Kraftorte nennen die einen sie, magisch die anderen: Orte, die den Besucher verzaubern, die ihn nicht mehr loslassen. Das können Kirchen sein und Klöster, steinerne Relikte aus uralter Zeit, aber auch ein Wald, ein See, ein Weg. Sieben Orte voller Magie.
1 Pompeji, Italien
Die Katastrophe hat die Stadt weltberühmt gemacht, sie hat es in die
Literatur geschafft, ins Kino, in eine Soap, aufs Spielbrett und in
neuerdings in eine Katastrophenszenario „Vom Untergang Pompejis bis zum
Klimawandel“. Der Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 nach Christus hat eine
blühende Stadt ausgelöscht, ihre Bewohner hatten keine
Überlebenschance. Nur ihre toten Körper überdauerten die Jahrhunderte –
und viele Gebäude stehen heute noch so wie damals, an jenem sonnigen
Spätsommertag, an dem die Stadt zur tödlichen Falle wurde. Die
Katastrophe kündigte sich mit einem Regen heißer Asche und glühender
Gesteinsbrocken an, über dem Vesuv stieg eine gewaltige Eruptionssäule
in den Himmel, eine riesige Wolke verdunkelte die Sonne. Dann brüllte
der Berg, glühende Lavaströme ergossen sich in die Straßen, walzten
Häuser und Menschen nieder. Andere Bewohner erstickten im feinen
Ascheregen. Nach der letzten, der fünften, Glutwalze war alles Leben in
der Stadt erloschen. Und doch lebt Pompeji. Archäologen haben die Stadt
ausgegraben, die Asche hat Kunstwerke und Alltägliches erhalten wie ein
Schutzfilm. Selbst die Toten wurden mumifiziert. Man ahnt ihre Panik in
der auf ewig konservierten Abwehrhaltung. So wirkt Pompeji auf die
Nachgeborenen wie eine Zeitkapsel, eine schaurig-schöne Warnung vor den
Naturgewalten.
Pompeji: Von April bis Oktober von 8.30 bis 19.30 Uhr, November bis März
von 8.30 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt 11 Euro, ermäßigt 5,50 Euro:
www.pompeiturismo.it, www.pompeiservice.it/deutsch/
2 Rosslyn Chapel, Schottland
Das neue Buch von Dan Brown hat es gleich wieder auf die
Bestsellerlisten geschafft, natürlich geht es auch in „Das verlorene
Symbol“ um Verschwörungen und rätselhafte Ereignisse. Wie im „Da Vinci
Code“, bei dessen Verfilmung Rosslyn Chapel nahe Edinburgh eine wichtige
Rolle spielt. Drei Tage machten Tom Hanks & Co die Kapelle zur
Kulisse. Nur schade, dass das Wunderwerk aus Stein, das zur Pilgerstätte
der Dan-Brown-Enthusiasten geworden ist, gerade eine Baustelle ist. Das
komplizierte Muster der Steinmetzarbeiten, das in seiner Zartheit an
Brüsseler Spitze erinnert, ist so nur teilweise zu sehen. Aber auch das,
was zu sehen ist, genügt um zu faszinieren. Kaum zu glauben, dass
dieses Schmuckstück aus dem 15. Jahrhundert, um das sich zahlreiche
Legenden ranken, nach der Reformation Jahrhunderte lang als Stall
missbraucht wurde. Erst seit 1862 wird die mit Symbolen geradezu
überladene „Symphonie aus Stein“ wieder als Kapelle genutzt. Und bis
heute gibt sie Rätsel auf – mit dem gemeißelten Totentanz, dem Dudelsack
spielenden Engel, dem „grünen Mann“, dem die Blattranken aus dem Mund
wachsen und mit den Ornamenten von Pflanzen, die es damals nur in
Amerika gab. Wie kamen sie hierher, im 15. Jahrhundert, lange bevor
Columbus Amerika entdeckte?
Rosslyn Chapel, Roslin, Schottland, www.rosslynchapel.org.uk
Geöffnet (Oktober mit März: Mo bis Sa 9,30 bis 17 Uhr, So 12 bis 16.45
Uhr
Eintrittspreis: 7,50 Euro/Erwachsene, Kinder (bis 16) mit Familie zahlen
nichts.
3 Der Jakobsweg, Spanien
Nicht erst seit Hape Kerkelings Megaseller „Ich bin dann mal weg“ sind
die 800 Kilometer des Jakobswegs nach Santiago de Compostela der
europäische Pilgerweg schlechthin. Von der Neubelebung der
Jakobus-Wallfahrt haben auch die unterschiedlichsten Etappen profitiert,
die quer durch Europa führen. Seit mehr als 1000 Jahren sind Millionen
von Menschen diese Wege gegangen. Vor allem in den letzten Jahren aber
erlebt der Camino eine Renaissance. Pilgern ist wieder in und das
Jakobusgrab in Santiago de Compostela das Ziel von Hunderttausenden aus
aller Welt. Junge und Alte pilgern nach Santiago unter Entbehrungen und
mit Blasen an den Füßen die einen, andere machen’s im Schnelldurchgang
und übernachten komfortabel in Hotels. Doch auch sie können sich der
Magie des Wegs nicht entziehen. Der Jakobsweg, seit 1993 Weltkulturerbe,
ist zu einem Massenphänomen geworden wie in alter Zeit: Menschen machen
sich auf den Weg, unabhängig von ihrem Glauben. Sie sind auf der Suche
nach dem Spirituellen, auf dem Weg zu sich selbst. Die Schriftsteller
Cees Nooteboom und Paulo Coelho gingen auf Pilgerschaft, die
Schauspielerin Shirley MacLaine und ungezählte Namenlose. Die
Erfahrungen auf dem Camino füllen Dutzende von Büchern. Auch auf die
Leinwand hat es der Jakobsweg gebracht. „Pilgern auf Französisch“ und
„Brüder 3“ versuchen auf die heitere Art, dem auf die Spur zu kommen,
was den Jakobsweg so besonders macht.
Bücher zum Jakobsweg:
Hape Kerkeling, Ich bin dann mal weg, Malik.
Paulo Coelho, Auf dem Jakobsweg, Diogenes
Shirley MacLaine, Der Jakobsweg, Goldmann
Rene Freund, Bis ans Ende der Welt, Picus Lesereisen
Elisabeth Klose, Raum in der Herberge, Projekte-Verlag
Carmen Rohrbach, Wandern auf dem Himmelspfad, Piper.
4 Die Burgen der Katharer, Frankreich
Sie stehen da als wollten sie immer noch der Zeit trotzen – und dem
Ansturm der feindlichen Heere unter dem erbarmungslosen Simon de
Montfort. Quéribus, Peyrepertuse, Lastours, Montsegur. Die Burgen der
Katharer, die sich selbst Parfaits (Vollkommene) nannten, sind steinerne
Zeugen eines grausigen Vernichtungsfeldzugs. Die Ruinen auf den
schroffen Felsen scheinen festgewachsen auf steinernen Sockeln. Die
hohlen Türme, die leeren Fensterhöhlen, die zerstörten Mauern und
brüchigen Treppen haben eine fast unheimliche Anziehungskraft und schon
viele Autoren zu historischen Romanen über die Katharer inspiriert.
1209, als der Papst zum Kreuzzug gegen die „Ketzer“ aufgerufen hatte,
loderten die Scheiterhaufen im Languedoc Roussillon, und blutrünstige
Horden zogen mordend und brandschatzend durchs Land. Verstümmelte
„Parfaits“ schleppten sich über die Wege, nasen- und lippenlos, blind.
Sie sollten sympathisierende Burgherren abschrecken. Trotzdem leisteten
die Menschen auf den Trutzburgen erbitterten Widerstand – bis in den
Tod. Nach zehnmonatiger Belagerung fiel 1244 Montsegur: 215 Katharer
starben auf einem riesigen Scheiterhaufen, weil sie ihrem Glauben nicht
abschwören wollten. Heute gehen Touristen den Weg der Katharer und
manche glauben, in den Ruinen noch etwas zu spüren vom kalten Hauch des
Schicksals.
Infos: www.payscathare.org
5 Die Rütli Wiese, Schweiz
Eine Wiese was sonst. Aber was für eine Geschichte. Auf der Bergwiese am
westlichen Ufer des Urnersees im Angesicht der beiden Mythen sollen
sich die Schweizer Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden 1291 zu einem
Bündnis zusammen geschlossen und den Rütlischwur geleistet haben. „Wir
wollen sein ein einig Volk von Brüdern“, heißt es in Schillers Drama
„Wilhelm Tell“, das dem Schweizer Freiheitshelden als Mit-Initiator des
Männerbundes ein literarisches Denkmal setzte. Ob Wilhelm Tell je gelebt
hat, ist bis heute Glaubenssache. Doch er war auf dem Rütli, wie die
Schweizer die legendäre Wiese nennen. 2004, 200 Jahre nach der Weimarer
Uraufführung, gab der Wiener Burgschauspieler Roland Koch den Tell in
einer Inszenierung des Schweizers Stefan Märki, für die Günther Ücker
eine Bühne aus zugespitzten Baumstämmen gestaltet hatte. Die „Wiege der
Eidgenossenschaft“ überstand den ungewohnten Ansturm von
Kulturbeflissenen. Sie ist anderes gewöhnt. Die alljährlichen
Rütli-Feiern am 1.August werden regelmäßig von Rechtsradikalen
heimgesucht, die den Rütli für ihr nationalistisches Gedankengut
instrumentalisieren wollen. Zum großen Ärger der liberalen Schweizer,
für die diese unscheinbare Wiese eine Art Wallfahrtsort ist – der
Urmythos der Nation.
Info: Zum Rütli kommt man am besten von Brunnen aus per Boot
(www.lakelucerne.ch). Der Anstieg zur Wiese dauert etwa zehn Minuten:
www.ruetli.ch
6 Der Blautopf, Deutschland
Sie ist nicht so bekannt wie ihre Schwester vom Rhein, die Loreley. Doch
auch die Schöne Lau hat einen Dichter inspiriert. Eduard Möricke
erzählt das Märchen der Wasserfrau „mit langen fließenden Haaren“ und
übergroßen blauen Augen, die im Volk auch als „arge Lau“ gefürchtet war,
weil sie den Menschen manchen Streich spielte. Ihr Reich war der
Blautopf. Hier lebte sie in einem unterirdischen Schloss bis sie der
Wasserkönig heim ins sein Reich im Schwarzen Meer holte. Doch der
kleine, kreisrunde See beim Städtchen Blaubeuren hat die Magie der
geheimnisvollen Nixe bewahrt, sein tiefes, unergründliches Blau erinnert
an die Augen der schönen Lau. Und die „bodenlose Tiefe“, von der manche
Sagen erzählen, zieht die Taucher geradezu magisch an. Sie fanden auch
Mörickes „Wasserschloss“, ein gigantisches Höhlensystem mit gewaltigen
Hallen – und in einer davon auch die schöne Lau, einen zwei Meter hohen
Tropfstein in Gestalt einer Frau. Auch wenn man heute weiß, dass der
Blautopf eine der größten Karstquellen Deutschlands ist, auch wenn die
Tiefe ausgelotet ist und die Höhlen vermessen sind, scheinen in dem
ebenso wundersamen wie unergründlichen See noch viele Geheimnisse zu
ruhen. Weshalb sich Romantiker und Selbstmörder gleichermaßen von der
gefährlichen Schönheit in der schwäbischen Provinz angezogen fühlen.
Info: www.blaubeuren.de
7 Mykene, Griechenland
Es sind gewaltige Steine, die im zweiten Jahrtausend vor Christus für
die zyklopische Rundmauer aufeinander gestapelt wurden. Das „Löwentor“
lässt noch etwas ahnen, von der Pracht des vorantiken Palastes. Mykene,
die Stadt des Perseus, das Zentrum der mykenischen Kultur, ist heute ein
Ruinenfeld von geradezu archaischer Wucht. Aus dem 16. Jahrhundert vor
unserer Zeitrechnung stammen die königlichen Schachtgräber, in denen die
Ausgräber unter Heinrich Schliemann Goldschmuck, Masken und wertvolle
Gefäße fanden. Unter den großen Kuppelgräbern aus dem 13. Jahrhundert
v.Chr. ist das „Schatzhaus des Atreus“, Enkel des Tantalos und Vater des
Agamemnon, das prächtigste. Im Palast von Mykene soll nach Homer eben
dieser Agamemnon residiert haben, der die griechischen Fürsten im Krieg
gegen Troja anführte und bei seiner siegreichen Heimkehr von seiner Frau
Klytemnästra und ihrem Geliebten erdolcht wurde. Aus Rache für den Tod
des Vaters ermordete Agamemnons Sohn Orest später die Mutter. Die dicken
Mauern von Mykene waren in der griechischen Sagenwelt Zeugen blutiger
Tragödien, Schicksalhaftes scheint hier gebündelt wie in einem Brennglas
– und genau das ist es wohl, was diese Ruinen zu einem magischen Ort
macht.
Info: Mykene liegt auf dem Peloponnes etwa zehn Kilometer von Argos
entfernt und ist vom 10. April bis 31. Oktober geöffnet. Eintritt 8
Euro:http://odysseus.culture.gr