„Ich bin ein erfolgloser Philosoph“: Ein Gespräch mit Reinhold Messner über die Berge, fehl geleitete Erwartungen und Angela Merkel

Er ist jetzt 68 Jahre alt und hat seine größten Erfolge längst hinter sich. Doch Reinhold Messner hat sich immer wieder neu erfunden, vom Höhenkletterer und Bezwinger aller 14 Achttausender dieser Welt über den Wüsten- und Polwanderer bis zum Museumsgründer. Er war EU-Abgeordneter, hat bergeweise Bücher verfasst und liebt es, Geschichten zu erzählen. Und immer wieder mischt er sich ein in die aktuellen Debatten. 
Ich sprach mit ihm in Südtirol, kurz bevor er mit der Kanzlerin Angela Merkel zum Wandern ging. 

Neun Menschen kamen im Juli am Mont Blanc ums Leben, als eine Lawine am Mont Maudit gleich mehrere Seilschaften mitriss. Alle waren geübte Bergsteiger und doch wurden sie Opfer eines der schlimmsten Lawinenunglücke der letzten Jahre. Was haben sie falsch gemacht?
Messner: Sie haben nichts falsch gemacht. Es waren einfach zu viele, die da unterwegs waren. Die Eisschulter könnte auch unter dem Gewicht der Menschen nachgegeben haben.
Also auch eine Folge des Massentourismus in die Berge?  
Messner: Es gibt keinen Massentourismus in die Berge. Nur auf die höchsten Gipfel wie auf den Mount Everest, das Matterhorn oder den Mont Blanc. Da wollen alle hin. Ansonsten Ebbe: Die Leute gehen nicht mehr auf die Berge und das ist auch gut so. 
Da ist der Deutsche Alpenverein wohl anderer Meinung. Er verzeichnet einen Rekordzuwachs auf jetzt fast eine Million Mitglieder. Und viele davon wollen sicher auch einmal auf dem Gipfel stehen.
Messner: Ach, dieses Geschwafel vom Gipfelglück. Da oben ist doch nichts besonderes, nur der Umkehrpunkt. Und was den Alpenverein angeht: Meiner Meinung nach hat er den falschen Weg eingeschlagen, weil der die Wildnis präpariert. Der Berg trennt die Spreu vom Weizen. Wenn aber zu viel Infrastruktur in der Wildnis ist, werden die falschen Menschen in die Berge gelockt – auch hoch hinaus. Wenn dann nicht alles so klappt wie sie erwarten, wissen sie nicht mehr weiter und geraten in Lebensgefahr. 
Sie haben sich ja oft genug selbst in Lebensgefahr gebracht und propagieren bis heute eine Art „Verzicht-Alpinismus“, also das Besteigen der Berge aus eigener Kraft ohne zusätzliche Hilfsmittel.
Messner: Oberhalb der Kulturlandschaft ist der Mensch für sich selbst verantwortlich. Da gilt nicht mehr das Bürgerliche Gesetzbuch, da herrscht Anarchie. Wer da hinauf will, muss sich dem Risiko stellen – auch der Todesgefahr. Am Everest, wo es heute Hunderte auf den Gipfel schaffen, ist das längst nicht mehr der Fall. Ich habe mich nicht durchgesetzt mit meiner Philosophie, den Berg mit so wenig Mitteln wie möglich zu erobern, ohne umzukommen. Ich bin ein erfolgloser Philosoph. Wenn heute etwas passiert, sind viele tot. Man muss den Menschen sagen, dass die Berge anstrengend sind, darf die Gefahr nicht wegreden.
Und das tut der Deutsche Alpenverein?
Messner: Mit seiner Kampagne „Wir machen das Bergsteigen sicherer“ betreibt der DAV die Totengräberei des Alpinismus. Die Sicherheit wird dadurch nicht größer, weil die Leute sich nicht mehr auf sich selber sondern auf andere verlassen. So wie beim Plaisir-Klettern, das sich im gesamten Alpengebiet verbreitet hat. Bei diesem „Genussklettern“ wird das Risiko so weit wie möglich ausgeschaltet. Das hat dann nichts mehr mit Alpinismus zu tun, sondern ist einfach Sport. 
Das Fliegen hat nun nichts mit Sport und wenig mit Alpinismus zu tun. Sie haben sich für die Dritte Startbahn in München ausgesprochen und einen „Shitstorm“ geerntet.
Messner: Die Frage ist doch: Wollen wir diese Wirtschaftsform auch in Zukunft weiterführen? Also Laptop und Lederhose? Dann brauchen wir die dritte Startbahn. Auch wenn der Bau Landschaft verschlingt ist er immer noch besser als die Luftverschmutzung durch ständiges Kreisen der Flugzeuge, die keine Landeerlaubnis haben. Und zum Shitstorm: Wir laufen Gefahr, die Demokratie zu verlieren. Diese sogenannte „Schwarmintelligenz“ gefährdet die Menschenrechte. Man wird abgestraft, wenn man seine Meinung sagt. Mehr habe ich nicht getan. 
Sie sind jetzt 68 und haben eigentlich alles erreicht, was man erreichen kann. Haben Sie noch neue Pläne? 
Messner: Bei den Museen war es meine Idee, Luftschlösser real zu machen. Das Geld interessiert mich nicht. Ich will nur, dass es funktioniert. Und das tut es. Ich könnte mir noch vorstellen, Geschichten über die Leinwand zu erzählen. Überhaupt „Story-Telling“ – das ist eine spannende Sache. Und warum soll ich nicht mit meinem Know-How dazu beitragen, Bergfilme zu erden? Es ist doch höchste Zeit, dass da jemand an der Stellschraube dreht. 
Sie sind immer wieder mit Angela Merkel gewandert. Wie sehen Sie die Kanzlerin?
Messner: Angela Merkel ist eine unterhaltsame Persönlichkeit. Ich treffe sie gerne in Südtirol. Man merkt, dass sie Wissenschaftlerin ist, weil sie alles ganz genau wissen will.   


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