(Buch)
Autor: Dietmar Dath
Verlag: Suhrkamp Erschienen am: 2006-08 Seiten: 380 ISBN: 3518418637 |
Er will nichts weniger als die Welt verändern, die bürgerlichen Lebenslügen vom Tisch wischen, die Verkrustungen aufbrechen, in den Stumpfsinn hineinstoßen: Dietmar Dath hat sich als Schriftsteller viel vorgenommen und das bekommt der Leser in seinem Roman „Dirac“ auch zu spüren. Zuallererst bekommt er keinen Roman über den Physiker Paul Dirac (1902 bis 1984), den vergessenen Nobelpreisträger und Vater der Quantenmechanik, sondern ein Puzzle aus Lebensphasen Diracs und Lebensschicksalen aus dem Umfeld von David Dalek, der ein Buch über Dirac schreiben will und der sehr viel mit dem Autor selbst zu tun hat.
Das ist durchaus gewollt: Autobiographisches wird als Exemplarisches
stilisiert. Das Alltagsleben und das große historische Weltgebäude
sind Teile eines Ganzen. Wie Dirac will auch Dath experimentieren: Mit
den Menschen und ihren Schicksalen.
Dabei jagt der Autor seine Leser wie in einem Teilchenbeschleuniger
durch die Zeiten und Perspektiven, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.
Im Meer der Zeit können sich Vergangenheit und Gegenwart begegnen und
so formt sich aus den Bruchstücken, die Dath uns hinwirft, das Zerrbild
einer Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs. „Man kann nicht leben
wie ein Tier, wenn man Mensch ist“, sagt David Dalek. „Das haben wir
mal gewußt, das haben wir einander auch dauernd neu beigebracht, jeden
Tag. Daß es um was gehen muß, um mehr als das stille Glück im Winkel
und bestenfalls etwas philosophische Innenreinrichtung. Daß man die
Welt planvoll umbauen muß, wenn man sich nichtgefallenlassen will, dass
sie über einen verhängt wird wie ein Unglück.“
Der Physiker Dirac hat exemplarisch vorgelebt, was David fordert, er
hat sich nicht verbogen wie andere, ist eigentlich nie erwachsen
geworden im Sinn von abgeklärt.
David und seine Freunde sind noch mittendrin in diesem Prozess. Die
autistische Arroganz der Pubertät haben sie abgelegt, die Ideale drohen
ihnen abhanden zu kommen. Die Mittdreißiger müssen mit dem
Zusammenbruch ihrer linken Utopien, ihren kaputten Familiengeschichten,
mit Krankheit und Verlust fertig werden. Die Künstlerin, die Liebenden
und der todkranke Arzt versuchen ihr Bestes – und scheitern doch immer
wieder. Und David selbst entfremdet sich ihnen auf der Suche nach
seinem Helden so weit, dass er schließlich ins Abseits nebulöser
Geschehnisse gerät. Auch der Roman zerfleddert gegen Ende zu, wird fast
mystisch und lässt die meisten Fragen offen.
Dennoch entwickelt „Dirac“ einen Sog, dem sich der Leser kaum entziehen
kann. Die vielfach verschlungenen Lebenslinien wollen entwirrt, das
Puzzle will zusammengesetzt werden – auch auf die Gefahr hin, dass es
nur ein Trugbild ist.
Info: Dietmar Dath, Dirac, Suhrkamp, 383 S., 19,90 Euro