Die Felder sind kahl wie rasiert, die großen Strohballen verschwunden. Auf den Bergen hat sich der Farn braunrot gefärbt, Erika-Sträucher blühen kardinalsrot. Im herbstlichen Sonnenlicht strahlen die Hügel als wären sie von innen erleuchtet. In den Laubbäumen hängen noch die letzten bunten Blätter, unverdrossen grasen die Schafe auf den sattgrünen Wiesen. Ein kühler Wind bläst über den Hügelkamm, riffelt das Wasser im See. Am Horizont schwimmt ein Schiff in den Wolken. Herbst in Schottland, die beste Jahreszeit für ausgedehnte Auto-Touren durch eine Landschaft, die vor dem Winterschlaf noch all ihre Schönheit mobilisiert.
Im ausgedehnten Park des Hotels ergehen sich die Gäste einer
schottisch-indischen Hochzeit – Schottenrock meets Sari. Der indische
Bräutigam trägt Kilt, die schottische Braut weiß. Die Gäste kommen aus
Persepolis und Trivandrum, aus Washington und natürlich auch aus
Edinburgh gleich um die Ecke. Prestonfield, das dekadente Schmuckstück
in der Sammlung des schottischen Restaurators James Thomsen, ist ein
Lieblingsplatz für opulente Feste. Das Haus, 1688 von Sir William Bruce
erbaut, hat viel gesehen: Benjamin Franklin bedankte sich in einem
Brief für die „unvergleichliche Gastfreundschaft“ und viel früher noch
– 1745 – nahm Bonnie Prince Charlie, der hübsche Prinz, beim Versuch,
den englischen Thron für die Stuarts zurückzugewinnen, Quartier im
Haus, während seine Truppen im Park lagerten. Weil ihm die schottischen
Clans nicht bis nach London folgen wollten, haute der königliche
Heerführer mit der Faust auf den (gedeckten) Tisch – und direkt in eine
Gabel. Seither legen die Kellner in Prestonfild alle Gabeln mit den
Zinken nach unten. Solche Geschichten erzählt man gern in dem
traditionsreichen Haus, vor dem die von Jimmy Carter gepflanzte Eiche
grade die letzten Blätter abschüttelt.
Drinnen ist es warm und gemütlich und schier unglaublich dekadent. Die
Augen wissen gar nicht, wohin sie blicken sollen ob all der Pracht und
Herrlichkeit: Samt und roter Plüsch, Stuckdecken und Kandelaber, Büsten
und Gemälde, antikes Mobiliar und Tapeten aus längst vergangener Zeit.
Ein Museum zum Anfassen. Ein Hotel als Theater, inszeniert von
Edinburghs bekanntestem Restaurateur. Ganze Wagenladungen von
Antiquitäten hat er in Prestonfield wohl abgeladen: James Thomson ist
dem Haus verfallen, seit er während seiner Zeit in einer
Hotelfachschule hier als Kellner gearbeitet hat. „Ich verliebte mich
sofort in das ganze Theater“, erinnert er sich noch heute. 2003 erwarb
er – inzwischen zu Geld und Ansehen gekommen – sein Traumhotel. Die
Restaurierung des abgewirtschafteten Hauses verschlang Millionen – aber
es lohnte sich. Binnen ein paar Monaten heimste Thomson, der in
Edinburgh auch das exzentrische Gourmetrestaurant The Witchery
betreibt, Preise und Ehrungen ein – und konnte prominente Namen auf
seine Gästeliste setzen: Sir Sean Connery, Joan Collins, Elton John,
Joanne K. Rowling und andere genossen in der Fantasywelt von
Prestonfield ihren Auftritt und ließen sich im Rhubarb Restaurant von
den Kreationen des Maitre de Cuisine verzaubern. In der Owner’s Suite
betten sich die Gäste unter einem pompösen Baldachin. Eine fast
versteckte Treppe führt in diese privaten Gemächer, wo die Gäste ganz
für sich sein können. Ungestört vom Rest der Welt.
Draußen ist es kühl geworden, drinnen lodert ein warmes Feuer im Kamin.
Im Salon flackern hunderte von Kerzen. Man versinkt in einem der
dickgepolsterten Sessel oder macht es sich auf dem plüschigen Sofa
zwischen all den flauschigen Kissen gemütlich. Ein Glas Whisky, ein
spannendes Buch vielleicht von Sir Walter Scott, dem schottischen
Nationaldichter. Seine romantischen Romane wie Waverley oder Ivanhoe
passen gerade hier wunderbar ins theatralische Ambiente.
Im kleinen Writers Museum von Edinburgh im verwinkelten Lady Stair’s
House aus dem 17. Jahrhundert ist zu lesen, was Schottland dem
dichtenden Baronet zu verdanken hat: „Ein Genius ist erschienen, der
Edinburgh verewigt hat und noch lange die Welt erfreuen wird.“ Zu sehen
sind alte Ausgaben der berühmten Bücher, Scotts Wanderstöcke, seine
Kappe, eine Glasscheibe, die seine Unterschrift trägt. Auch der andere
große Sohn Schottlands, Robert Burns, gibt sich hier die Ehre. Besucher
können in seine Gedichte hinein hören, auch in die Briefe an seinen
Sohn. „Caledonia’s Bard“ wurde Burns genannt. Der Volksdichter hat für
den Mann auf der Straße gesprochen, gegen soziale Ungerechtigkeit – und
ein neues Zeitalter universeller Brüderlichkeit prophezeit. Der Dritte
im Bunde, der im Writers‘ Museum gewürdigt wird, ist ein früher
Globetrotter: Robert Louis Stevenson, der Autor der „Schatzinsel“ hat
sein Leben auf Reisen verbracht, getreu seinem Motto „to travel
hopefully is a better thing than to arrive“ (hoffnungsvoll zu reisen
ist besser als anzukommen).
Wohl wahr. Vor allem in Schottland. Die schmalen Straßen sind ein Auf
und Ab durchs sonnenbeschienene Hügelland, wo sich Rebhuhn und Fasan
ein Stelldichein geben. Dörfer mit viktorianischen Häuschen ziehen am
Fenster vorbei, Kirchenruinen und immer wieder samtig grüne Golfplätze.
Die schönsten ihrer Art sind hier zu finden: Turnberry, Gleneagles und
nicht zuletzt St. Andrews, die Wiege des Golfsports und das Königreich
der Golfplätze. Dabei vergisst man gerne, dass St. Andrews auch noch
eine ganz andere Tradition hat: Hier steht die älteste Universität auf
schottischem Boden – Prinz William erwarb in der St. Andrews University
einen Abschluss (in Geographie). Auch John Knox, der schottische
Reformator, hat hier studiert. Seine fanatisierten Anhänger zerstörten
später die gewaltige Kathedrale, die im 12.Jahrhundert zu Ehren des
Heiligen Andreas erbaut wurde und die den kleinen Ort St. Andrews zum
religiösen Zentrum der schottischen Kirche und zur Pilgerstätte gemacht
hatte. Heute stehen nur noch die imposanten Ruinen hoch über dem Meer,
steinerne Zeugen einer Zeit der Religionskriege. In den gotischen
Fensterbögen fängt sich das Sonnenlicht und tröpfelt auf überwachsene
Grabsteine. Dem bildschönen Verfall kann kein Fotograf widerstehen,
schon gar nicht die Gruppe von Japanern, die jede Säule ablichten.
Schottland ist reich an Ruinen und alten Gemäuern. Und reich an
Gespenstern. „Alle schottischen Schlösser haben ihre
Geistergeschichten“, sagt Libby Reynolds, die mit energischem Schritt
durch Glamis Castle führt, „Wir sind da keine Ausnahme.“ Es ist aber
nicht Lady Macbeth, die durch das altehrwürdige Gemäuer geistert. Denn,
obwohl Shakespeare seinen Macbeth hier angesiedelt hat („Glamis thou
art and Cawdor and shalt be/what thou art promised – Glamis bist du und
Cawdor und sollst sein, was dir prophezeit wurde), hat der historische
Macbeth Glamis Castle wohl nie gesehen. Aber Shakespeare könnte bei
einer Tour nach Aberdeen hier gewesen sein und sich vom Schloss
inspirieren haben lassen. Schon zu seiner Zeit rankten sich
Gespenstergeschichten um das ehemalige Jagdschloss der Königin von
Schottland. Die von einem Spieler, der auch am geheiligten Sonntag
nicht zu würfeln aufhören wollte, bis ihn der Teufel zum Spielen
herausforderte. Bis heute höre man ihn manchmal um seine Seele würfeln,
verrät Libby. Oder die von der grauen Lady, Janet Douglas, die nach
falscher Anschuldigung als Hexe verbrannt wurde und die seither in der
Schlosskapelle zum Gebet erscheint. Auf dem für sie reservierten Stuhl
darf kein (lebender) Mensch sitzen.
Queen Mum, die in den Mauern von Glamis eine offenbar unbeschwerte
Kindheit verlebt hat, ließ sich von solchen Schauergeschichten nicht
schrecken und verbrachte ihre Flitterwochen in einem eigens für sie
aufgehübschten Flügel des weitläufigen Schlosses. Und die heutige Queen
und ihre Schwester saßen am liebsten auf den Kinderstühlchen am Kamin,
wenn sie Ferien auf Glamis machten. Vielleicht um, geborgen in der
wohligen Wärme und der vertrauten Umgebung, Gespenstergeschichten zu
lauschen. Womöglich haben sich auch „First Wives“, die während des
G8-Gipfels 2005 in Gleneagles hier speisten, während ihre Männer und
Angela Merkel große Politik machten, über die Geister der Vergangenheit
unterhalten.
Über Klimawandel, saubere Energie und nachhaltige Entwicklung
diskutierten damals die Mächtigen der Welt in Gleneagles. Ein passender
Ort. Das Haus selbst hat sich dem aktiven Umweltschutz verschrieben.
„Eat Local, Buy Local and See Local“ (Iss lokal, kaufe lokal und
besichtige local) werden die werten Gäste aufgefordert, die in diesem
traditionsreichen Grand Hotel absteigen. Hinter der grauen Fassade
atmet alles schieren Luxus, die üppigen Betten, die schönen Sessel, die
teuren Lampen, die Stuck-Decken. Am luxuriösesten aber ist der Blick
aus dem Fenster in den prächtigen Park, wo im Seerosen-Teich die Berge
Kopf stehen. Als „Riviera der Highlands“ und „achtes Weltwunder“ wurde
1924 das schlossartige Gebäude der Caldonian Railway Company mit seinen
Türmchen und Zinnen gerühmt. Heute gehört es zur Diageo-Gruppe, einem
Getränke-Imperium (Guiness, Smirnoff, Bailey’s), die ordentlich Geld in
die Modernisierung und das grandiose Spa gesteckt hat, das die
Condenast Traveller 2008 zu ihrem Lieblings-Spa in Großbritannien
erkoren haben. Für Golfer, Gourmets und gutbetuchte Gäste ist das
Gleneagles bis heute eine der ersten Adressen. Kevin Costner, John
Travolta und Danni Minogue lassen sich gerne hier verwöhnen. Auch der
normale Gast fühlt sich im Gleneagles wie ein König, umsorgt von ebenso
hilfreichen wie unaufdringlichen Mitarbeitern. „700 bis 800 Menschen
aus über 30 Nationen arbeiten im Hotel“, sagt PR Manager Simon Brown
stolz – mehr als das Hotel Gäste beherbergen kann.
Deane (40)trainiert die Hunde in der „Gundog-School“, „der einzigen
weltweit“. Gundogs? Es sind Hunde, die für die Jagd trainiert werden –
immer noch eine der großen Leidenschaften der Briten. „Sitz, bleib,
bring“ sind die wichtigsten Befehle, und Bravo, der schwarze Labrador,
befolgt sie geradezu begierig – ohne eine Belohnung zu erwarten. „Die
Hunde arbeiten, weil sie gefallen wollen“, erklärt Deane und wirft den
Köder ins eiskalte Wasser des Teichs. Bravo zögert keine Sekunde und
hechtet hinterher. Schwanzwedelnd legt er seiner Trainerin das
Plastik-Rebhuhn zu Füßen. So wie er es bei der Jagd mit der Beute
machen würde. In diesen Tagen können die elf Gundogs von Gleneagles
beweisen, was sie gelernt haben: Es ist Jagdsaison in Schottland.