Der Maharadscha kommt gerade von einer Wahlveranstaltung zurück. Seine Schwester Chandeesch Kumari kandidiert für die Kongresspartei und ihr Bruder unterstützt sie, obwohl die Rajas aus historischen Gründen eher Kongress-Gegner sind. „Blut ist dicker als politische Überzeugungen“, begründet Nichte Mamta Singh das Engagement seiner Hoheit. Groß und kräftig mit schwarzem Schnauzer, die dichten, dunklen Haare nach hinten gegelt und in der traditionellen weißen Kurta könnte der Maharadscha von Jodhpur geradewegs einem der Ahnenporträts entsprungen sein, die im gigantischen Umaid Bhawan Palace an den Wänden hängen.
Die größte Privatresidenz der Welt, im klaren Licht Rajasthans weithin sichtbar, war eigentlich ein groß angelegtes Arbeitsbeschaffungsprogramm während einer bedrohlichen Dürre-Periode. Über 3000 Menschen fanden von 1929 bis 1944 beim Bau des von einer riesigen Kuppel gekrönten 347-Zimmer-Komplexes im indischen Art-Deco-Stil Arbeit und Brot. Noch heute lebt die königliche Familie in einem Trakt des Palastes, während der andere ein Luxushotel beherbergt, das jüngste und spektakulärste in der edlen Kollektion der Taj Resorts & Palaces. Sie sind Teil des Tata-Imperiums, einer der neuen Dynastien des modernen Indien.
Üppig ausgestattet mit Marmor, Gold und schweren Stoffen sind die königlichen Suiten im Umaid Bhawan Palast – offenbar so Recht nach dem Geschmack von Hollywood-Stars. Liz Hurley und ihr indischer Mann Arun Nayar feierten hier ein rauschendes Hochzeitsfest, Madonna residierte in der Maharadscha Suite. Ein Scheich aus Qatar wollte gar den ganzen Palast ab- und im arabischen Wüstenstaat wieder aufbauen lassen. Möglich gewesen wäre es. Denn die Bausteine des mächtigen Bauwerks sind ohne Zement oder andere Bindemittel aufeinander gestapelt. „Wie Legosteine“, erklärt Gaj Singh II. Der Maharadscha ist traditionsbewusst und verwaltet sein Erbe mit großem Engagement. „Indien hat noch einen langen Weg vor sich“, räumt er ein, wenn es um Architektur und um Umwelt geht. Aber er ist überzeugt davon, dass auch kleine Schritte das Land weiterbringen. Und einige davon hat er unternommen, um „das kulturelle Erbe für die nachfolgenden Generationen – und auch für die Touristen“ zu bewahren.
Im Mehrangarh-Fort, der imposanten Sonnenzitadelle hoch über Jodhpur hat seine Geschichte begonnen. Hier auf dem Marmorthron im Krönungshof wurde er zum Maharadscha gesalbt – im zarten Alter von vier Jahren. Spontan, so geht die Sage, habe der Kindkönig die Geschenke an seine Untertanen weitergegeben – ein gutes Zeichen. Als Erwachsener musste er erst einmal damit zurecht kommen, dass Indira Gandhi den Rajas alle Privilegien entzog. Dennoch engagierte er sich, für den Tourismus und für den Denkmalschutz. „Ich glaube, dass das Volk mich heute als modernen Maharadscha anerkennt“, sagt der 61-Jährige in schönstem Oxford-Englisch.
„Die Menschen in Jodhpur lieben den Maharadscha“, bestätigt Mahesh Karan die königliche Selbsteinschätzung im Brustton der Überzeugung, „er kennt ihre Probleme und macht einen guten Job.“ Der junge Unternehmer ist ein kleiner Konkurrent des großen Herrn von Jodhpur: Mitten in der Stadt führt er ein 200 Jahre das Pal Haveli, ein repräsentatives Bürgerhaus, das er in ein Hotel umgewandelt hat. Karans Großvater war Richter und „jedes Zimmer erzählt eine Geschichte“. Pal Haveli ist so etwas wie ein lebendiges Museum. Von der Dachterrasse aus hat man alles im Blick: das Fort, den Umaid Bhawan Palast, den Glockenturm, der das Zentrum Jodhpurs markiert, und die Gedenkstätte der königlichen Familie Jaswant Thada. Das Gebäude aus hauchdünnem weißem Marmor, das die Sonne zum Glühen bringt, gilt als das Taj Mahal des Marwar – Land des Todes wird die Gegend um Jodhpur des wüstenähnlichen Klimas wegen genannt. Die Witwe von Jaswant Singh II. ließ das Grabmal 1899 zum Gedenken an den „erleuchteten Herrscher“ errichten. Die Verbrennungsstätten der königlichen Familie liegen in unmittelbarer Nachbarschaft.
Im Tal brodelt die kleine Millionenstadt Jodhpur, auch blaue Stadt genannt, wegen der blauen Farbe vieler Häuser. Früher den Brahmanen vorbehalten – damit ihre Häuser bei kriegerischen Auseinandersetzungen verschont blieben – wird das kühle Blau heute vor allem gegen die hitzigen Sonnenstrahlen eingesetzt. 20 000 Autorikschas schwirren durch die engen Gassen der Stadt, die sie sich mit Motorrädern, Bussen, Fahrrädern, Fußgängern und Kühen teilen müssen. Die Straßen sind der reinste Hindernislauf mit buckligem Asphalt und Löchern so groß wie kleine Swimming-Pools, in denen die Dreckbrühe steht. Gleich daneben sitzen stoisch die Händler und trinken Tee. In den kleinen Läden, manche nicht größer als ein Wohnklo, wird alles verkauft: getragene Klamotten, alte Reifen, frisches Gemüse, Frottee nach Kilos, Gewürze, Saris für kleine Mädchen, alte Schuhe und echte Antiquitäten. Auf dem quirligen Sardar Markt rund um den Uhrturm bietet ein Zahnklempner seine Dienste an, ein Barbier schert einem alten Mann den Bart. Im Hinterhof weiden die heiligen Kühe im Plastikmüll, zwischen drei Motorrädern ist eine Ziege geparkt.
Ein knallig buntes Riesenplakat zeigt eine junge indische Familie mit ihrem neuen Kleinwagen und verheißt: „Ein Nano für jeden Inder“. Schon jetzt ist das Billigauto aus dem Hause Tata in Indien ein Kassenschlager. Und das Unternehmen kann gar nicht so schnell produzieren, wie ausgeliefert werden müsste.
Glücklicherweise, meint Mahesh Karan stirnrunzelnd. Er mag sich nicht vorstellen, was geschähe, wenn Tata sein Versprechen wahr machen könnte. „Eine Katastrophe“, grollt er. „Wie sollen unsere Städte diese Invasion verkraften? Sie ersticken ja schon jetzt am Verkehr.“
Wohl wahr. Auch das schöne Jaipur, die berühmte rosarote Stadt, scheint kurz vor dem Verkehrsinfarkt. Durch die Tore der Altstadt wälzt sich eine nie enden wollende Schlange motorisierter Fahrzeuge, in die sich zuweilen Fahrradrikschas, Kühe oder auch Elefanten mischen. Vor dem Palast der Winde mit seiner Lochstickerei-Fassade posiert ein Mahut auf einem imposanten Elefanten und eine Busladung Touristen balgt sich um den besten Platz zum Fotografieren. Durch die kunstvoll durchbrochenen Mauern und vergitterten Fenster konnten einst die Frauen der Rajputen-Fürsten das Leben auf der Straße verfolgen ohne selbst gesehen zu werden. Heute steht nur mehr die Fassade, ein schöner Schein. An den alten Häusern nagt der Zahn der Zeit, viele sind hohl, die Fenster nur mehr schwarze Löcher, die rote Farbe blättert oder ist von der Patina der Jahrzehnte verdunkelt. Der Gehsteig, schmal und schmutzig, ist für die viele Bewohner eine Art Aufenthaltsraum. Hier wird gekocht, gegessen, gewaschen, gehandelt und gestritten. Die Ärmsten der Armen aber vegetieren draußen vor dem Tor am Straßenrand, halbnackt und ohne jeden Schutz vor Regen oder Sonne. Es sind Flüchtlinge aus Bangladesch.
Fast unmoralisch wirkt angesichts solchen Elends die Pracht des Stadtpalastes, heute ein Museum. Hier kann man der Geschichte der früheren Herrscher nachspüren, die Jaipur gegründet und unter anderem auch das ausgeklügelte Observatorium gebaut haben. In der Durbar Hall, der Empfangshalle mit den Blumenranken, die ein Herr Müller aus Deutschland gemalt hat, und unter Lüstern aus Tschechien hielt noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der Maharadscha Hof, neben ihm auf dem niedrigeren Thron der Vizekönig, Lord Mountbatten. Die Maharadschas von Jaipur hatten eine enge Beziehung zu Großbritannien, wo ihre Erben eine exzellente Ausbildung genossen.
Ein gewisses Quantum an Misstrauen aber fuhr am Anfang schon mit, wenn die indischen Hoheiten der britischen Krone einen Besuch abstatteten. Der Großvater des heutigen Maharadschas, den alle nur Bubbles nennen, weil sein Vater die Geburt des Sohnes mit 100 000 Flaschen Champagner feierte, nahm zwei 345 Kilogramm schwere Silbertöpfe mit nach England. Mit heiligem Wasser aus dem Ganges gefüllt, waren sie für Gast aus Indien eine Art Lebensversicherung. Wesentlich entspannter ging Bubbles‘ Vater Jai, ein berühmter Polospieler und guter Freund der Queen, auf Reisen. Seine dritte Frau, Prinzessin Gayatri Devi, beschreibt in ihren „Memoiren einer Prinzessin“ das luxuriöse Leben von einst und den Verfall von Jaipur:
„Unter der neuen Regierung verschwanden sogar die Arkaden an den Hauptstraßen, die den Fußgängern so angenehm Schatten gespendet hatten, denn den Händlern war es gestattet worden, sie für ihre Zwecke zu benutzen. Balkone und Terrassen begannen zu zerfallen, Abfälle verstopften die Gassen und türmten sich zu Bergen an den Hauswänden und in den Seitenstraßen, die Wände waren mit primitiven Reklamen beschmiert“.
Vor dieser Zerstörung floh Gayatri Devi in das königliche Gästehaus Rambagh Palace inmitten einer weitläufigen Gartenanlage. 1957 wandelte die Familie das zauberhafte Anwesen mit den verschwiegenen Gärten in ein Hotel um, 1972 kam es als zweites Hotel zur Taj-Gruppe. Im royalen Ambiente der Prince’s Suite fühlte sich zuletz Prinz Charles wie zuhause.
Wie der Maharadscha von Jodhpur engagiert sich auch Gayatri Devi für den Tourismus, in dem sie eine Chance für Rajasthan sieht – und für das Überleben einer vom Aussterben bedrohten Kultur, die der Rajas. Sie spiegelt sich auch im märchenhaften Amber Fort, wo ausgeklügelte Klima-Technologie und feudale Prachtentfaltung Hand in Hand gehen. Das ganze Fort ist ein Fest für die Sinne, betörend und verstörend zugleich. Wenn der Jeep die unebene abenteuerlich enge Straße hochhoppelt, schnellen wie aus einem Pop-Up-Bilderbuch Händler aus dem Nichts hervor. Sie bieten glitzernde Armreifen und Spiegel feil, geschnitzte Elefanten und Schmuckkästchen – in allen Sprachen Europas und alles zu 100 Rupien. Im Schatten spielt ein Schlangenbeschwörer auf seiner Flöte und die Kobra bewegt dazu anmutig ihren Kopf. Arbeiterinnen in regenbogenfarbenen Saris balancieren graziös bunte Plastikeimer auf dem Kopf, ausgemergelte Männer klopfen Steine, ein fröhlich bemalter Elefant schwenkt freundlich seinen Rüssel.
Hier scheint die ganze Welt wirklich Bühne und das Leben ein Theaterstück, in dem jeder seine Rolle spielt. Die des Maharadschas von Jodhpur ist sicher eine der besten.