Sarntal: Steinerne Mandlen und Sarner Sturköpfe

Von Ferne sehen sie aus wie kleine Vulkankegel, die auf der 2003 Meter hohen Reisch aus dem  Boden wachsen. Doch je näher man den „Stoanernen Mandlen“ hoch über dem Sarntal kommt, desto seltsamer wirken sie. Die „steinernen Männer“ sind nichts anderes als aus Steinplatten aufgeschichtete Säulen, meterhoch die einen, gerade mal zehn Zentimeter die anderen. Zu hunderten stehen sie auf der Bergkuppe, überragt von einem Gipfelkreuz. Wo kommen sie her? Was wollen sie uns sagen? Wegmarkierungen seien sie wohl, vermutet Gregor Wenter, der Wirt von Bad Schörgau. Und erzählt, dass dieser Gipfel wohl immer schon etwas Mystisches hatte. Uralte Ritzzeichen hätten sich auf manchen der Platten gefunden und im Mittelalter sei hier ein berüchtiger Hexentanzplatz gewesen.

Gregor schiebt seinen braunen Luis-Trenker-Hut mit dem Almrauschbüschel in den Nacken und schaut aus blauen Augen forschend in die graue Wolkenmauer. Nein, die Dolomiten, die an schönen Tagen rundum Spalier stehen, lassen sich heute nicht blicken. Nebelschwaden wehen um die Steinernen Mandlen wie Vorhänge, die immer neue Szenerien enthüllen. Ein bisschen unheimlich ist es schon, fast so als würden die Steinmänner lebendig. Bestimmt könnten sie viel erzählen aus alter Zeit, von verirrten Hirten und verängstigten Frauen, von rauschenden Sonnwendfeiern und donnernden Gewitterstürmen. Oder auch von der Pachlerzottl, der letzten Hexe vom Sarntal, die unter der Folter alles gestand, was man ihr vorgeworfen hatte und 1640 auf dem Scheiterhaufen starb. Unschuldig wahrscheinlich, vermutet Gregor, wie so viele weise Frauen vor ihr, die durch ihre Andersartigkeit Misstrauen erregt hatten.
Gregors ausgezeichnete Küche im Genießerhotel Bad Schörgau ist ganz gewiss keine Hexerei, aber der junge Wirt profitiert vom (Kräuter)Wissen der weisen Frauen, das er nicht nur im Speiseplan, sondern auch in einer Wellness-Serie konsequent umsetzt. Die Sarner Latschenkiefer etwa, „einzigartig wegen ihres Orangendufts“ die – unter der Kontrolle deutscher Dermatologen – für eine professionelle Spa-Linie“ genutzt wird oder auch als Grundlage für einen deftigen Schnaps. „Das Sarntal“, sagt Gregor, „war ja lange Zeit ziemlich verschlafen. In vielem sind wir zehn Jahre zurück. Aber bei der Latschenkiefer sind wir zehn Jahre voraus.“
Eigenwillig sind sie schon, die Sarntaler, stur fast, könnte man sagen. So wie der Reiterer Sepp, obwohl der eigentlich schon über der Grenze, in Mölten, wohnt. Aber die Sarner nehmen es damit nicht so genau. Der Reiterer jedenfalls ist „ein sturer Hund“. Wie sonst hätte es der Mann mit den grauen Locken und der großen Brille über der roten Nase geschafft, auf 1200 Metern Höhe eine Sektkellerei zu etablieren, die höchste Europas? „Da, wo ich wohne, will ich auch arbeiten“, hat er sich immer gesagt. Und weil die Frau gern Champagner trank, hat er begonnen, Sekt zu keltern, mittels Flaschengärung versteht sich. Wenn schon denn schon. Nur gut, dass der Sepp in seinem früheren Leben genügend Geld verdient hatte. Denn 1976, als er mit seiner Sektkellerei begann „tranken die Leute Henkel oder Lambrusco“. Der Sepp aber rüttelte stur seine Flaschen weiter, und heute produziert er in seinen Felsenkellern einige der feinsten und erlesensten italienischen Sekte aus ausgewählten Chardonnay-, Blau- und Weißburgunder Trauben. Seine Arunda-Sekte holten bei einer internationalen Verkostung in Dijon zweimal Silber und 2008 sogar Gold. „Ich kann’s selber nicht glauben“, lacht der Sepp und hebt das Glas, „dreimal haben wir teilgenommen und waren immer vorne mit dabei.“
Auch der Hansi Baumgartner ist ein sturer Bock, obwohl er aus Brixen kommt. Ehemals Sternekoch hat sich der Mann mit der grau melierten Haarbürste über dem runden Gesicht, aus dem zwei braune Augen lachen, seit 15 Jahren der Käsekultur verschrieben, vorwiegend der regionalen. „Käse ist so interessant wie Wein“, sagt er und schnuppert genießerisch an einem ordentlichen Trumm Bergkäse, „aber das muss man den Leuten auch vermitteln“. Da kommt er als „Affineur“ ins Spiel. Seine über 200 Käsesorten reifen in einem ehemaligen „Mussolini-Bunker“ nahe Mühlbach im Pustertal. Hier, wo es ungemütlich feucht und kühl ist, werden junge Käse alt und edel. Nicht von selbst allerdings. „Jeder Käse muss Form für Form gewaschen, geputzt und gewendet werden“, erklärt der Hansi und schneidet ein Stück vom „Klotzenkas“ ab, den er mit Dörrbirnen veredelt hat. Ein anderer reift in einem Bett aus Heu und nimmt so den „Duft der Südtiroler Almwiesen“ auf und der Rohmilchkäse schmeckt nach dem „Terroir“, also nach den Weiden, auf denen die Kühe gegrast haben. Längst ist der Hansi nicht mehr ein Rufer in der Wüste, 40 Alm- und viele Hofkäsereien machen Südtirol zu einem Käse-Dorado.
Das Messer, an dem Peter Ainhauser gerade werkelt, ist zum Käseschneiden viel zu schade. Ein Messer pro Woche fertigt der Meister in seiner winzigen Hinterhof-Werkstatt in Nordheim, alles in Handarbeit. Der 72-Jährige mit dem eisengrauen Haarschopf, dem wettergegerbten Gesicht und den wasserblauen Augen ist ein echt sturer Sarner. Er macht, was keiner mehr macht hier im Tal, traditionelle Bestecke und Messer. Als „Reggele- und Besteckmacher“ ist der gelernte Maurer einen Namen weit über die Talgrenzen hinweg bekannt. Erst kürzlich bekam er einen Großauftrag aus Stuttgart. Für eine Musikgruppe soll er Messer machen, auf deren Griff die Instrumente der Kapelle zu sehen sind. „I han allweil a Freid ghabt mit dem Besteck“, sagt der Handwerker in der blauen Schürze der Südtiroler Winzer. Weil er wollte, dass das Handwerk weiterlebt, hat er schon als junger Kerl dem alten Pfeifen(Reggele)macher über die Schulter geschaut und ihm auch hin und wieder bei seinem Handwerk geholfen. Jetzt ist er der einzige Besteck- und Messermacher weit und breit und für die  Pfeifen, da ist er sicher, gibt’s in  20 Jahren „neamands mehr“.
Der alte Mann kramt in einer Schublade und holt ein Fuhrleute-Besteck hervor: Zweizinkige Gabel, Ahle und Messer. Alles feinsäuberlich gestaltet, der Horngriff mit silbernen Intarsien: Edelweiß, Eulen, balzende Birkhähne, Wildschweine, Hase und Habicht. Ainhauser lächelt verschmitzt und erzählt Geschichten, die ihn bei seiner Arbeit inspirieren, Jagdgeschichten. Der Messermacher ist ein leidenschaftlicher Jäger. Da gehen ihm die Ideen nicht aus. Nur mit dem Horn, da wird’s immer schwieriger, weil immer weniger Kühe ausgewachsene Hörner tragen und er ganz bestimmte Hörner braucht, dunkelbraune am besten. „Jetzt muss ich schon im Schlachthof betteln gehen, dass die mir was aus die Seite tun“, grollt der Messermacher. Seine Kunst beschränkt sich aber nicht nur auf den Griff.
Auf Messers Schneide hat er eine Botschaft eingeritzt, den magischen Bann: „Neun Kreuz‘ und neun Mun (Monde), halten alle Teufel un“, weiß ein Sprichwort. Man sieht, die Sarner sind nicht nur stur, sondern auch ganz schön abergläubisch.

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