„Es ist leichter ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil.“ (Albert Einstein)
Seit 16 Jahren gehen die Ammerländer Gespräche den Reisen auf den Grund. Diesmal beschäftigten sich die Tourismusexperten (Veranstalter, Hoteliers und Reisejournalisten) mit dem Thema „Meet the People im Urlaub – mittendrin oder knapp daneben“ und das Fazit war, wie so oft, gespalten. Kann Urlaub in Drittwelt-Ländern wirklich helfen, Vorurteile abzubauen. Oder zementieren solche Reisen nicht eher die Klischees, die man hat ganz im Sinn des Zitats von Albert Einstein?
Vor allem bei Reisenden in Entwicklungsländer, das hat der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung bei Umfragen herausgefunden, wächst das Interesse am Kennenlernen von
Land und Leuten. Immerhin 69 Prozent der Befragten äußerten sich dazu
positiv. 53 Prozent davon sind an den Lebensbedingungen der Menschen
interessiert, ein Drittel würde gerne Einheimische mit ähnlichen
Interessen (Beruf, Hobby) treffen. 45 Prozent aller Befragten glauben,
dass ein Entwicklungsland nur durch Begegnungen richtig kennen zu
lernen ist. Das Interesse an tatsächlichen Begegnungen, so die Studie,
steigt mit Bildung, Einkommen und sozialer Schicht. Erstaunlich groß
ist es bei jungen Leuten und – laut Studienkreis besonders erfreulich –
auch bei den oft als „Ignoranten“ verunglimpften All-Inclusive-Gästen.
Unterschiedlich sind auch die Wünsche, wie solche Begegnungen verlaufen
sollten: 49 Prozent möchten sie in Begleitung des Reiseleiters erleben,
35 Prozent ziehen Freunde oder Mitreisende vor, 33 Prozent würden dabei
am liebsten allein sein. Dass die Begegnung kostenlos ist, erwarten 33
Prozent aller Befragte, aber – schon aus Budgetgründen – eine Mehrheit
der jungen Leute.
Auch unter den Diskussionsteilnehmern gingen die Meinungen weit
auseinander. Zwar waren sich alle einig darüber, dass „nicht jeder
Urlauber seinen Einheimischen haben kann“. Aber in der Frage, wie
Begegnungen ablaufen könnten, gab es die unterschiedlichsten Szenarien.
Der Studienreiseveranstalter etwa plädiert für „arrangierte
Begegnungen“, in deren Mittelpunkt der Dialog stehen müsse und die als
„emotional abrundendes Element“ zur Reise passen sollten. Anzustreben
seien zielgruppenspezifische Begegnungen („der Schafhirte für
Wanderreisende, der Restaurator bei Studienreisen“), die einen Blick
hinter die Kulissen des Urlaubslandes vermitteln. Möglichkeiten zu
solchen Begegnungen gäbe es reichlich, in Goethe-Instituten und eigenen
sozialen Projekten, bei Handwerkern und Künstlern, bei Familien und
Minderheiten, auf Märkten und bei Gottesdiensten. Daneben, so sieht es
der Veranstalter, gibt es auch die spontane Begegnung aus der Situation
heraus, den sprichwörtlichen Bauern am Wegrand. Gerade da sei der
Reiseleiter als Dolmetscher zum Alltag gefragt. Auf keinen Fall dürfe
die Begegnung eine „Zwangsveranstaltung“ sein und die Reise selbst
dürfe nicht zu den Problemen des Landes führen, also in
Obdachlosen-Unterkünfte oder Lepra-Hospize.
Mit solchen Ansinnen muss sich ein Türkei-Veranstalter generell nicht
auseinander setzen. Ohnehin seien die Rundreise-Zahlen eher rückläufig,
schwinde das Interesse an Aktiv-Ausflügen, heißt es. Manchmal
allerdings komme es auch im All-Inclusive-Urlaub zu spontanen
Begegnungen, wenn etwa eine Golfer-Truppe in ein türkisches Privathaus
eingeladen würde und Golf plötzlich sekundär werde. Auch der
Jugendreiseveranstalter sieht eher geringen Handlungsbedarf. „Die
Kinder heute erleben das Fremde als alltäglich“. Das „Meet the
people“-Programm findet in den sozialen Netzwerken statt und:
„Jugendliche suchen nicht das Fremde sondern Gleichgesinnte“. Die
Vernetzung im global village mache organisierte Begegnungen
überflüssig. Man treffe sich da, „wo die locals sind“, in Läden,
Discos, beim Sport, auf Partys, Festivals und Events.
Als in Jamaika das „Meet-the–people-Programm“ ins Leben gerufen wurde,
sah die Welt noch anders aus. 1968 wollten Einheimische auf eigene
Kosten dazu beitragen, das Image der Insel zu verbessern, indem sie für
einen Tag Feriengäste empfangen. Kein Besucher, so das Konzept, sollte
die Insel verlassen, ohne einen Jamaikaner kennengerlernt zu haben. Die
Gastgeber kamen aus allen Teilen der Bevölkerung, von der
Krankenschwester zum Rastafari, vom Millionär bis zum Sozialarbeiter.
Mittlerweile fühlen sich die Einheimischen durch die wachsende Anzahl
der All-Inclusive-Anlagen „logged out“, ausgeschlossen, während sie das
Gefühl haben, die Urlauber seien „logged in“, eingeschlossen. Dass
diese Gäste gar nicht so „logged in“ sind, sondern sehr wohl die
Möglichkeiten zu Begegnungen hätten, wissen sie oft selbst nicht. Es
ist also wohl mehr eine Frage mangelnder Information als fehlenden
Interesses.
Die Sorge, dass „organisierte Begegnungen sich sehr schnell in
gegenseitigem Begucken erschöpfen“, hat einen Nischenveranstalter dazu
veranlasst, eine andere Art von Reisen anzubieten, bei denen
alltägliche Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden. Durch gemeinsames
Handeln – die Urlauber sind in alle Aktivitäten eingebunden – entsteht
eine non verbale Kommunikation, die Einblicke in andere Lebenswelten
ermöglicht.
„Wir gehören zu den Kapitalverbrechern der All-Inclusive-Kultur“, räumt
der Vertreter einer großen Hotelgruppe sarkastisch ein. Entsprechend
bescheiden bewertet er die Zahl der an Begegnungen interessierten
Kunden. „Das Potenzial, das wir zu heben versuchen, ist so groß nicht.“
Die Tendenz, Ausflüge zu unternehmen, gehe massiv zurück. Am größten
sei noch das Interesse für Küchenführungen, „das ist ein bisschen wie
Fernsehen“. Kontakte, so die Erfahrung des Managers, fänden am ehesten
auf der Gast-Personal-Ebene statt. Allerdings seien die nicht zu
unterschätzen, vor allem bei Stammgästen. Immer wieder würden Gäste zu
Hochzeiten oder anderen Festen eingeladen, es entwickelten sich echte
Freundschaften. Ähnlich hat das auch der türkische Hotelier erfahren:
„Meet the people“ findet innerhalb des Hotels, der Anlage statt. Bei
organsierten Begegnungen sieht er die Gefahr der Abnutzung. „Wie
natürlich kann man beim zweiten oder dritten Besuch von Urlaubern noch
sein?“ Für einen kleinen Nischenveranstalter Grund zur Selbstkritik:
„90 Prozent von dem, was wir veranstalten, ist Schrott. Es nennt sich
authentisch, ist es aber nicht.“ Der Kollege, der vor allem Reisen für
Gläubige organisiert, sieht darin eher eine Frage des Volumens. „Gott
verhüte, dass auch nur ein Bruchteil der Reisenden an Begegnungen
interessiert ist.“ Ein Meet-the-people-Programm dürfe nicht zu „rent a
local“ verkommen. Außerdem seien die Folgen nicht immer kalkulierbar:
„Manchmal hätte ich mir gewünscht, eine Begegnung hätte nie statt
gefunden.“
Am Ende waren sich alle einig, dass das jamaikanische
Meet-the-people-Programm Vorbild-Charakter habe, weil kein Geld fließt
und eine Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Für einige
Diskussionsteilnehmer sind Festivals, Kirchentage und sportliche
Großereignisse die beste Gelegenheit, Leute zu treffen. Für die anderen
bleiben organisierte Begegnungen eine wichtige Möglichkeit, Einblick in
eine fremde Lebenswirklichkeit zu bekommen. Wesentlich bei allen
Begegnungen, da gab es keine Meinungsunterschiede, ist ein „Dialog der
Kulturen“. Nur so könnten die Reisenden und die Menschen im Reiseland
voneinander lernen.
„Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich
anständig benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen da gewesen
sind“, soll Kurt Tucholsky einmal gesagt haben. Das ist lange her, und
die deutschen Touristen im Ausland haben viel dazu gelernt. Auch bei
Begegnungen in der Fremde.