Scharfzüngige Abrechnung: Sibylle Lewitscharoffs „Apostoloff“

„Papa, hättest du gedacht, dass deine Küste eines Tages so hässlich aussehen könnte?“
Es ist ein bitterböser Abgesang auf das Land des Vaters und den Vater selbst, der Sybille Lewitscharoff die Nominierung für den Leipziger Buchpreis eingebracht hat.  Auf der Suche nach ihren Wurzeln war die Bachmann-Preisträgerin, deren Mutterland das schwäbische Württemberg ist,  ins  Vaterland Bulgarien gereist.  Der auf diesen  Erfahrungen fußende Reise-Roman „Apostoloff“ spielt  mit der Vorliebe der Bulgaren für biblische Namen   – und ihrem Hang zu Heldenverehrung, Geschichtsfälschung und Größenwahn.
 

Ein solcher steckt auch hinter der Reise von zwei Schwestern ins Land des Vaters. In einem üppig inszenierten Limousinen-Korso werden die dank Kyrotechnik  in winzige Teilchen zerlegten Leichen von 19 Exilbulgaren, die in Stuttgart eine neue Heimat gefunden hatten, „heimgeholt“  – auch der Vater der beiden Frauen.  Dieses „Aas von einem Vater“, das der Jüngeren, Spitzzüngigen auf dem Rücksitz immer wieder erscheint, samt dem Strick, an dem er sich erhängt hatte. 
Trotzdem verlängern die Schwestern in fast selbstquälerischer Absicht die  Reise, lassen sich von Rumen Apostoloff durchs Land chauffieren und drängen ihn geradezu in die Rolle des Vermittlers zwischen Stuttgart und Sofia, zwischen deutscher und bulgarischer Kultur.  Zwar erobert der bulgarische „Hermes“ das Herz der älteren, sanfteren Schwester, aber für das Land Bulgarien kann er keine der beiden kritischen Mitreisenden begeistern: Die Schwarzmeerküste „Verbaut, verpatzt, verdreckt.“   Das bulgarische Essen: „Ein in schlechtem Öl ersoffener Matsch.“ Die neue Architektur: „Ein Verbrechen.“  Die Touristenhochburgern: „Eine Ohrenhölle… Es (das Leben) ist in einen Mahlstrom geraten. Verzerrt, verschmettert, verwummert, verklirrt. Kriechladungen der internationalen Hysterie werden auf die Straße gekippt und kein Ausweichen möglich.“
Auch nicht vor den Geistern der Vergangenheit, die die Schwester auf dem Rücksitz immer wieder heimsuchen. Kindheitserinnerungen aus Degerloch und von den bulgarischen Großeltern, die gefühlskalte Mutter – und immer wieder der Vater. „Wir sind Teil einer geheimen Familienmaschine, die fortwährend Unglück produziert.“ 
Und dann doch noch ein Splitter versöhnlicher Schönheit fast schon am Ende der Reise: Plovdiv, die alte Stadt: „Alle bulgarischen Engel müssen beim Bau geholfen haben. Einige von ihnen sind geblieben und hauchen dem Besucher das Herz warm.“ 
Die Begegnung mit dem Land des Vaters hat auch die Autorin nicht ganz kalt gelassen. Ihre rasiermesserscharfen Tiraden gegen Heuchelei, Verwahrlosung und Größenwahn  erinnern zwar an Thomas Bernhards Wüten, kommen aber  mit einem „hintersinnigen Bulgarenkinderlächeln“ daher.  Sie bescheren dieser fulminanten Reise in die Finsternis die schönsten Aufhellungen.            

Info: Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff, Suhrkamp, 248 S., 19,80 Euro
 
 

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert