Autor: Peter Prange
Verlag: Droemer/Knaur Erschienen: 22. September 2005 |
Erfolgsautor Peter Prange über Leben, Schreiben und seinen neuen Roman Miss Emily Paxton
Veronika Ferres bescheinigte ihm außergewöhnliches „Einfühlungsvermögen in die Seelenlage von Frauen” und es scheint, als wolle Peter Prange sich die Wahrheit dieses Kompliments immer wieder aufs Neue beweisen. Auch die Heldin seines jüngsten Romans ist eine Frau: Miss Emily Paxton spielt im London der ersten Weltausstellung 1851. Das Buch bildet den Abschluss einer kleinen europäischen Kulturgeschichte, die mit der Principessa ins Rom des 17. Jahrhunderts und mit der Philosophin ins Paris des 18. Jahrhunderts führte. Nun also London im 19. Jahrhundert.
Prange hat sich wie immer in die Zeit und ihre Gefühlswelt eingelesen, sich mit historischen Fakten „voll gesogen wie ein Schwamm”. Etwa 5000 Seiten seien es wohl gewesen, erinnert sich der 50-jährige Autor, darunter auch Liebesbriefe der Königin Viktoria an ihren Albert. Der deutsche Prinz stand Pate für die Weltausstellung, ohne die es auch das Victoria & Albert Museum nicht gäbe. Ein kleiner Saal erinnert noch an die große Zeit der ersten Weltausstellung und an ihren Erfinder, Henry Cole.
„Die Zeit brodelte vor Zukunftsträchtigkeit nirgendwo so sehr wie in England,” begründet Peter Prange die Wahl seines Romansujets. Was er wolle, sei „mit fremdem Blick in eine Epoche eintauchen, die viel über unsere eigene Zeit aussagen kann.” Zweieinhalb Jahre hat er an der Geschichte gearbeitet, in der historische Gestalten wie Henry Cole oder Joseph Paxton (der Architekt des Glaspalastes) gleichberechtigt neben fiktiven Figuren stehen.
Von Anfang an war Prange von der Idee Coles fasziniert, „eine Schau aller Herrlichkeiten der Völker” zu inszenieren. Was für den Zeitgenossen Karl Marx ein „Pantheon der Bourgeoisie, in dem sie sich selbst feiert,” war, ist für den Autor aus Tübingen ein europäischer Meilenstein. Größenwahn war Zeitgeist. Und Joseph Paxton war sein Prophet. Denn „keiner verkörperte den englischen Fortschrittsgedanken wie er, der als kleiner Gartenjunge und Sohn eines Pachtbauern angefangen hatte und zum Eisenbahnkönig aufstieg”. Dem Emporkömmling gelang es auch, in 22 Wochen ein Gebäude zu errichten, das viermal so groß war wie der Petersdom den Kristallpalast. Im Victoria & Albert Museum ist das Löschblatt zu sehen, auf dem Paxton die ersten Skizzen entwarf.
Soweit die geschichtlichen Fakten. Doch Prange wollte keine „platte Fortschrittshymne” schreiben. Deshalb suchte er nach einem Antagonisten, der die andere Seite, das Dickensche London, verkörpern konnte. Er fand Emily, eine Paxton-Tochter, von der nur wenig bekannt ist. Über sie gelangen die notwendigen Verknüpfungen mit der revolutionären Chartistenbewegung. Mit Emilys Jugendfreund Victor, einem Sohn des Volkes, hat Prange den Gegenpart zu Paxton gefunden. Schnell entflammbar und aufbrausend ist der junge Mann eine leichte Beute für anarchistische Umstürzler, ein Urahn der heutigen Bombenleger.
Wie all die anderen Romanfiguren steht dieser zornige Revoluzzer seinem Schöpfer Prange nahe. „Ich muss meine Figuren in mir selber finden,” sagt der Erfolgsautor. „Dann erst kann ich sie mit den Informationen aus ihrem historischen Leben anreichern.” Vor allem das „emotionale Wurzelwerk” müsse stimmen. Dafür arbeitet der Schriftsteller hart. Obwohl er „eigentlich ein fauler Hund” sei, könne es passieren, dass er mittendrin das Konzept über den Haufen werfe. „So wie Columbus nach Indien aufbrach und in Amerika ankam.”
Peter Prange ist im sauerländischen Plettenberg aufgebrochen und im schwäbischen Tübingen angekommen. Dort hat der Sohn einer Bettendynastie (Betten-Prange) über „Das Paradies im Boudoir Glanz und Elend der erotischen Libertinage im Zeitalter der Aufklärung” promoviert. Der „staatlich geprüfter Erothologe (nicht Erotomane)” war als Unternehmensberater und Sachbuchautor erfolgreich, ehe ihn eine „creative Ejakulation” zum Schriftsteller machte.
Zu dem von Ferres gelobten Frauenversteher wurde er geboren im Sternzeichen der Jungfrau. Aufgewachsen ist er mit einer Schwester und jetzt bestimmen seine (türkische) Frau Serpil und seine Tochter sein Leben. Bei so viel Frauen, sagt er, „muss ich mich fast wundern, dass ich die Frauen nicht leid geworden bin”.
Jeden Morgen Punkt neun Uhr sitzt der passionierte Reiter am Schreibtisch und „wartet auf den Kuss der Muße”. Er weiß aber auch: „Allem Anfang wohnt ein Zaudern inne”. Prange sieht sich selbst als eher ängstlichen Menschen, der seine komplexen Geschichten nicht unter 500 Seiten schreiben kann. Auch sein neues Buchprojekt beschäftigt sich mit einem „Weltenbauer”, der das Abenteuer unternimmt „mitten in den Scheußlichkeiten des letzten Jahrhunderts seine eigene Welt zu behaupten”. Derzeit freilich beschäftigt er sich mit einer Essay-Sammlung zum Thema Europa. Der Tübinger Doktor hat „auf einmal den Europäer in sich entdeckt” und will andere davon überzeugen, wie sehr der europäische Wertekosmos unser Leben prägt.
Peter Prange, Miss Emily Paxton, Droemer, 560 S., 19,90 ¤