet in die Abgründe, die von einer unbewältigten Vergangenheit aufgerissen werden. Die Natur wird zum Spiegelbild der Seelenzustände, die deutsche Geschichte zum Anker der Erinnerung. Die Lyrikerin verrät sich nicht nur in Kapitelüberschriften wie „Gedächtnispaläste“, „Gewittertiere“ oder „Doppelsonnen“. Sie offenbart sich auch in bestechenden Bildern wie das von den Wasserspeiern, die „das Wetter von damals erbrachen“ oder das vom „Stürzen des Nachthimmels“ und im kunstvollen Arrangement des Romans. Soviel Virtuosität kann ganz schön anstrengend sein – aber die Anstrengung lohnt.  
Marion Poschmann, Die Sonnenposition. Suhrkamp, 338 Seiten,19,85 Euro

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