(Buch)
Autor: Gordon Dahlquist
Verlag: Blanvalet HC Erschienen am: 2007-09-17 Seiten: 864 ISBN: 3764502789 |
Selten wurde in einem Roman so viel geschnieft und geschnaubt wie in diesem und selten gab es auch so viele Gründe dafür. Denn in Gordon Dalquists „Die Glasbücher der Traumfresser“ machen sich Empörung, Wut und Leid in eben diesen Äußerungen Luft. Und die Tatsache, dass die Protagonistin, Miss Temple, im Roman nicht nur durch ein Wechselbad der Gefühle, sondern auch buchstäblich durch die Hölle gehen muss, gibt reichlich Gelegenheit zu schnauben und schniefen.
Miss Temple, zutiefst vom eigenen Wert und den gottgegebenen gesellschaftlichen Unterschieden überzeugt, ist eine Art weiblicher Candide, naiv, tollkühn und durchdrungen vom Glauben an die eigene Mission. Die besteht zuvörderst darin, herauszufinden, was ihren Verlobten, Roger Bascombe, dazu gebracht hat, das Verlöbnis zu lösen.
Celeste Temple kommt von den Inseln und ist es gewohnt anzuschaffen. Dass ihr Vater seinen Reichtum mit Sklaven verdient hat, stört sie nicht weiter. Doch was einige reiche und mächtige Leute bei einer groß angelegten Verschwörung planen, das widerspricht eklatant auch ihren moralischen Kategorien. Auf dem Kreuzzug gegen das Böse ist die junge Dame nicht allein. Einem abenteuerlichen Zufall folgend schließen sich ihr der mecklenburgische Arzt Dr. Svenson auf der Suche nach seinem nichtsnutzigen Prinzen an und der Profi-Killer Chang auf der Suche nach dem Mann, der ihm beim Auftragsmord zuvor gekommen ist. Die drei ungleichen Gefährten haben allerlei lebensbedrohliche Abenteuer zu bestehen, ehe sie Klarheit gewinnen, welch abscheulichen Pläne die politisch mächtige Kaste im Bund mit obskuren Scharlatanen verfolgt.
Gordon Dalquist heißt der Autor, der diesen Schauerroman geschrieben hat. Ein kleiner, eher zarter Mann mit dunkler Haartolle, runder Brille und kleinem Bärtchen über dem sensiblen Mund. Seit 20 Jahren ist er Wahl-New-Yorker und Drehbuchautor. „Die Traumbücher der Glasfresser“ ist sein erster Roman – Gothic Novel, Science Fiction, Krimi und Romance in einem. „Der Herr der Ringe“ lässt grüßen, Harry Potter und Marquis de Sade. Dalquists Roman lässt sich so leicht keinem Genre zuordnen, verrät aber in Stil und Handlung die Vorliebe des 46-jährigen Autors für das viktorianische Zeitalter und Mantel- und Degenfilme. Dass Streitigkeiten vor allem ausgefochten werden, hat sicher auch mit seinem Faible fürs Fechten zu tun. Dalquist – er hat so viele Degen wie andere Leute Golfschläger – trifft sich jeden Sonntag mit Freunden zu einer Art Freestyle-Fechten im Park. Vor der Kulisse der New Yorker Fabrikschlote wirken die „drei Musketiere“ mit ihren Schutzhelmen und Gamaschen wie aus der Zeit gefallen.
Aber der Autor ist fest in der Gegenwart verwurzelt. In der viktorianischen Zeit würde er nicht leben wollen. „Allein der Gestank, der Dreck“, graust er sich. Nein, eine Zeitreise könnte er sich höchstens als Tourist vorstellen. Auch die Inspiration für die Verschwörung ist sehr aktuell, sie kam aus der Computer-Branche. Mittels einer neuen Technologie stehlen die Verschwörer den Opfern ihre Träume, höhlen sie aus und pressen das Lebenselixier in blaues Glas. Der Blick in dieses Glas macht süchtig – und gefügig. „Eigentlich ein Spiegelbild unserer Gesellschaft“, sagt Dalquist. „Unsere Kultur hebt Schauspieler aufs Podest. Menschen, die vorgeben, etwas zu tun oder zu sein. Purer Eskapismus.“ Auch die Menschen in seinem Roman flüchteten aus dem wirklichen Leben und der sozialen Verantwortung – in die Träume anderer.
Ein Traum war es auch, der den Drehbuchautor Dalquist auf die Idee des Romans brachte. „Ein bösartiger Eissturm tobte über New York“, erinnert er sich. „Man konnte gar nicht aus dem Haus und ich war als Schöffe in dem Prozess gegen einen Crackdealer-Ring verpflichtet.“ In der Nacht, bevor er zu schreiben begann, habe er geträumt, dass sein Freund blonde Haare und ein Monokel gehabt hätte und dass sie beide Zeugen waren, wie etwas Merkwürdiges vor sich ging. Zwar habe der Freund im Traum deutlich die Züge Dr. Svensons getragen, wundert sich Dahlquist. Geschrieben habe er aber am nächsten Tag nicht über den Doktor, sondern über Miss Temple. Er mag die zähe kleine Person, gesteht er. Selbstbewusst und mutig wie sie sei erinnere sie ihn an seine zwei Katzen, mit denen er in der Mesnerwohnung einer Kirche zusammenlebt.
Und Chang, der gebrochene Held mit der harten Schale und dem weichen Herzen, kam der aus dem Crack-Prozess? Dahlquist überlegt, lächelt fein und nickt. „Kann sein.“ Noch ist der Autor verblüfft über den Erfolg seines Erstlings, der schon in 30 Länder verkauft wurde. Auch Hollywood hat bereits Interesse gezeigt, verrät er strahlend. „Als der Anruf kam, war ich grade in Berlin, am Prenzlauer Berg. Wir haben über Politik und Wissenschaft gesprochen und schließlich 40 Minuten lang auch über mein Buch.“
Als Drehbuchautor ist Dahlquist so viel Aufmerksamkeit nicht gewohnt. 15 bis 20 Stücke hat er geschrieben, mit mehr oder weniger großem Erfolg und keine Reichtümer angesammelt. Viele seiner Kollegen verdienten erst „richtig Geld“, wenn sie fürs Fernsehen schreiben, weiß er. Ein Ausweg, den er für sich nicht sah. „Meine Reaktion auf die brotlose Kunst war der Roman.“ Ein Jahr lang schrieb er an den „Glasbüchern“, meist in Cafes. Dann dauerte es fast noch ein Jahr, bis der Roman über zahlreiche Umwege einen Verlag fand – und jetzt diese Resonanz. Vom ersten „Reichtum“ hat sich Gordon Dahlquist einen neuen Computer gekauft – und ein paar Schuhe.
Info: Gordon Dahlquist: Die Glasbücher der Traumfresser, Blanvalet, 896 S., 24,95 Euro