Die ganze Welt twittert und trifft sich bei Facebook, Xing & Co. Die ganze Welt? Ausgerechnet in der Reisebranche haben sich viele tapfere Traditionalisten bisher vornehm zurück gehalten. Während schon das letzte Dorf seinen Facebook-Auftritt hatte, während die Lufthansa munter über Aschewolke, Schnee und Regen twitterte und die Deutsche Bahn Fahrkarten über ihre Facebook-Seite verkaufte, diskutierte die Branche noch, ob so eine Fanpage auf Facebook tatsächlich ein Geschäftsmodell sein könnte. 2012 soll es nun auch beim Reservierungssystem Amadeus soweit sein: Nicht weniger als eine „Social Travel Revolution“ wird da angekündigt, wenn die eigene „Social Media Suite“ die heutige Touristikwelt mit sozialen Netzwerken verknüpft.
Der „boomende weltweite Plaudertreff“ Facebook (Armin Vielhaber,
Studienkreis für Tourismus) ist inzwischen das Objekt der Begierde auch
für die Reiseindustrie, die diesen Markt bisher eher verschlafen hat.
Die „Ammerlander Gespräche“ des Studienkreises für Tourismus und
Entwicklung beschäftigten sich deshalb unter dem Motto „Connected – die
Facebook Generation auf Reisen“ eher verspätet mit einem Phänomen, das
für viele Menschen längst zum Lebensalltag gehört, für einige der
Teilnehmer aber immer noch ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheint.
Das legten zumindest die Diskussionsbeiträge nahe. Mehr als eine
Momentaufnahme konnten auch die Gespräche nicht liefern. Hier der
Versuch einer Zusammenfassung.
An der Notwendigkeit einer Facebook– oder Twitter-Präsenz zweifelt kaum
ein Veranstalter mehr. Hat sich doch die Lebenswirklichkeit gründlich
geändert. Statt mit Freunden im Café oder in der Kneipe tauscht man sich
heutzutage in Communities aus – natürlich auch über die
Lieblingsreiseziele, die Reisewünsche und die Urlaubserlebnisse. Oder
man sucht gleich im Netz Freunde, mit denen man die nächste Reise
unternimmt und mit denen man gemeinsam Spaß hat.
Für die Mehrzahl der Jugendlichen ist immer noch Party, Party der
wichtigste Reiseinhalt. Es gibt aber auch andere, die am liebsten allein
auf Reisen gehen und für sich die Welt erobern. Ganz so wie früher die
Globetrotter oder Backpacker – allerdings mit dem Laptop, dem iPad oder
dem Smartphone im Gepäck. Denn man will ja „connected“ bleiben, will die
„Freunde“ teilhaben lassen an den eigenen Erlebnissen, will auch die
Sicherheit haben, immer und überall erreichbar zu sein, ganz nach dem
Motto: „Abenteuer ja, aber mit Netz.“ Auch für solche
Reiseindividualisten hat das Internet die Reisewelt verändert. Sie
können sich vor der Reise in Blogs und Foren informieren, während der
Reise auf Facebook von ihren Erlebnissen berichten und über Skype
Kontakt mit zuhause halten oder auch mit „Freunden“, die sie unterwegs
treffen wollen. Mit kuriosen Folgen: „Manchmal kennt man Leute schon
gut, bevor man sie überhaupt zum ersten Mal sieht“.
Auf solche Kontakt-Bedürfnisse und eine Entwicklung, die „auf leisen
Sohlen kommt“ reagiert die traditionelle Touristik bisher eher im
Schneckengang. Doch inzwischen ist die Reisebranche überzeugt davon,
dass sie soziale Netzwerke dringend als Verkaufskanal brauchen wird, um
ihre Botschaft an die Zielgruppe zu bringen. Die aber ist unwillig, mag
ihre Community nicht als Werbespot missbraucht sehen. „Glaubwürdig
bleiben“ müsste das Netz, mahnen der junge Blogger und der erfahrene
Vertriebsmanager unisono. Der Spagat ist nicht einfach.
Als Vertriebsweg hat die Touristik das Internet längst akzeptiert. Bei
den Möglichkeiten der Interaktion aber, die Soziale Netzwerke bieten,
sind viele noch überfordert. Genau da will Amadeus mit seiner Social
Media Suite für die Reisebüros eine Bresche schlagen. Sie sollen als
„erfahrene Reiseprofis“ den Kunden Tipps geben, sie an die Hand nehmen
und schließlich auch zur Buchung direkt auf der Fanpage bringen.
Letztendlich, da sind sich die Touristiker einig, funktionieren neue
Vertriebswege z.B. über Facebook nur so lange, wie jemand dahinter sitzt
„und richtig Gas gibt“: „Wir müssen immer da sein, wo der Kunde ist“,
formuliert es einer der Teilnehmer der Ammerländer Gespräche. „Heute
bringen wir den Kunden zur website, morgen die website zum Kunden.“ Es
sei denn, die Kunden sind Arbeitnehmer. Dann besteht die Gefahr, dass
sie untertags gar keinen Zugang zu Facebook haben. Immerhin 72 Prozent
der Unternehmen sperren nach einer aktuellen Untersuchung Social Media
wie Facebook, Google + & Co für ihre Mitarbeiter.
Und dann könnte es auch sein, dass über gesteuerte Fanpages die Social
Media ihre Unschuld, sprich Glaubwürdigkeit, verlieren. Schon jetzt
werden die User mit Informationen und Anfragen überschwemmt, schon jetzt
können sie sich vor Tweets kaum retten. Die Unterscheidung zwischen
wichtig und unwichtig wird immer schwerer. Und der „Gefällt mir-Button“
taugt als Wegweiser nur wenig. Der eher nicht vorhandenen
„Schwarm-Intelligenz“ würden die meisten Gesprächsteilnehmer beim
Studienkreis für Tourismus den professionellen Journalisten vorziehen,
der auswertet, transparent macht, Wege durch den Info-Dschungel weist.
Unter Umständen könnte es aber auch der Blogger sein, der mit seinen
„ehrlichen Erlebnissen“ die User verzaubert und Neugierde weckt.
Interessante Seiten im Internet:
www.studienkreis.org Website des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung
www.reisedepesche.de Reiseblog, der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde
www.v.i.r.de Website des Verbands Internet Reisevertrieb
Info Ammerländer Gespräche
Die Ammerländer Gespräche, einmal im Jahr vom Studienkreis für Tourismus
und Entwicklung veranstaltet, bringen Menschen zusammen, die sich mit
touristischen Themen befassen: Journalisten und Veranstalter,
Wissenschaftler und Unternehmer. Im Zentrum der offen geführten aber
vertraulich zu behandelnden Gespräche stehen aktuelle Themen und
praxisorientierte Erkenntnisse. So beschäftigten sich die Ammerländer
Gespräche u.a. mit Begegnungen im Urlaubsland, mit dem Klimawandel oder
der Aldisierung im Tourismus. Und nun also auch mit den sozialen
Netzwerken.