Es war keine leichte Geburt: Linz oh, nein deuteten viele Linzer grantelnd das Projekt Linz09 um, mit dem die oberösterreichische Landeshauptstadt sich als europäische Kulturhauptstadt profilieren will. Einheimische Künstler fühlten sich ausgegrenzt, Bürger zu Zaungästen eines internationalen Events degradiert. Keiner wusste so recht, was wirklich geplant war. Doch jetzt liegt das konkrete Programm vor. Linz09 nimmt Form an und man sieht tatsächlich: Linz verändert (sich).
Noch ist die Stadt ein großer Bauplatz. 55 Kräne, schätzt Stadtführerin Birgit Paltiner (37), ragen derzeit in den Linzer Himmel. Der imposante Hauptplatz aus der Mitte des 13. Jahrhunderts mit der gewaltigen Dreifaltigkeitssäule im Zentrum ist Baustelle ebenso wie das Schloss, das einen neuen hochmodernen Südflügel aus Glas und Beton bekommt. Auch das futuristische Ars Electronica Center ist Baustelle und der klassische Promenadeplatz. Nicht alles wird pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr fertig werden, fürchtet Pia Leydolt (29), die für Linz09 die Pressearbeit macht. Trotzdem sieht die Wienerin das nächste Jahr als „große Chance für Linz, sich auf der touristischen Landkarte zu positionieren“. Neben Wien, Salzburg und Graz, das 2003 Kulturhauptstadt war.
Das wäre schon viel für Linz, das sich lange Zeit auf Provinz reimte. Selbst Linzer witzelten: „Zyankali keine Eile, in Linz stirbt man aus Langeweile“. Und Oskar Kokoschka, der auf Auftrag die „Linzer Landschaft“ malte, beklagte sich 1955 bei seiner Schwester: „Die Landschaft ist so fad, dass ich schon ordentlich verzweifelt war.“ Die Linzer vergalten es dem Maler mit herzlicher Abneigung. Für die 100 000 Schilling, die Kokoschka für sein Bild bekam, hätte man drei Linzer Künstler beauftragen können und hätte drei Linzer Landschaften bekommen, meckerten Gemeinderäte. Allerdings keinen Kokoschka. Aber das interessierte die Ratsherren damals nicht.
Und heute? Irgendwie erinnert das Ganze an die Diskussionen um Linz09, dessen Machern „Arroganz“ bescheinigt wird, weil sie für ihre Projekte nicht nur den Intendanten, den Schweizer Martin Heller, und seinen Stellvertreter, den deutschen Dramaturgen Ulrich Fuchs, aus dem Ausland geholt haben, sondern auch viele Künstler. Die örtliche Presse machte sich zum Vorreiter der Kritiker und ließ kein gutes Haar am Intendanten. Pressereferentin Pia Leydolt hatte manchmal das Gefühl, gegen Windflügel anzurennen. Dabei tue man doch alles, um die Linzer und auch die Region mit ins Programm einzubeziehen, beteuert sie und schüttelt den Kopf ob so viel provinziellen Unverständnisses. Klar, 2300 Projekte wurden eingereicht und über 1900 abgesagt. „Aber die waren entweder zu teuer, zu gigantisch oder auch zu schwachsinnig.“ Die blonde Powerfrau lacht, wenn sie sich an manche Ideen erinnert wie die eines pinkelnden Zwerges auf dem Lentos, dem gläsernen Museum für moderne Kunst am Donauufer. 365 Programmpunkte listet das aktuelle Programmbuch auf, eines für jeden Tag. „Das gab’s noch nie“, sagt Leydolt und lehnt sich zufrieden zurück. Sie freut sich auf das nächste Jahr will noch bis 2010 bleiben und erleben, wie nachhaltig die Projekte wirklich sind.
Für Birgit Paltinger, die zierliche brünette Stadtführerin, ist es nicht ganz leicht, die Führungen durch das alte Linz und die Vorstellungen der Kulturhauptstadt-Macher unter einen Hut zu bringen. Die Stadt hat schließlich eine lange Geschichte, die ihre Spuren in der Altstadt und in den Kirchen hinterlassen hat. Und sie hat eine neuere Geschichte, die sie noch vor Beginn des Kulturhauptstadtjahrs aufarbeiten will.
„Patenstadt des Führers“ war Linz einst. Adolf Hitler ging hier zur Schule. Vom Balkon gegenüber der Dreifaltigkeitssäule verkündete er 1938 vor 60 000 jubelnden Anhängern den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich. Für die Stadt selbst, die er zur Kunst- und Industriestadt formen wollte, hatte er „größenwahnsinnige Pläne“. Die Nibelungenbrücke über die Donau wurde aus Mauthauser Granit errichtet (das KZ lag in der Nähe), die Hermann-Göhring-Werke wurden angesiedelt und viele der Häuser tragen heute noch die kolossale Handschrift nationalsozialistischer Architekten. Ab 17. September beschäftigt sich die Ausstellung „Kulturhauptstadt des Führers“ im Schlossmuseum mit „Hitlers Linzer Fantasien“, den irrwitzigen Prestigeprojekten und der Verstrickung der Kunstpolitik mit der Enteignung aus dem Besitz Verfolgter und Ermordeter. Letztlich stellt die Schau auch die Frage nach dem Erbe dieser Vergangenheit, das sich in den „Hitlerbauten“ ebenso findet wie in den Industrieanlagen von Vöest auf den Fundamenten der ehemaligen Rüstungsindustrie.
Auch dank Vöest alpine wurde Linz nach dem Krieg zur wichtigsten Industriestadt und zum „Ruhrpott Österreichs“. Trotz der Krise in den 80er Jahren ist die Industrie noch heute ein wichtiger Arbeitgeber, hohe Fabrikschlote dominieren das Vöest-Viertel an der Donau. Doch längst schon hat sich die sozialdemokratisch regierte Stadt nicht nur vom Smog befreit, sondern fit für die Zukunft gemacht. IT-Unternehmen haben sich im Industrie-Areal angesiedelt und internationale Firmen. Die Arbeitslosenquote ist mit 2,6 Prozent so niedrig wie nirgendwo sonst in Österreich, die Wirtschaft wächst noch immer und mit dem Ars Electronica Center, in dem zeitgenössische Kunst und moderne Technik sich gegenseitig befruchten, hat Linz ein weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekanntes Aushängeschild. „Museum der Zukunft“ nennt sich das Center, zu dem auch das Forschungslabor „futurelab“ gehört. Und Zukunft ist das Zauberwort in der 190 000-Einwohner-Stadt.
In der Satellitenstadt „Solarcity“ heizen Sonne und Fernwärme ein, auch beim gläsernen Neubau der Energie AG wurden die neuesten Technologien berücksichtigt. Der Hauptbahnhof, der modernste Österreichs, ist eine effektive Nahverkehrsdrehscheibe, wie sie sich andere Städte noch immer erträumen. Die Stadtbibliothek hat sich einen „Wissensturm“ hingestellt, der „lebenslanges Lernen“ propagiert, und entlang der Donau reihen sich neue, spektakuläre Kulturbauten wie das Museum für moderne Kunst direkt gegenüber dem Ars Electronica Center. Anfangs als „Schuhschachtel an der Donau“ bespöttelt, ist das vom Schweizer Architekten Jürg Weber entworfene „Lentos“ zu einem Wahrzeichen des modernen Linz geworden, zum „gläsernen Schiff“, in dem sich die Stadt gerne selbst bespiegelt.
„Linz ist das zeitgenössische Österreich“, sagt Birgit Paltinger. 2009 soll die gelungene Symbiose zwischen Kultur und Industrie aller Welt demonstrieren. Dann wird die Linzer Institution der Klangwolke 30 Jahre alt. 1979 strahlte man erstmals im Donaupark Bruckners Achte Symphonie quadrophonisch aus, der Startschuss für die Ars Electronica. Die Stadt, in der Anton Bruckner am liebsten Organist war und Rilke ein Jahr zur Schule ging, in der Mozart in drei Tagen die „Linzer Symphonie“ komponierte und Johannes Kepler 14 Jahre Mathematik lehrte, hat Pionierarbeit geleistet in Sachen Zukunftssicherung.
„Man muss das Thema Kulturhauptstadt wie ein Stipendium für die Stadtentwicklung sehen“, sagt Pia Leydolt. Ein Budget von 65 Millionen steht den Machern zur Verfügung, um Linz als „Labor der Zukunft“ zu präsentieren – aber auch als eine Stadt, in der man sich im gemütlichen Kaffeehaus die original Linzer Torte auf der Zunge zergehen lassen kann. Auch die geht mit der Zeit und wird global: Für das Projekt „Linz in Torten“ interpretieren Migrantinnen die bekannte Mehlspeise und backen sie nach ihren Vorstellungen.