Schwäbische Erfolgsgeschichten

Der Hofhund wartet schon auf die nächsten Streicheleinheiten, im Bauerngarten explodiert die herbstliche Blumenpracht, eine schwarze Katze wärmt sich den samtigen Pelz in der Sonne. Am Hofladen blühen lila Astern. Davor steht der jugendlich wirkende Hausherr mit Baseball-Kappe und – mit Krücken. Herbert Köberle hat sich beim Inlineskaten einen komplizierten Bruch zugezogen. Ein skatender Bauer? Hier in Oberschwaben, dem Land der Glücklichen, wo die Arbeitslosenquote gering und die Zufriedenheit groß ist, ist das kein Widerspruch.

Köberle, schwarze Jeans, schwarzes Polohemd mit Hofladen-Logo, ist ein
moderner Bauer, einer, der weiß, wo’s lang geht. 45 Hektar Land
bewirtschaftet der Vater von zwei kleinen Kindern im Familienbetrieb:
Ackerbau, Grünland, Schweinezucht, Mastbullen und Mutterkühe. Dazu
Eier, Apfelsaft von den Apfelbäumen auf den Streuwiesen und der
Hofladen, in dem es auch regionale Produkte von anderen Bauern zu
kaufen gibt. Und, nicht zu vergessen, die Fotovoltaik-Anlage. „Ich bin
da ein sehr großer Verfechter“, sagt der 39-Jährige, und: „Wenn man
sieht, was die Allgemeinheit an Folgekosten für den Atomstrom zahlen
muss, ist Solarenergie nicht teuer.“
Die von ihm produzierte Strommenge, die er ins Netz des örtlichen
Betreibers einspeist, reicht für 40 Familienhaushalte. Pro
Kilowattstunde bekommt er 43 Cent, 18 Cent zahlt er für den eigenen
Stromverbrauch. Bleiben 25 Cent. Ein Zuverdienst, den der gelernte
Landwirtschaftsmeister dringend braucht, um den Hof zu erhalten, ebenso
wie die Schiene der Direktvermarktung. Denn bei den derzeitigen Preisen
für landwirtschaftliche Produkte „ist kaum mehr was zu verdienen“.
Bauer Köberle, dessen brauen-weiße Mutterkühe auf den grünen Wiesen
grasen und dessen Schweine im Stroh grunzend Wohlbehagen signalisieren,
plagt die Sorge um den eigenen Berufsstand. „Irgendwann wird es in
Deutschland keine Landwirtschaft mehr geben“, fürchtet er, „sondern
eine Agrarindustrie“. Und das wäre wohl das Ende von Streuobstwiesen
und Fleckvieh-Weiden, die diese bukolische oberschwäbische Landschaft
prägen.
Doch die Schwaben lassen sich nicht so schnell die Butter vom Brot
nehmen. „Da krempelt man schon lieber die Ärmel auf und packt’s an“,
sagt die zierliche Marie Gelder, Teilzeit-Stadtführerin in Bad
Saulgau
. So wie in ihrer Heimatstadt, die bei der Kreisreform 1973 an
den Landkreis Sigmaringen fiel. Heute ist das propere Kurstädtchen,
seit 2000 mit dem Prädikat „Bad“ geadelt, ein quirliges Zentrum mit
schönen Fachwerkhäusern, einem sehenswerten Stadtmuseum und einer
Pfarrkirche, in der sich moderne Kunst harmonisch ins gotische
Gesamtbild fügt. Fast unbeachtet am Ausgang hängt ein eindringliches
Gemälde von Otto Dix, die Geißelung Christi. Die Stadt kann es sich
leisten, ihr Erbe auch modern zu interpretieren. In der guten Stube
behauptet sich ein fast strenges Gebäude aus Holz und Glas neben den
gemütlichen Fachwerkfassaden.
Auch das Traditionshotel KleberPost, das in seiner 390-jährigen
Geschichte Politiker und Poeten zu Gast hatte, kommt trendig daher, mit
hellem Verputz und wehenden Fahnen. „Wir sind Gott froh, dass die
KleberPost wieder da ist“, sagt Marie Gelder und schaut so stolz auf das
Hotel als wäre es das Ihre. Die KleberPost ist auch ein Stück Saulgau.
Ernst Jünger hat hier seinen 100. Geburtstag gefeiert. Helmut Kohl und
Francois Mitterand trafen sich regelmäßig und die Schriftsteller der
Gruppe 47 wählten das Hotel zum Tagungsort. Auf der Bilderwand in der
Lobby kann man Walter Jens und Peter Härtling beim Diskutieren, Günter
Grass
beim Rauchen und Marcel Reich-Ranicki beim Nachdenken zuschauen.
Die Bilder, ein paar Stühle, ein Spiegel, das Parkett – viel mehr ist
aus der alten Zeit nicht übrig geblieben. Selbst das Tafelsilber ist
verramscht worden, als die Familie Kleber in Zahlungsnöte geriet. Nach
einer gründlichen Renovierung durch einen Investor hat das Hotel wieder
die Pforten geöffnet und präsentiert sich im trendigen Fusion-Look,
wobei sich modernes Design lustvoll mit Klassischem paart. Unter der
Regie von Christine und Egon-Michael Durach, der sich schon im
Restaurant Vinum die Sympathien der Oberschwaben erkocht hat, hat sich
das Hotel in gerade mal drei Monaten seinen guten Ruf zurück erobert.
Kein Kinderspiel, sondern kluge Selbsteinschätzung und geschickte
Vermarktung.
Das Erfolgsrezept hat auch in der Ailinger Erlebnismühle funktioniert,
wo des Müllers schöne Töchter Hof halten. Silke (38)und Evelyn (39),
beide blond aber überhaupt nicht blauäugig, haben schnell erkannt, dass
sich mit der Mühle allein kein Staat machen lässt. „Neun Euro für 100
Kilogramm Weizen, das ist doch eine Schande“, schimpft Silke. „Ohne die
Scheune und den Laden hätten wir die Mühle nicht erhalten können.“ In
der gemütlich-rustikalen Scheune fühlen sich Busgruppen ebenso wohl wie
Hochzeitsgäste. Und nur manchmal wundern sich die Gastgeberinnen über
die Ansichten der Gäste. „Ach Gott, ne Mühle! Gibt’s sowas noch?“ Silke
schüttelt den Kopf, dass die blonden Haare fliegen. „Da essen die Leute
tagtäglich Brot und fragen sich nicht, wie es produziert wird.“
Im großzügigen Laden stehen die unterschiedlichsten Mehlmischungen:
Spätzle- und Dinnetemehl, Zopf- und Pizzamehl, alle mit Rezept auf der
Rückseite. Dazu gibt’s noch viel Regionales und einigen Schnickschnack
für die Besuchergruppen. „Die Mehle der großen Industriemühlen kann man
mit den unseren nicht vergleichen“, sagt Evelyn. „Wir arbeiten viel
individueller.“ Täglich werden acht bis zehn Tonnen in der Ailinger
Mühle gemahlen, vorwiegend Spezialmehle, die über den Internet-Shop bis
nach Berlin und Hamburg geliefert werden. Das taugt den
geschäftstüchtigen Schwestern, die sich am liebsten als „Mahlerinnen“
bezeichnen, weil sie das Müllerhandwerk nie gelernt haben. Dass die
beiden Hübschen zu Werbeträgerinnen für das Land-Baden Württemberg
gewählt wurden, haben sie eher als Bürde empfunden. Weil Erfolg eben
auch Neid mit sich bringt.
Am Horizont türmt sich ein Wolken-Himalaja. Die Straße mäandert durch
lackgrüne Wiesen und rasierte Felder mit ockerfarbenen Stoppeln, durch
aufgeräumte Dörfer und dunklen Tann. In Gospolshofen steht ein Bär von
einem Mann vor einer Schautafel, die den Weg der Milch zum Käse zeigt.
Michael Vogler, Jahrgang 1966, ist Chef der Schaukäserei Gospoldshofen.
Und dass er zupacken kann, sieht jeder. Aber der „Allgäuer Naturbusch“
(so die Selbst-Charakterisierung) kann auch reden. Über die Arbeit, die
keine Sonn- und Feiertage kennt, genauso wenig wie die Kühe. Jeden Tag
müsse die Milch erwärmt, gereinigt und entrahmt werden. Dann erst
geht’s ans Käsen. 1000 Liter Milch braucht es für einen Laib Allgäuer
Emmentaler, der im Salzbad konserviert wird. Bis der Käse an die
Verkaufstheke kommt, vergehen gut drei Monate. In der Zwischenzeit muss
der Käse nicht nur reifen sondern auch schwitzen, während Bakterien die
Löcher ausrülpsen.
Vogler verdient sein Geld nicht nur mit Käsen und der Schaukäserei. Es
gibt auch ein kleines Museum, einen Kinderspielplatz und – natürlich –
einen Käseladen. Ja, teuer sei der Käse schon, räumt der Mann mit dem
kantigen Allgäuer Schädel ein. Aber: „Dahinter steckt massenweise Geld,
Zeit und Arbeit. Da ist der Preis absolut gerechtfertigt.“ Das sehen
selbst die notorisch sparsamen Schwaben so. Absatzprobleme hat der
Käser nicht, wohl aber neuerdings Schwierigkeiten mit der Zahlungsmoral.
Die gab’s bei der Restaurierung der Wallfahrtskirche von Steinhausen
nicht. Die „schönste Dorfkirche der Welt“, mit dem luftig hellen
Kirchenraum, den Hundertschaften von übereinander purzelnden Putti und
den Fresken von Dominikus Zimmermann ist ein Meisterwerk des
süddeutschen Rokoko. Weil das Mauerwerk durch tief fliegende
Militärflugzeuge stark beschädigt worden war, musste das
Verteidigungsministerium die Kosten übernehmen.

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