Nächtliche Albträume: Antonio Lobo Antunes‘ „Gestern in Babylon habe ich dich nicht gesehen“

Sie hören die stille der Möbel, die Stille der Rohre, vielleicht auch die Stille des Blutes. Sie fühlen die Leere des Lebens, die Angst vor dem Tod, sie fahnden nach den Schrecken der Vergangenheit in allen Ecken, auch wenn sie daran zu Grunde gehen. Antonio Lobo Antunes erweckt in seinem Roman “Gestern in Babylon habe ich dich nicht gesehen” zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens einen vielstimmigen Chor von Männern und Frauen zum Leben. Ein babylonisches Sprachgewirr, das sich selbst überlagert und den Leser in ein Labyrinth der Erinnerungen zerrt.

Wirr reden die Männer und Frauen wie in Alpträumen, die Gedanken springen zwischen Kindheit und Alter hin und her, zwischen Innen- und Außensicht, zwischen Ich und Du. Grenzen verwischen, auch die zwischen Mensch und Tier, zwischen Schlächter und Opfer. Es gibt keinen Himmel in diesen verzweifelten Leben – und keinen Gott. Und trotzdem klammern sich diese erbärmlichen Menschen ans Leben. “Die Vorstellung vom Tod rollt mir die Eingeweide ein”, gesteht sich der 85-Jährige, der als Mitglied der portugiesischen Geheimpolizei  Schuld auf sich geladen hat und vor allem das fürchtet, was “dahinter“ kommt.
Dieses nächtliche Stimmengewirr evoziert vielschichtig und manchmal auch schwer verständlich die Traumata der portugiesischen Geschichte und zwingt den Leser geradezu “die Nacht in uns allen” zu besichtigen.
Antonio Lobo Antunes: Gestern in Babylon habe ich dich nicht gesehen, Luchterhand,  540 S., 24,90 Euro

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