Dieses legendäre Hotel hat eine etwas anrüchige Nachbarschaft. Aber so ist das halt in Amsterdam. Dem von der Accor-Hotelgruppe zur Legende erhobene Sofitel The Grand im ehemaligen Rathaus der Stadt, wo holländische Geschichte geschrieben wurde und sich der Hochadel ein Stelldichein gab, ist es auch kein bisschen peinlich, dass sich gleich nebenan im Rotlichtviertel die Frauen im Schaufenster ausstellen und aus den Coffee-Shops die Marihuana-Schwaden wabern. Im Gegenteil. Hier, wo das Leben braust, ist Amsterdam ganz bei sich. „Der Redlight District“, sagt Sebas van der Sangen, „ist der rote Teppich der Stadt“. Er muss es ja wissen, denn der ansehnliche Holländer mit dem blonden Lockenkopf vertritt das Amsterdamer Amt für Tourismus – und er ist ein begeisterter Amsterdamer.
Sebas liebt diese Stadt, die so lebendig ist trotz der Jahrhunderte alten Bauten an den Grachten. Er liebt das „magische Gefühl am Abend auf dem Boot, wenn alles erleuchtet ist und die Häuser im Wasser Kopf stehen. Er liebt es, sich treiben zu lassen durch die Cafés und Bars, die es zuhauf gibt in Amsterdam und die einfach „gezellig“ sind, gemütlich eben. „Das ist Leben“, sagt er mit leuchtenden Augen, „das macht mich glücklich“. Glücklich scheinen die meisten Menschen in dieser Stadt zu sein, die so gar nichts Museales hat. Mürrische Gesichter sieht man hier kaum. Vielleicht liegt es daran, dass Amsterdam sich in seinem Herzen an das „menschliche Maß“ (Sebas) gehalten hat, dass es auf jede Hochstapelei verzichtet und dafür Wert legt auf die richtige Mischung zwischen Läden, Restaurants, Wohnhäusern und allem, was dazu gehört.
Das war nicht immer so. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es sogar Pläne, die Grachten zu überbauen, um das Zentrum autogerecht zu machen. „Glücklicherweise sind die Verantwortlichen noch rechtzeitig zur Besinnung gekommen“, lacht Sebas und erzählt von ausufernden Plänen für einen City-Ring zur Autobahn, die ihn an Fritz Langs Film „Metropolis“ erinnerten.
Doch gebaut wird auch heute in Amsterdam -nach unten und nach oben: Die neue 9,5 Kilometer lange Metro sollte eigentlich schon in diesem Jahr fertiggestellt sein. Aber vor 2017, glaubt Sebas, wird es wohl nichts werden mit der schnellen Untergrundverbindung. Zu groß sind die Probleme, quer durch das historische Zentrum und den Schwemmsand von Amsterdam eine Untergrundbahn zu bohren. Riesenbaustellen künden von dem ambitionierten und bis heute umstrittenen Vorhaben. Schon einmal waren die Rathauspolitiker mit Untergrund-Plänen gescheitert, weiß Sebas. Als 1975 für den Bau Teile der Altstadt einfach abgerissen wurden, gingen die Amsterdamer auf die Barrikaden. Auch diesmal mussten Häuser evakuiert werden, weil der U-Bahnbau ihre Stabilität gefährdete. Man ist vorsichtig geworden bei den Baumaßnahmen – und die Kosten explodieren.
Auch ohne Metro kommen die Amsterdamer in ihrer Stadt zurecht. Wozu gibt es schließlich Straßenbahnen? Und natürlich die Räder! Eine Million Fahrräder, meint Sebas, gibt es in der Stadt, viele mit angehängtem Kinderwagen. Und alle mit einer schweren, dicken Kette, mit der ihre Besitzer das Zweirad an Brückengeländer hängen oder an Straßenlaternen ketten. So ein Drahtesel ist schließlich schnell entwendet – und landet dann womöglich in einer der Grachten. Tag für Tag ziehen die Grachtenreiniger Räder aus dem Wasser. Und wer will schon seinem Drahtesel so ein Schicksal zumuten? Wer sein Rad liebt, der sichert es – und trägt es am Ende des Tages auch in seine Wohnung oder auf den Balkon.
Anders als in den meisten deutschen Städten sind in Amsterdam die Fietser die Könige der Straße, nicht die Autofahrer. Längst schon ist die Stadt buchstäblich unter die Räder gekommen: „Selbst wenn so ein Radler Gras raucht und beim Fahren telefoniert, bin ich als Autofahrer schuldig, wenn was passiert“, grummelt Dave, der für das Hotel Sofitel Grand The Legend den Limousinentransfer erledigt – mit seinen 26 Jahren als jüngster Fahrer. Aber natürlich ist er, der Mercedes-Liebhaber, in seinem Privatleben auch Radler – wie die meisten Amsterdamer, ob Studentin, Banker, Geschäftsfrau oder Familienvater. Geradelt wird im Anzug und im Abendkleid, mit Stiefeln, Sandalen und mit High Heels. Ins Theater und ins Museum.
Ins neue Stedlijk-Museum vielleicht, das am 23. September seine Tore geöffnet hat und jetzt mit einem hypermodernen Erweiterungsbau in einer schneeweißen Kunststoffhülle alle Blicke auf sich zieht. Der Kontrast dieses, von den Architekten „Badewanne“ genannten Anbaus zum klassizistischen Backsteinbau des bisherigen Museums für moderne Kunst könnte nicht größer sein. Gleich nebenan am Museumsplein wird das van Gogh Museum gerade umgebaut. Es soll, so Sebas, „den Erfordernissen unserer Zeit“ angepasst werden, sprich künftig für den zu erwartenden Massenandrang gerüstet sein. Die Werke van Goghs sind schon ausgezogen und haben vorübergehend in der Hermitage Zuflucht gefunden, einem Ableger des gleichnamigen Petersburger Museums im ehemaligen Amstelhof, einstmals ein Heim für verarmte Alte. Auch am alles beherrschenden, schlossartigen Rijksmuseum, Unesco-Weltkulturerbe wie der Grachtengürtel, wird noch immer gebaut. Bis zum Jahresende, meint Sebas, könnte der Umbau fertig sein. Dann wird Rembrandts Nachtwache hier einen Ehrenplatz bekommen.
Ist Amsterdam im Zentrum klein und schnuckelig geblieben, streckt sich die Stadt in ihren Außenbezirken und reckt sich auch in die Höhe. Von Renzo Piano stammten die Pläne zum Wissenschaftsmuseum NeMo, das wie ein großes, grünes Schiff vor dem Viertel Oosterdok liegt und von den Amsterdamern Titanic genannt wird. „Amsterdam in einer Nussschale“ nennt Sebas dieses Viertel mit seinen Hotels, Läden, Wohnungen, Museen, Kneipen und Kanälen. Selbst wo neu gebaut wird, stimmt die Mischung. Ach ja, vom obersten Stock der neuen futuristischen Zentralbibliothek aus hat man einen wunderbaren Blick über die neuen Viertel und die alte Stadt.
September 21, 2012
Toller Artikel über Amsterdam. Diese Stadt hat wirklich so einen unglaublichen Flair. Muss wirklich bald wieder nach Amsterdam. lg