Verlorene Väter: Doron Rabinovicis „Andernorts“

„Wir sind Lügner, na und? Wollten wir einen Mord vertuschen. Wir wollten eine Familie gründen, eine Familie nach Auschwitz“, sagt Dina, die Mutter auf die Vorwürfe der jungen Männer, die sich für kurze Zeit daran gewöhnen mussten, Brüder zu sein.
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, der sensible Wissenschaftler Ethan Rosen, der sich nirgends zuhause fühlt und sein alerter Gegenspieler Rudi Klausinger, der sich überall bis zur Unkenntlichkeit anpassen kann. Und doch sind sie sich ähnlich wie Brüder. Und womöglich sind sie das ja auch.

Doron Rabinovici verblüfft in seinem aufregenden Roman „Andernorts“ mit
einem verwirrenden Vexierspiel und einer Handlung, die immer neue Volten
schlägt. Sind die beiden einander so feindlich gesonnen Männer nur die
zwei Seiten einer Medaille? Was verbindet den Sohn des
Auschwitz-Überlebenden Felix Rosen mit dem unehelich geborenen Sohn
einer Wiener Kellnerin – außer den ähnlichen wissenschaftlichen
Interessen? Und wer war dieser Dov Zedek, um den sich der erste Streit
dreht, weil Klausinger den Nachruf geschrieben hat, dem sich Rosen
verweigerte? Was hat der verrückte Rabbi, der den Messias klonen will,
mit all dem zu tun und was die Niere, die Felix Rosen das Leben retten
soll?
Fast nebenbei schält sich im Hintergrund das Schicksal einer verlorenen
Generation heraus, die nach der Shoa erst wieder ins Leben zurückfinden
musste und dabei durch ihre Überfürsorglichkeit den Nachkommen die Luft
zum Atmen nahm. Zu ahnen ist auch das Bild eines Staates, der längst
noch nicht zu sich selbst gefunden hat. Israel bleibt Ethan fremd, aber
der heimatlose Rudi könnte in dem Land Wurzeln schlagen, das so viel
Verschiedenes integrieren muss.
Es gibt keine einfachen Wahrheiten in diesem Buch. Am Ende führt ein Tod
zwar die Familie zusammen, aber auf unsicherem Terrain. Nur eines
scheint sicher: „Heimat ist, wo einem fremder zumute ist als an jedem
anderen Ort.“

» Doron Rabinovici: Andernorts, Suhrkamp, 285 S., 19,90 Euro.

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